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Messer sind mehr als Waffen: Kriminologe über die Motive einer Generation


Messerkriminalität
"Es ist Mode geworden, ein Messer bei sich zu tragen"

InterviewVon Ellen Ivits

14.04.2025 - 14:41 UhrLesedauer: 5 Min.
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Ein Mann zückt ein Messer: Manche Städte versuchen, mit Messerverbotszonen Gewalttaten zu verhindern. (Quelle: Bernd Weißbrod/dpa)
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Immer mehr junge Männer tragen Messer – und die Zahl der Angriffe steigt. Doch nicht Herkunft oder Kriminalität erklären den Trend, sondern etwas viel Tieferes: ein Kampf um Anerkennung, Macht und Männlichkeit.

Die Zahl der Messerstraftaten in Deutschland ist im Vergleich zu 2023 gestiegen. Messerangriffe sind kein Randphänomen: In deutschen Städten häufen sich die Angriffe – allein in NRW schnellten die Zahlen 2024 um über 20 Prozent nach oben. Der Grund? Kein einfacher. Kriminologe Prof. Dirk Baier spricht im Interview mit t-online über verlorene Orientierung, gefährliche Ideale und warum Messer heute das Statussymbol einer verunsicherten Generation sind.

t-online: Die Messerkriminalität in Deutschland zeigt in den vergangenen zwölf Monaten regional unterschiedliche Entwicklungen, wobei insgesamt ein Anstieg zu verzeichnen ist. Wie ist dieser Anstieg zu erklären? Und ist die Statistik aussagekräftig?

Dirk Baier: Wir haben bislang weitestgehend nur Zahlen der Polizeilichen Kriminalstatistik, die von der Anzeigebereitschaft abhängig sind. Da diese beispielsweise auch Drohungen mit Messern beinhalten, die nur teilweise angezeigt werden, spielt die Anzeigebereitschaft auch in diesem Phänomenbereich eine Rolle.

Dass die Zahlen eher im Anstieg begriffen sind, hängt sicherlich zunächst einmal damit zusammen, dass die Menschen – vor allem junge Männer – die Messer häufiger mit sich führen. Dieses Mitsichführen hängt dann damit zusammen, dass auch verbotene Messer sehr leicht beschaffbar sind; dass Messer Symbole sind, die Männlichkeit und Dominanz symbolisieren und dass es ein Stück weit eine Mode geworden ist, Messer bei sich zu tragen. Viele Gleichaltrige tun es. Also muss man sich, um anerkannt zu werden, eben auch Messer tragen, so die Logik dahinter.

Insbesondere in NRW stiegen die Messerstraftaten 2024 um über 20 Prozent auf fast 7.300 Fälle. Warum gerade hier?

Es gibt durchaus auch aus anderen Teilen Deutschlands Hinweise auf steigende Messerkriminalität. So zeigten in der Vergangenheit etwa die Daten von Krankenhäusern zu Eingewiesenen mit Stichverletzungen in Berlin und anderen Städten, dass eine negative Entwicklung zu existieren scheint. Warum ausgerechnet in NRW die Zahlen steigen, kann aus meiner Sicht kriminologisch nicht erklärt werden, da NRW in seiner Struktur und seiner Entwicklung nicht völlig anders ist als der Rest Deutschlands.

Vielleicht spielt es auch eine Rolle, dass dieses Thema in NRW seit einiger Zeit ganz oben auf der Tagesordnung steht: Der Innenminister Herr Reul hatte als einer der Ersten einen 10-Punkte-Plan aufgestellt. Ein Nebenprodukt dieser Aufmerksamkeit könnte sein, dass auch mehr Menschen Anzeige in Bezug auf diese Taten erstatten.

Sachsen-Anhalt verzeichnete hingegen in den ersten zehn Monaten von 2024 einen Rückgang. Was könnte hier der Hintergrund sein?

Ich denke, wir sollten immer längere Zeitreihen zum Ausgangspunkt von Interpretationen nehmen. Kriminalitätszahlen schwanken mehr oder weniger; richtig bedeutsam sind Entwicklungen erst dann, wenn sie zum Beispiel drei Jahre hintereinander steigen oder fallen.

Ich kann derzeit nicht sagen, warum Sachsen-Anhalt derzeit einen Rückgang verzeichnet. Vielleicht ist es einfach Zufall – gerade schwere Messerkriminalität passiert ja nicht tagtäglich und es müssen schon einige Bedingungen zusammenkommen, dass wir solche Taten haben. Vielleicht hat Sachsen-Anhalt auch stärker als andere Bundesländer mehr Ressourcen in die Prävention gesetzt, zum Beispiel durch mehr Polizeikontrollen oder mehr Aufklärungsarbeit an Schulen.

Im öffentlichen Diskurs sind vor allem öffentliche Attacken gemeint, wenn von Messerstraftaten die Rede ist. Häusliche Gewalt läuft hingegen unter dem Radar. Wie ist die prozentuale Verteilung? Und wird diese Differenz überhaupt in der Statistik erfasst?

Aus der Polizeilichen Kriminalstatistik können wir derzeit bisher nicht ablesen, wie die Verteilung nach Tatort beziehungsweise Täter-Opfer-Beziehung ist. Es gibt aber kriminologische Studien, die aufzeigen, dass etwa die Hälfte der Fälle von Messerkriminalität im öffentlichen Raum stattfindet. Insofern kann gesagt werden, dass häusliche Gewalt durchaus einen bedeutsamen Teil der Messerkriminalität ausmacht.

Besonders junge Männer scheinen eine Vorliebe für Messer zu entwickeln. Das Messer als Statussymbol: Was ist hier der Reiz oder Anziehungskraft? Wie kommt so ein Statussymbol zustande?

Männlichkeitskonzepte, die Dominanz, Stärke, Selbstdurchsetzung und so weiter beinhalten, sind wieder auf dem Vormarsch. Dies zeigen Befragungsstudien. Vor allem für junge Männer, denen es an schulischem Erfolg, stabilen Alltagsstrukturen oder Perspektiven fehlt, wirken mediale Vorbilder mit markantem Auftreten und starker Körperinszenierung offenbar besonders anziehend.

Um diese Dominanz auszustrahlen, sind Gegenstände ein probates Mittel. Das können schnelle Autos sein, bestimmte teure Kleidungsmarken und eben auch Waffen. Weil Schusswaffen kaum erreichbar sind, greifen viele auf Messer zurück – günstig, leicht zu beschaffen und ohne großen Aufwand mitzuführen. Ihr symbolischer Wert ist hoch, ihr Preis gering – genau das macht sie so reizvoll.

Prof. Dr. Dirk Baier
Prof. Dr. Dirk Baier (Quelle: Dirk Baier )

Zur Person

Dirk Baier ist Professor für Kriminologie an der Universität Zürich und leitet zusätzlich das Institut für Delinquenz und Kriminalprävention an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften, Departement Soziale Arbeit. Von 2005 bis 2015 hat er am Kriminologischen Forschungsinstitut Niedersachsen zunächst als wissenschaftlicher Mitarbeiter, später als stellvertretender Direktor gearbeitet und zahlreiche Studien zur Jugendkriminalität sowie zur Kriminalitätsentwicklung und -wahrnehmung betreut.

Die Herkunft der Täter wird mit jedem neuen Messerangriff neu debattiert. Was sind hier die Fallstricke? Wie aussagekräftig ist die Statistik?

Etwa jede zweite Tatperson bei Messerangriffen besitzt die deutsche Staatsangehörigkeit. Das allein zeigt: Ein einfacher Zusammenhang zwischen Herkunft und Messerkriminalität greift zu kurz.

Viel entscheidender sind andere Faktoren – etwa Alter, Geschlecht oder Wohnort. Ausländische Tatverdächtige sind im Schnitt jünger, häufiger männlich und leben öfter in Großstädten – alles Merkmale, die generell mit höherer Kriminalitätsbelastung korrelieren.

Hinzu kommt: Sie werden häufiger angezeigt und tauchen dadurch überproportional in der Polizeilichen Kriminalstatistik auf. Dunkelfeldstudien hingegen belegen keinen höheren Waffenbesitz. Kurz gesagt: Die Staatsangehörigkeit erklärt wenig – entscheidend sind soziale Lebenslagen und individuelle Risikofaktoren.

Als Reaktion auf Messerangriffe schlägt die Politik Messerverbotszonen vor. Was halten Sie von dieser Maßnahme?

Es ist sicher eine Maßnahme, die zur Anwendung kommen kann, wenn es ein Gebiet mit enormem Anstieg der Messerkriminalität gibt. Die stärkere polizeiliche Kontrolle kann dann zu einer Beruhigung führen. Allerdings stellten diese Zonen keine nachhaltige Maßnahme zur Prävention von Messerkriminalität dar, weil sie nicht an den Ursachen dieser arbeiten.

Es sind ja Menschen, die aus irgendwelchen Gründen Messer mit sich führen, die für Taten verantwortlich sind, nicht die Messer. Man muss also an den Menschen und ihren Einstellungen arbeiten; polizeiliche Kontrolle reicht hier nicht aus.

Was wäre stattdessen sinnvoll? Welche Maßnahmen fordern Sie von der Politik?

Ich fordere immer, dass herkömmliche Gewaltprävention gestärkt wird. Am besten funktioniert sie, wenn sie früh umgesetzt wird und möglichst viele Kinder und Jugendliche erreicht. Wer frühzeitig Empathie, Selbstkontrolle und Konfliktlösung lernt, ist später weniger anfällig für Gewalt – auch nicht für Messergewalt. Schulen spielen dabei eine Schlüsselrolle. Doch dafür brauchen sie die nötigen Mittel, um soziale Kompetenzen gezielt fördern zu können. Die Schulen sind daher mit den notwendigen Ressourcen auszustatten.

Verwendete Quellen
  • Schriftliches Interview mit dem Kriminologen Prof. Dr. Dirk Baier
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