Vergiftungswelle an Mädchenschulen Teheran meldet zahlreiche Festnahmen – Kritiker zweifeln
Im Iran wurden zahlreiche Mädchen an Schulen vergiftet. Nun meldet die Regierung mehr als hundert Festnahmen. Kritiker hingegen machen das Regime verantwortlich.
Seit Monaten rollt eine Vergiftungswelle durch Mädchenschulen im Iran. Nun hat die Regierung in Teheran erste Festnahmen gemeldet. Mehr als 100 Menschen, die für die Vorfälle in Mädchenschulen "verantwortlich" seien, "wurden identifiziert, festgenommen und gegen sie wird ermittelt", erklärte das Innenministerium laut der staatlichen Nachrichtenagentur Irna am Samstagabend. Um welche Personen es sich genau handelt, blieb unklar.
Laut Teheran seien unter den Festgenommenen Menschen mit "feindseligen Motiven". Das Innenministerium prüfe eine mögliche Verbindung zu einer iranischen Exil-Oppositionsgruppe: Die Volksmudschahedin des Iran, die auch als Mudschahedin-e-Khalq (MEK) bekannt sind. Sie werden vom Iran als Terrororganisation eingestuft. Im Propaganda-Fernsehen des Regimes beschuldigte Majid Mirahmadi, der für die Sicherheitskräfte zuständige Vize-Innenminister, zuvor die Mädchen selbst, für die Vergiftungen verantwortlich zu sein, berichtet das "Iran Journal". Demnach bezeichnete er die Vergiftungen an Schulen als ein "kindisches Abenteuer".
Das Ausmaß der Vergiftungen aber wiederlegen diese Aussage: Nach offiziellen Angaben waren insgesamt mehr als 5.000 Schülerinnen in etwa 230 Schulen in 25 der 31 iranischen Provinzen betroffen – darunter Schulen, deren Schülerinnen seit September 2022 besonders gegen das islamische Regime protestierten. Die betroffenen Schülerinnen klagten über Kopfschmerzen, Übelkeit, Atemnot, Schwindel und taube Gliedmaßen. Zuvor hatten viele von ihnen einen unangenehmen Geruch bemerkt. Zahlreiche Mädchen mussten ins Krankenhaus eingeliefert und beatmet werden.
Expertin: "Das Regime ist nervös"
Kritiker und Experten zweifeln die Festnahmen und Aufklärung durch das iranische Regime an. "Die faire Verfolgung solcher Fälle fordert eine unabhängige Justiz. Die gibt es im Iran nicht", sagt etwa die Soziologin Azadeh Akbari der "Zeit". Mehr zur Justiz im Iran lesen Sie hier. Stattdessen vermutet sie, wie viele weitere Experten, dass das Regime, zumindest inoffiziell hinter den Anschlägen steckt.
"Das Regime ist nervös, denn diese Mädchen haben bereits an der Schule erste Erfahrungen mit politischem Aktivismus gemacht. Das muss aus Sicht des Staats niedergeschlagen werden", so Akbari. In der Geschichte der Islamischen Republik habe man immer wieder beobachtet, dass gesellschaftliche Gruppen und Schichten, welche das Regime infrage stellten, angegriffen wurden – "und zwar nicht von offiziellen, sondern inoffiziellen Kräften und Anhängern des Staats", so die Expertin.
Mit inoffiziellen Anhängern meint sie die Basidsch-Milizen. Sie sind inoffizielle Freiwillige der islamischen Revolutionsgarde, die oftmals in Zivilkleidung auftreten. "Als inoffizielles Sicherheitsorgan des Regimes hat die Basidschi-Miliz Zugang zu Waffen und Stoffen, den Zivilisten nicht haben", sagt Akbari. Die Anschläge könnten vom Regime inoffiziell dazu genutzt werden, die Proteste gegen das Regime zu unterdrücken und die Bevölkerung abzulenken, so die Expertin.
- Nachrichtenagentur dpa
- zeit.de: "In diesem System handeln einige Anhänger auf eigene Faust"
- iranjournal.org: "Ein kindisches Abenteuer"