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Explosion in Beirut – wie ein Zufall eine Deutsche rettete: "Wären da gewesen"


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Katastrophe in Beirut
Zufall rettete Deutsche vor Explosion: "Wir wären genau da gewesen"

  • Amir Addin
  • David Ruch
InterviewVon Amir Addin, David Ruch

Aktualisiert am 07.08.2020Lesedauer: 6 Min.
Rückkehr in zerstörte Wohnung: Olivia Schmitz entging durch Zufall der Katastrophe in ihrem Wohnort Beirut.Vergrößern des Bildes
Rückkehr in zerstörte Wohnung: Olivia Schmitz entging durch Zufall der Katastrophe in ihrem Wohnort Beirut. (Quelle: t-online.de/Privat)
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Die Explosionskatastrophe in Beirut hat Tausende Verletzte und etliche Tote gefordert. Dass Olivia Schmitz nicht vor Ort war, als es passierte, verdankt sie einer glücklichen Fügung.

Es ist etwa 18 Uhr (Ortszeit), als in Beirut die Hölle losbricht. Im Hafen der libanesischen Hauptstadt gerät ein Lager mit großen Mengen der Chemikalie Ammoniumnitrat in Brand, das mit so einer Wucht explodiert, dass im Umkreis von mehreren Kilometern Häuser zerstört werden, Fenster zu Bruch gehen, Tausende Menschen verletzt und etliche getötet werden.

Olivia Schmitz ist zum Zeitpunkt des Unglücks weit von Beirut entfernt, in einer kleinen Stadt am Meer im Norden des Landes. Erst seit einem Monat ist die junge Deutsche im Libanon und arbeitet dort für eine Hilfsorganisation, die sich für die Gleichstellung von Frauen einsetzt. Dass sie an diesem schicksalhaften Abend an einem Strand ist und nicht im Zentrum von Beirut, verdankt sie eigentlich dem Zufall, wie sie t-online.de berichtet.

t-online.de: Olivia, wo bist du gerade im Libanon?

Olivia Schmitz: Wir, also mein Partner und ich, sind in Batroun. Das ist etwa 50 Kilometer nördlich von Beirut an der Mittelmeerküste. Ursprünglich wollten wir schon vor einigen Tagen zurück in der Stadt sein. Doch dann hat sich unser Umzug verzögert. Hinzu kam, dass die Restaurants in Beirut geschlossen wurden, weil die Corona-Zahlen zuletzt anstiegen. Die Behörden sagten, man solle zuhause bleiben. Wir hätten also nichts machen können, in der Stadt war es noch dazu extrem heiß. Also entschieden wir uns, Beirut für ein paar Tage zu verlassen.

Das heißt, ihr hättet während der Explosion genauso gut in der Stadt sein können, wenn ihr euch anders entschieden hättet?

Ja, das stimmt. Eine Kollegin hatte uns angeboten, bei ihr in Beirut zu übernachten bis zu unserem Umzug. Sie wohnt nicht weit vom Hafen entfernt, im Viertel Mar Mikhael, das jetzt mit am schlimmsten betroffen ist. Sie war zuhause, als die Explosion geschah. Ihre Wohnung wurde völlig zerstört. Sie selbst musste verletzt ins Krankenhaus. Wenn ich mir vorstelle, dass wir eigentlich hätten dort sein sollen. Aber wir haben nur unsere Sachen da gelassen.

Wie habt ihr von dem Unglück erfahren?

Wir haben eine Whatsapp-Gruppe im Büro. Am frühen Dienstagabend schrieb mir eine Kollegin und fragte, ob alles OK sei mit mir. Ich dachte zunächst an die Proteste, die es seit Monaten in Beirut gibt. Dass es vielleicht Straßenblockaden gab und es diesmal vielleicht etwas schlimmer war als sonst. Dann schickte ein Kollege ein Bild, auf dem viel Nebel zu sehen war. Ich dachte mir noch immer nicht viel dabei. Oft werden bei den Protesten Reifen angezündet.

Dann aber meldete sich meine Kollegin, bei der unsere Sachen waren, und schickte uns ein Foto. Sie hatte sich ein Laken um den Kopf gewickelt. Man sah Blut. Sie schrieb: Ich komme hier nicht raus, meine Wohnung ist total zerstört. Das war der Moment, in dem ich mitbekommen habe, das etwas schlimmes passiert war.

Was dachtest du in diesem Moment, als du erfahren hast, was da geschehen ist?

Wir haben natürlich gleich bei Twitter geschaut und die Nachrichten gelesen. Und als wir die Bilder sahen, waren wir einfach schockiert. Das erschien alles unvorstellbar. Wir dachten daran, dass wir genau da gewesen wären, hätten wir uns nicht entschieden, erst einen Tag später in die Stadt zu fahren. Unsere neuen Vermieter hatten uns angeboten, schon am Dienstagabend zu kommen. Wir wären zum Zeitpunkt des Unglücks dann vermutlich gerade auf der Straße gewesen, die direkt neben dem Hafen nach Beirut hineinführt.

Du hast die Bilder aus Beirut angesprochen. Was ging dir durch den Kopf, als du die Aufnahmen von dieser ungeheuren Explosion gesehen hast?

Eine Million Dinge. Ich kann es bis jetzt nicht fassen, auch wenn wir am Mittwoch, am Tag danach, bereits in Beirut waren und die Zerstörungen gesehen haben. Aber als es geschah, waren wir am Meer, 50 Kilometer von Beirut entfernt. Wir haben nichts gehört. Die Leute um uns herum haben erst langsam mitbekommen, was da los war. Es war nicht real. Und wenn ich mir die Videos ansehe, kann ich mir immer noch nicht vorstellen, dass das wirklich passiert ist.

Und dann begann dein Handy zu glühen, weil Leute wissen wollten, wie es dir geht?

Ich dachte zunächst einmal, meine Familie weiß ja, dass ich nicht in Beirut bin. Doch dann kamen immer mehr Nachrichten und bis jetzt schreiben mir noch Leute und fragen, wie es mir geht. Mit manchen hatte ich kaum oder schon sehr lange keinen Kontakt mehr. Die Anteilnahme, die man von Freunden und Verwandten bekommt, ist unglaublich. Meine Mutter ist, glaube ich, seit zwei Tagen am Telefon, weil alle sie fragen, wie es mir geht.

Was habt ihr getan, als ihr wusstet, was passiert war?

Die Kollegin, die verletzt wurde, hatte uns gesagt, dass sie ins Krankenhaus wollte. Doch dann brach plötzlich der Kontakt zu ihr ab. Wir bekamen mit, dass die Kliniken restlos überfüllt waren und haben uns große Sorgen gemacht. Wir versuchten, ihren Freund zu erreichen und riefen auch alle anderen Leute an, die wir in der kurzen Zeit hier kennengelernt hatten. Und Gott sei Dank ging es allen gut.

Den ganzen Abend und die ganze Nacht waren wir nur am Telefon. Mein Freund, der hier für das Internationale Rote Kreuz arbeitet, bemühte sich um Informationen, während ich mit Leuten hier, in Deutschland und überall auf der Welt in Kontakt stand – um sie, aber auch um uns zu beruhigen. Irgendwann sind wir dann auch eingeschlafen, aber eine ruhige Nacht war es nicht.

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Und am Tag nach der Katastrophe seid ihr dann nach Beirut gefahren.

Genau. Unsere Kollegin, die inzwischen im Krankenhaus war, riet uns, unsere Sachen aus der Wohnung zu holen. Wir sollten auch Dinge für sie retten, die ihr sehr wichtig waren.

Wie war die Fahrt zurück in die Stadt?

Einfach schockierend. Schon Kilometer vom Hafen entfernt fing es an: alles voller Scherben, die Häuser zerstört. Menschen auf den Straßen, die versuchten zu retten, was zu retten war. Die letzten Kilometer mussten wir laufen, weil kein Durchkommen mehr war. Man sah viele Helfer des Roten Kreuzes. Vor den Häusern fegten Menschen das Glas beiseite. Wir kamen an dem Ort vorbei, an dem wir in dem ersten Monat in Beirut gewohnt hatten. Er war total zerstört. Wie auch das Haus, in dem wir eigentlich hätten sein sollen. Das war sehr emotional und ergreifend.

Konntet ihr rein in die zerstörte Wohnung?

Wir waren zunächst unsicher. Von außen sah man es nicht richtig, aber innen war alles zerstört. Es gab praktisch keine Wände mehr. Wir mussten über die Trümmer in die Wohnung klettern.

Hat man euch dabei geholfen?

Allerdings. Leute sahen, wie wir die schweren Koffer aus der Wohnung tragen wollten und kamen uns zu Hilfe. Wildfremde Menschen. Wir blieben dann noch etwas in Stadt, gingen zu einem Freund meines Partners, der ganz in der Nähe wohnt, um zu schauen, ob wir ihm helfen können. Als es Abend wurde, sind wir dann wieder nach Batroun gefahren.

Nach dem was du gesehen hast, wie gehen die Einwohner von Beirut mit der Katastrophe um?

Sie zeigen ganz viel Solidarität. Es ist unglaublich, wie sich die Menschen helfen. Alle Leute egal welcher Religion sind auf den Straßen, vor allem die jungen. Alle versuchen, mit anzupacken. Gruppen haben sich organisiert, die Wasser verteilen. Leute mit Schaufeln und Helmen beseitigen den Schutt. Eine Person, die ich gar nicht kannte, die aber mit jemandem befreundet war, bei der ich mal wegen einer Wohnung angefragt hatte, schrieb mich an und fragte, ob es uns gut geht und ob wir bei ihr in den Bergen unterkommen wollten. Diese Solidarität ist wirklich unglaublich.

Die Zerstörungen allerdings sind verheerend. Was sind deine Gedanken, wenn du an die nahe Zukunft in Beirut denkst?

Um mich selber mache ich mir keine Sorgen. Ich bin in der privilegierten Situation, gehen zu können, wenn es zu schlimm wird. Aber wenn ich an die Menschen denke. Die wirtschaftliche Lage war für so viele schon vor dem Unglück schrecklich. Und jetzt haben Tausende ihre Häuser und Wohnungen verloren. Ich mache mir wirklich Sorgen um das Land, das eigentlich so wunderschön ist.

Was wollt ihr jetzt tun?

Die Wohnung, in die wir ziehen wollen, ist soweit bewohnbar. Zwei Fenster sind kaputt. Aber die halbe Stadt hat keine Fenster mehr, und auch vorher gab es keine Materialien. Wir schauen jetzt von Tag zu Tag. Was ich so höre, gibt es auch Probleme mit der Versorgung. Viele Geschäfte sind zerstört, die Krankenhäuser völlig überfordert. An allen Ecken und Enden braucht das Land jetzt einfach viel Hilfe.

Kannst du dir vorstellen, Beirut jetzt zu verlassen?

Tatsächlich stand eine Rückkehr der Mitarbeiter unserer Organisation zur Debatte. Aber für mich ist das derzeit keine Option. Mir geht es soweit gut, ich bin nicht in Gefahr. Mich treibt eher um, wie wir unsere Arbeit hier fortsetzen können, wie wir vielleicht auch anderen Organisationen jetzt helfen können. Das gibt mir Motivation, hier zu bleiben. Sobald es geht, werde ich wieder nach Beirut zurückgehen.

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