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Debatte um Winnetou-Bücher: Es geht um viel mehr


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Debatte um Winnetou-Verkaufsstopp
Es geht nicht nur um Kinderbücher


Aktualisiert am 23.08.2022Lesedauer: 7 Min.
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Pierre Brice als Häuptling Winnetou und Lex Barker als Old Shatterhand: Die Winnetou-Filme waren in den 1960er-Jahren Kino-Kassenschlager. (Quelle: IMAGO/Central Cinema Company Film / Ja)
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"Der junge Häuptling Winnetou" steht künftig nicht mehr im Bücherregal. Wie kam es dazu – und warum geht die Debatte weit über das Kinderbuch hinaus?

Dass der Spieleverlag Ravensburger mehrere Winnetou-Produkte aus dem Sortiment nimmt, hat eine heftige Diskussion angestoßen – zwischen Politikern, Künstlern und Nutzern der sozialen Medien. Einige verstehen nicht, warum die Bücher über den Häuptling nicht mehr verkauft werden sollen. Andere finden: Dieser Schritt war längst überfällig. Eindeutig ist jedoch: Es geht um viel mehr als nur Karl Mays Vermächtnis.

Was ist passiert?

Im Mittelpunkt der aktuellen Debatte steht das Kinderbuch "Der junge Häuptling Winnetou", welches auf den berühmten Werken von Karl May beruht und im Ravensburger Verlag erschienen ist. Es handelt sich dabei um das Buch zu einem gleichnamigen Film, der am 11. August in die Kinos kam. Am selben Tag verkündete die vor allem für ihre Spiele und Puzzles bekannte Firma Ravensburger, gleich mehrere Winnetou-Produkte aus dem Verkauf zu nehmen. Der Grund: Rassismus-Vorwürfe. Konkret geht es um ein Kinderbuch ab acht Jahren, ein Erstleserbuch, ein Puzzle sowie ein Stickerbuch.

Daraufhin entbrannte in sozialen Medien eine Debatte: Auf der einen Seite stehen die Unterstützer der Entscheidung, auf der anderen Seite die Kritiker, die ihr Unverständnis äußerten und die Firma der Selbstzensur oder des Einknickens bezichtigten.

Wie begründet Ravensburger seine Entscheidung?

Ravensburger entschied sich nach eigenen Angaben wegen "vieler negativer Rückmeldungen", "Der junge Häuptling Winnetou" aus dem Programm zu nehmen. "Euer Feedback hat uns deutlich gezeigt, dass wir mit den Winnetou-Titeln die Gefühle anderer verletzt haben", hieß es in einem Instagram-Beitrag. Dies sei nie die Absicht gewesen und sei nicht mit den Werten von Ravensburger zu vereinbaren.

Ein Sprecher des Verlags teilte am Montag auf Anfrage mit, bei den genannten Winnetou-Titeln sei man nach Abwägung verschiedener Argumente zu der Überzeugung gelangt, dass angesichts der geschichtlichen Wirklichkeit – der Unterdrückung der indigenen Bevölkerung in Amerika – hier ein "romantisierendes Bild mit vielen Klischees" gezeichnet werde. Die Kritik hatte sich zunächst vor allem an der gleichnamigen Verfilmung entbrannt, weil der Film rassistische Vorurteile bediene und eine kolonialistische Erzählweise nutze.

Der Stoff um Winnetou habe "viele Menschen begeistert", sei aber "weit entfernt von dem, wie es der indigenen Bevölkerung tatsächlich erging", so der Sprecher. Der Verlag wolle "keine verharmlosenden Klischees wiederholen und verbreiten".

Was ist die Kritik an den Winnetou-Büchern?

Besonders in den sozialen Medien wurde das Thema hitzig diskutiert – und es bildeten sich eindeutige Lager unter den Hashtags #winnetou und #ravensburger. Auf der einen Seite: Die Menschen, die den Verkaufsstopp von Ravensburger nachvollziehen können und unterstützen. Die Winnetou-Produkte gäben rassistische Stereotype wieder, so ihre Kritik. Dabei geht es einerseits darum, wie indigene Völkergruppen aus Nordamerika, zu denen auch die fiktive Figur Winnetou gehört, in den Karl-May-Büchern dargestellt werden. Anderseits dreht sich die Debatte darum, dass indigene Völker aus Amerika und Kanada als "Indianer" bezeichnet werden.

Was sind Stereotype?

Ein Stereotyp bezeichnet eine überwiegend starre Vorstellung von Personen oder Gruppen. Der amerikanische Journalist Walter Lippmann prägte den Begriff 1922. Demnach ist jeder Mensch aufgrund bestimmter Merkmale Kategorisierungen unterworfen, etwa in Bezug auf Alter, Ethnie, Geschlecht oder Hautfarbe. Zum Beispiel wird Deutschen nachgesagt, dass sie immer pünktlich seien – dabei ist das eine Pauschalisierung. Nicht jeder Bürger in Deutschland achtet auf Pünktlichkeit.

Es "wird heftig und kontrovers darüber diskutiert, ob das deutsche Wort 'Indianer' rassistisch ist und ob es aus dem deutschen Sprachgebrauch entfernt werden sollte", erklärt die Organisation "Native American Association of Germany e. V." (NAAoG) auf ihrer Webseite. Das gehe inzwischen so weit, dass oftmals nur noch von dem "I-Wort" die Rede sei. Dem Verband selbst gehe es jedoch nicht darum, das Wort aus dem deutschen Sprachgebrauch zu streichen – sondern darum, dass den Menschen, die "Indianer" genannt werden, keine Klischees und Stereotype auferlegt werden.

Die Bezeichnung "Indianer" stammt aus der Kolonialzeit, als der Entdecker Christoph Kolumbus 1492 fälschlicherweise dachte, Indien entdeckt zu haben, aber in Amerika landete.

Native American Association of Germany e.V.

Die NAAoG ist nach eigenen Angaben eine Bildungsstätte für Europäerinnen und Europäer, die ihr Wissen über "indianische" Nationen (Native American Nations) erweitern und Informationen aus erster Hand erhalten möchten. Zudem bietet sie eine zentrale Anlaufstelle für Native Americans, die Europa besuchen möchten oder dort leben.

574 staatlich anerkannte indianische Nationen bzw. Stämme

Das Wort "Indianer" ruft Assoziationen wach, die stark von Klischees geprägt sind und wenig mit der Wirklichkeit zu tun haben. Menschen, die pauschalisierend "Indianer" genannt werden, kommen aus unterschiedlichen Volksgruppen auf dem amerikanischen Kontinent. US-Behörden zufolge gibt es allein in den Vereinigten Staaten 574 staatlich anerkannte indianische Nationen beziehungsweise Stämme und Stammesgruppen. Die zugehörigen Menschen werden dort "Native Americans" genannt.

In Kanada werden die Urvölker Behörden zufolge als "Indigenous People" ("indigene Völker") oder "Aboriginal Peoples" ("Aborigine-Völker") bezeichnet. Diese werden in der kanadischen Verfassung in drei Gruppen unterteilt: Die "First Nations" (die "Ersten Nationen", zu denen mehr als 630 indianische Gemeinden gehören), die Inuit und die Métis. Die Regierung betont: "Es handelt sich um drei verschiedene Völker mit einer einzigartigen Geschichte, Sprache, kulturellen Praktiken und spirituellen Überzeugungen." Aufgrund dieser Individualität empfinden viele zugehörige Völker den Begriff "Indianer" als hochproblematisch und verletzend.

Verband kritisiert "Indianer"-Klischees

Die Klischees, die mit dem Begriff "Indianer" einhergehen, benennt die NAAoG auf ihrer Webseite: Dazu gehören etwa die Lederkleidung mit Fransen, das Stirnband mit Federn, die Kriegsbemalung, "Indianergeheul" und Tipidörfer mit Marterpfahl. Dabei kommt womöglich vielen nicht nur Winnetou in den Kopf – sondern auch Karnevalskostüme, die bei Jung und Alt zur "Fünften Jahreszeit" sehr beliebt sind.

In diesem Zusammenhang sorgte ein Hamburger Kindergarten bereits 2019 für Aufsehen. "Wir möchten Sie bitten, gemeinsam mit Ihren Kindern bei der Auswahl des Kostüms darauf zu achten, dass durch selbiges keine Stereotype bedient werden", hieß es in einer Mitteilung an die Eltern. Das Vorgehen sei Teil der "diskriminierungsfreien und vorurteilsbewussten Erziehung" der Kita. Die Empörung war groß.

"Ich fühle mich davon wirklich beleidigt"

"Wenn die Welt wüsste, über welchen Quatsch wir streiten, hätte sie keine Angst oder Respekt mehr vor uns", sagte etwa CSU-Chef Markus Söder. Auch die damalige CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer reagierte – die Deutschen seien derzeit sehr verkrampft.

Unter anderem im Magazin "Vice" erklärte hingegen ein nach eigenen Aussagen echter Indigener bezüglich der "Indianer"-Kostüme: "Ich fühle mich davon wirklich beleidigt." Auch er führte die Begründung an, dass in den USA mehr als 500 Stämme existierten. "Und weil alle über 500 indigenen Stämme sich in etwa so sehr ähneln wie die Deutschen den Russen. Gleiche Hautfarbe – und da hört es dann schon auf", schrieb Tyrone White.

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Die NAAoG führt die Pauschalisierung der indigenen Bevölkerungsgruppen unter anderem auf Unkenntnis zurück. "Gegenstände, die zum Teil sogar eine spirituelle Bedeutung haben und die aus dem Kulturgut völlig verschiedener Nationen stammen, werden einfach miteinander vermischt und als 'indianisch' betitelt", heißt es auf der Webseite mit Blick auf Tipis, Pfeil und Bogen und Co.

Die Organisation ruft dazu auf, Kinder bereits von klein auf für das Thema zu sensibilisieren. "Es ist sehr wichtig zu reflektieren, was den Kindern vermittelt wird, wenn 'wilde Indianertänze' um das Lagerfeuer mit 'Kriegsbemalung' und 'Indianergeheul' als Ehrung der indigenen Nationen Nordamerikas bezeichnet werden." Die betroffenen Völker sollten nicht "auf eine einzige Klischeevorstellung reduziert werden".

Was sagen Kritiker des Verkaufsstopps?

Trotz der Widerstände von Verbänden und betroffenen Völkergruppen stößt der Verkaufsstopp der Winnetou-Bücher bei vielen auf Unverständnis. Auf Twitter bezeichneten einige Nutzerinnen und Nutzer die Figur als "Helden der Kindheit" – sie hätten ihn geliebt. So auch der ehemalige Vizekanzler Sigmar Gabriel: "Als Kind habe ich Karl Mays Bücher geliebt, besonders Winnetou. Als mein Held starb, flossen Tränen", twitterte der SPD-Politiker im Rahmen der Debatte. "Zum Rassisten hat mich das ebenso wenig gemacht wie Tom Sawyer und Huckleberry Finn", so Gabriel.

Auch die Schauspielerin Uschi Glas, die 1966 durch die zweite Titelrolle im Karl-May-Klassiker "Winnetou und das Halbblut Apanatschi" große Bekanntheit erlangte, kritisierte die Debatte: "Man soll doch aufhören, hier auf Biegen und Brechen einen Anlass zu finden, über etwas zu schimpfen", sagte sie der "Bild". Lesen Sie hier mehr dazu.

Unter dem Instagram-Beitrag von Ravensburger heißt es unter den kritischen Stimmen: "Ein Märchen. Es ist ein Märchen", "Ein Fehler – jetzt wird der Shitstorm noch größer" und "Ihr tickt nicht mehr richtig!". Die Menschen beschweren sich über die angebliche Minderheit, die die Winnetou-Produkte kritisiert: Der Verkaufsstopp sei nicht im Sinne der Mehrheit. Ravensburger knicke ein und zensiere Inhalte.

Auch der Karl-May-Experte Andreas Brenne hält "Der junge Häuptling Winnetou" für unbedenklich und kritisierte die Entscheidung des Verlags. "Ich halte es für nicht richtig, ein solches Buch nur aufgrund eines Shitstorms aus dem Verkehr zu ziehen", sagte der Professor für Kunstpädagogik der "Neuen Osnabrücker Zeitung".

Schon in einer Vorbemerkung werde klargestellt, dass das Buch als fiktive Geschichte und nicht als sachgerechte Darstellung des Lebens indigener Völker zu verstehen sei. Brenne warnte davor, den Vorwurf der falschen kulturellen Aneignung unreflektiert zu generalisieren. "Schon das Verkleiden als Indianer gilt dann als rassistischer Akt", erklärte Brenne, der in der Karl-May-Gesellschaft an Programmfragen mitarbeitet.

Kulturelle Aneignung

Mit kultureller Aneignung ist gemeint, dass Menschen sich einer Kultur bedienen, die nicht ihre eigene ist, zum Beispiel durch Musik oder Bekleidung. Kritisiert wird vor allem, wenn Mitglieder der Mehrheitsgesellschaft sich einzelner Elemente der Kultur einer Minderheit bemächtigen, sie kommerzialisieren und aus dem Zusammenhang reißen.

Zuvor hatte auch die von den Bundesländern getragene Deutschen Film- und Medienbewertung (FBW), die Filme auf ihre Qualität hin begutachtet, eine gespaltene Meinung zu dem Film des gleichnamigen Buches veröffentlicht. Einige Jurymitglieder halten es demnach heute für nicht mehr zulässig, einen Film "im Geist der mythisch aufgeladenen und sehr klischeehaft darstellenden Karl-May-'Folklore' zu realisieren".

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Bei einer großen Mehrheit der Jury fand der Film den Angaben der FBW zufolge aber Zustimmung. Sie verwiesen darauf, dass Karl May seine Erzählungen aus seiner Fantasie geschrieben habe. Auch die Verfilmungen in den 1960er-Jahren seien Märchen, welche die Welt der indigenen Völker "im absolut klischeehaften Bild darstellten". Dies in einen Kinderfilm von heute märchenhaft einzubringen, sei durchaus legitim, befanden die Jury-Mitglieder. Der Film erhielt letztlich das Prädikat besonders wertvoll.

Welche Konsequenzen zieht Ravensburger außerdem?

Auf Instagram verkündete das Unternehmen, "aus dem Fehler zu lernen". Die Redakteurinnen und Redakteure beschäftigten sich intensiv mit Themen wie Diversität oder kultureller Aneignung. Die Mitarbeitenden diskutierten die Folgen für das künftige Programm und überarbeiteten das bestehende Sortiment. Dabei würden auch externe Fachberater zurate gezogen und "Sensitivity Reader" eingesetzt, die die Titel kritisch auf den richtigen Umgang mit sensiblen Themen prüfen sollten.

"Leider ist uns all das bei den Winnetou-Titeln nicht gelungen", räumte Ravensburger ein und betonte: "Die Entscheidung, die Titel zu veröffentlichen, würden wir heute nicht mehr so treffen."

Verwendete Quellen
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