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AfD im Aufwind: Blau, blau blüht die Machtfantasie


AfD-Siege im Osten
Die blaue Machtfantasie

  • Uwe Vorkötter
MeinungEine Kolumne von Uwe Vorkötter

17.09.2024Lesedauer: 6 Min.
Meinung
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imago images 0758833611Vergrößern des Bildes
AfD-Parteichefs: Alice Weidel (l.) und Tino Chrupalla wollen das Land gestalten. (Quelle: IMAGO/Chris Emil Janssen/imago)

Die AfD im Siegesrausch. Weidel, Chrupalla und Höcke wollen regieren. Hat die rechte Partei einen Anspruch auf Koalitionen und Ministerposten? Und hat sie eine Strategie, die sie an die Macht führt?

Jetzt also Brandenburg. Sonntag, 18 Uhr: Im Fernsehen schießen die blauen Balken in die Höhe. Die nächste Landtagswahl, der nächste Erfolg der AfD, so wird es kommen. Platz eins vor der SPD? Oder knapp dahinter? Alice Weidel und Tino Chrupalla werden auf jeden Fall wieder ihren Anspruch anmelden: Wir wollen regieren! Mindestens mitregieren. Ein Drittel der Wähler kann man doch nicht einfach ausschließen, sagten sie nach den Wahlen in Thüringen und Sachsen. Wenn die "Altparteien" der AfD die Zusammenarbeit verweigern, ist das undemokratisch, erklärte Chrupalla. Anti-demokratisch nannte es Weidel. Stimmt das? Ist der Anspruch der AfD auf die Regierungsämter berechtigt?

Die Antwort überlasse ich dem kürzlich verstorbenen Fußballtrainer Christoph Daum, der einmal über Sport und Politik ins Philosophieren geriet: "Es muss nicht immer die absolute Mehrheit sein", sagte Daum, "manchmal reichen auch 51 Prozent." Ein tiefsinniger Satz aus der Welt der alternativen Mathematik, aber im Ergebnis sehr überzeugend: 51 Prozent reichen. Nicht 31 Prozent.

Regieren heißt, Mehrheiten zu organisieren. Zwangskoalitionen sind im Grundgesetz nicht vorgesehen. Wenn die AfD also keinen Partner findet, kann sie nicht regieren. Helmut Kohl holte bei einer Bundestagswahl einmal 48,6 Prozent der Stimmen für die Union. SPD und FDP wählten trotzdem Helmut Schmidt zum Bundeskanzler. Da hilft kein Jammern.

Zwei mögliche Wege zur Macht

Die Medien beschäftigen sich gern ausgiebig mit der Frage, wie schlimm eine Regierungsbeteiligung der AfD wäre. Ob die Demokratie dann untergeht, ob Thüringen noch zu retten ist, ob die Gendersternchen verboten werden, ob Höcke der neue Führer wird. Alles wichtige Fragen, wenn auch gelegentlich etwas hochgejazzt. In dieser Kolumne stelle ich eine andere, ganz pragmatische Frage: Kann die AfD eine Mehrheit organisieren? Hat sie eine Strategie, um an die Regierung zu kommen?

Die Antwort ist einfach und doch kompliziert: Für die AfD gibt es nicht nur eine, sondern sogar zwei Strategien auf dem Weg zur Macht. Allerdings schließen sich diese beiden Strategien gegenseitig aus.

Die erste Strategie folgt rechtspopulistischen Vorbildern aus anderen Ländern. Zum Beispiel Frankreich. Dort will Marine Le Pen Staatspräsidentin werden. Ihr Zauberwort auf dem Weg in den Élysée-Palast heißt: dédiabolisation. Auf Deutsch: Entdämonisierung. Wer regieren will, so die Logik, muss für breite Bevölkerungsschichten wählbar sein, nicht nur für den rechten Rand. Er oder sie muss die Dämonen, die an diesem Rand lauern, abschütteln: Rassismus, Antisemitismus, Hitlergruß. Marine Le Pen fällt seit Langem durch eine moderate Sprache auf, sie zeigt sich volksnah, typisch rechte Positionen mischen sich mit linken. Ihr Rassemblement National ist mit dem Front National, den sie von ihrem Vater geerbt hat, kaum noch zu vergleichen.

Chrupalla will keine "Melonisierung" der Partei

Giorgia Meloni in Italien ist ein anderes Beispiel. Die "Postfaschistin" hat es an die Spitze der Regierung geschafft – und vom Faschismus ist nicht viel übrig geblieben. Schauen Sie sich die Bilder an: Meloni mit Scholz, Meloni mit von der Leyen, Meloni im Kreis der Staats- und Regierungschefs, bei der EU, bei den G7, bei der Nato. Europas Rechte sahen in ihr die legitime Erbin Mussolinis, aber als Duchessa taugt Meloni nicht. Sie steht an der Seite des Westens und Amerikas, unterstützt die Ukraine. Italien sucht händeringend ausländische Fachkräfte für die Tourismus-Branche. Eine Seeblockade gegen die Flüchtlinge im Mittelmeer hat Meloni nicht verhängt.

Müsste sich die AfD ähnlich entwickeln, um die politische Isolation zu überwinden? Die Antwort erübrigt sich, aus Erfahrung. Ihr Gründer Bernd Lucke, ein konservativer Wirtschaftsprofessor, verließ die AfD, weil er nicht länger das bürgerliche Aushängeschild einer Protest- und Wutbürgerpartei sein wollte. Das war 2015. Zwei Jahre später ging seine Nachfolgerin Frauke Petry. Sie wollte die AfD schnell regierungsfähig machen, hatte aber keine Chance gegen eine anarchische rechte Mehrheit. Jörg Meuthen trat 2022 zurück. Begründung: Er habe den Machtkampf mit dem rechtsextremen Flügel um Björn Höcke verloren.

Die AfD geht den Weg von Le Pen und Meloni ausdrücklich nicht. Tino Chrupalla lehnt die "Melonisierung" seiner Partei strikt ab. Die AfD hat sich in ihrer elfjährigen Geschichte aus der Mitte immer weiter nach rechts bewegt. So weit, dass die rechtsnationale Parteienfamilie in Europa mit den Deutschen inzwischen nichts mehr zu tun haben will. Für den Weg zurück zur Mitte gibt es in der AfD keine Mehrheit.

Ähnlich wie einst Franz-Josef Strauß

Also kommt nur die zweite Strategie infrage: Die AfD geht ihren Weg allein, ohne Koalitionspartner. Aber mit Partnern außerhalb der Parlamente. Erstens mit den Vulgärpopulisten, die auf den Straßen Druck machen, die den Widerstand gegen die da oben schüren; mal heißen sie Pegida, mal Freie Sachsen, mal geht es um Corona, meistens geht es gegen Ausländer. Zweitens mit den rechtsextremen Intellektuellen außerhalb der Partei, die in ihren Aufsätzen und Büchern den Weg zur Macht skizzieren.

Sie erfinden die Politik nicht neu, es gibt dafür Vorbilder, auch in der bundesdeutschen Geschichte. Die "Sonthofen-Strategie" gehört dazu, die Älteren unter Ihnen erinnern sich vielleicht. Franz-Josef Strauß wollte die Union in den Siebzigerjahren auf einen Kurs der Obstruktion gegen die damalige Regierung von Helmut Schmidt festlegen. "Es muss alles noch schlimmer werden", wetterte der CSU-Chef bei einer Klausurtagung in Sonthofen, damit die Opposition die Regierung stürzen könne. Erkennen Sie in der Wortwahl der AfD-Politiker Ähnlichkeiten?

Uwe Vorkötter
(Quelle: Reinaldo Coddou H.)

Zur Person

Uwe Vorkötter gehört zu den erfahrensten Journalisten der Republik. Seit vier Jahrzehnten analysiert er Politik, Wirtschaft und Gesellschaft, er hat schon die Bundeskanzler Schmidt und Kohl aus der Nähe beobachtet. Als Chefredakteur leitete er die "Stuttgarter Zeitung", die "Berliner Zeitung" und die "Frankfurter Rundschau". Er ist Herausgeber von "Horizont", einem Fachmedium für die Kommunikationsbranche. Nach Stationen in Brüssel, Berlin und Frankfurt lebt Vorkötter wieder in Stuttgart. Aufgewachsen ist er im Ruhrgebiet, wo man das offene Wort schätzt und die Politik nicht einfach den Politikern überlässt. Bei t-online erscheint jeden Dienstag seine Kolumne "Elder Statesman".

Aber auch vor Anleihen bei der politischen Linken scheuen die rechten Strategen keineswegs zurück. Sie warnen davor, sich in das System der "Kartellparteien" (Höcke) einzufügen. Wahlen gewinnen, um die Gunst der Eliten zu erlangen? Im Gegenteil, es komme darauf an, diese Eliten Schritt für Schritt durch eigene Leute zu ersetzen. So wie es einst die linke Apo propagiert hat, die außerparlamentarische Opposition. Rudi Dutschke, der charismatische Führer der 68er-Bewegung, forderte die Studenten damals auf, den langen Marsch durch die Institutionen anzutreten. Längst sitzen die Nachfolger der Apo an den Schalthebeln der Macht – in den Parlamenten, in den Medien, in der Justiz, in den Universitäten, in den Kulturinstitutionen. Die Rechten treten ihren langen Marsch jetzt an. Niemand sollte ihre Entschlossenheit, ihre Geduld und ihre Beharrlichkeit unterschätzen.

Die intellektuellen Vordenker der Rechten

Nehmen Sie noch eine Portion Brachialrhetorik der Marke Trump dazu, außerdem die konsequente Polarisierung der politischen Debatten auf Facebook und TikTok – dann haben Sie alle wesentlichen Ingredienzien des AfD-Machtcocktails beisammen.

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Ich bin Ihnen noch eine Antwort schuldig: Wer sind diese rechten Intellektuellen, die das theoretische Rüstzeug der AfD erarbeiten? Falls Ihnen spontan Namen wie Reichelt, Köppel oder Tichy einfallen: Nein, die sind nicht gemeint. Die haben ihre Fans auch im AfD-Umfeld, weil sie so gruselig-düstere Medien für Menschen mit beginnender Altersdepression machen. Aber hier geht es um Leute wie Götz Kubitschek, der sich Verleger der Neuen Rechten nennt. Oder um Martin Sellner (ja, der aus dem Potsdamer Landhaus, der mit der "Remigration", aber das spielt hier keine Rolle).

Kubitschek schreibt der Alternative für Deutschland ins Stammbuch: "Es gibt keine Alternative im Etablierten, das Etablierte muß (sic!) zu den Bedingungen der Alternative verändert werden." Sellner hat den Plot zur Machtübernahme geschrieben, ein Buch mit dem bezeichnenden Titel "Regime Change von rechts". Ein Regime ist eine demokratisch nicht legitimierte Regierung. Regime Change steht für den Regierungswechsel durch Invasion, Putsch oder Bürgerkrieg – nicht durch demokratische Wahlen. Okay, die rechtslastigen Autoren haben gelegentlich einen schrägen Humor, kann natürlich alles feine Ironie sein. Ich neige dazu, Autoren wörtlich zu nehmen.

Der Erfolg der AfD hängt von der CDU ab

Björn Höcke, der Wahlsieger von Thüringen, lobt Sellners Buch als – wörtlich – "bedeutendes Werk, das sich zum Handbuch für die deutsche Volksopposition mausern könnte". Höcke redet allerdings mal so, mal so. Nach der Wahl in Thüringen forderte er die CDU auf, sich zwischen Marxismus, also Wagenknechts BSW, und einer "bürgerlichen Politik mit der AfD" zu entscheiden. Das klingt konziliant, nach Strategie Nummer eins. Dieselbe CDU hatte er noch kurz vor der Wahl eine "transatlantische Vasallenpartei" genannt, die keine deutschen, sondern amerikanische Interessen vertrete – Strategie Nummer zwei. Im Erfurter Landtag fordert die AfD-Fraktion die üblichen parlamentarischen Rechte ein, etwa den Posten des Landtagspräsidenten. Außerhalb des Landtags spricht Höcke vom "Parlamentstheater".

Vorsichtig gesagt: Björn Höcke hat zum Parlamentarismus und zu den Institutionen der Demokratie ein taktisches Verhältnis.

Und Weidel? Und Chrupalla? Alice Weidel galt in der AfD lange als politische Gegenspielerin Höckes, als Vertreterin eines gemäßigten Kurses. Wenn sie dabei geblieben wäre, hätte sie längst das Schicksal von Lucke, Petry und Meuthen ereilt. Sie hat sich mit Höcke arrangiert. Am Wahlabend haben sich die beiden sehr, sehr herzlich umarmt. Chrupalla, der scheinbar bieder-seriöse Handwerksmeister aus Sachsen, hat ohnehin keine Berührungsängste mit den Rechtsextremen.

Letzte Frage: Hat die radikale Strategie der AfD Aussicht auf Erfolg? Kommt sie auf diesem Weg an die Macht? Das hängt weder von Weidel ab noch von Chrupalla. Auch nicht von Höcke. Es hängt von der CDU ab, die demnächst mutmaßlich den Kanzler stellen wird. Wenn auch die nächste Regierung an den Problemen des Landes – Migration, innere Sicherheit, Wohnungen und Mieten, Niedergang der Wirtschaft – scheitert, dann werden die AfD und ihre rechten Vordenker ihrem Ziel näherkommen. Falls sich nach dem Ampel-Desaster eine Regierung der Mitte wieder Respekt und Anerkennung verschaffen kann, hat diese Strategie keine Chance. Dann bleibt der AfD die Opposition. Da hilft kein Jammern.

Verwendete Quellen
  • Eigene Überlegungen
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