Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Braune Brut der AfD Wie konnte das passieren?
Eine ARD-Doku führt die Machtergreifung der Rechtsextremisten in der AfD erschütternd vor Augen. Die letzten Liberalen verlassen die Partei. Warum aber hat sie in der Bevölkerung diesen Zulauf?
Eine Kolumne von Christoph Schwennicke
"Im Kino gewesen. Geweint." Hat mal einer geschrieben. "Ferngesehen. Schlecht geschlafen", sage ich jetzt mit einer Anleihe bei Franz Kafka nach einem Abend vor dem Bildschirm am Morgen danach.
Es passiert mir nicht mehr so oft, dass ich meinen Blick bei einer politischen Doku nicht von der Mattscheibe nehmen kann. In diesem Fall volle und lange 90 Minuten. Gelungen ist das mit der preiswürdigen ARD-Produktion "Wir waren in der AfD – Aussteiger berichten". Das klingt schon interessant genug. Der Titel greift dabei noch viel zu kurz. Ja, es geht um Menschen, vornehmlich junge, aber auch den früheren AfD-Chef Jörg Meuthen, die reflektiert und eindringlich von ihrer Zeit in der AfD und der allmählichen Entfremdung berichten. Von dem Entsetzen, das sie zunehmend gepackt hat im Innenraum dieser Partei. Bis sie es nicht mehr ausgehalten haben. Weil sie nicht mehr in den Spiegel schauen konnten. Weil sich mit jeder Mutation im Wechsel der Vorsitzenden von Lucke bis Weidel das braune Monster immer mehr zeigte.
Zur Person
Christoph Schwennicke ist Politikchef und Mitglied der Chefredaktion von t-online. Seit fast 30 Jahren begleitet, beobachtet und analysiert er das politische Geschehen in Berlin, zuvor in Bonn. Für die "Süddeutsche Zeitung", den "Spiegel" und das Politmagazin "Cicero", dessen Chefredakteur und Verleger er über viele Jahre war.
Die jungen Menschen aus Essen, aus Dresden, teilweise mit Migrationsgeschichte, machen plastisch, wie Gruppendruck, falsche Mutproben, finanzielle Abhängigkeiten und auch der Außendruck sie selbst über viele rote Linien geführt haben. Bis es schließlich nicht mehr ging. Und sie mit ihrem Austritt ihren inneren Anker und ihre Selbstachtung wiedergefunden haben. Und doch bis heute damit hadern, dass sie damit die Partei noch mehr jenen überlassen haben, die sie seit Jahren systematisch völkisch-rassistisch unterwandern.
Verstohlen-verschwörerische Blicke
Das ist das eigentliche Verdienst dieser Dokumentation: dass sie entlang von Wegmarken, meist Bundesparteitagen seit 2015 in Essen, nachzeichnet, wie Björn Höcke und seine völkischen Spießgesellen einerseits verstohlen-verschwörerisch darauf lauern wie ein Waran, sich diese Partei zur Beute zu machen. Andererseits immer wieder auch zu erkennen geben, welchen strategischen Plan sie verfolgen. "Noch nicht!", sagen sie unisono ganz offen am Saalmikrofon, als sie gefragt werden, ob sie für Vorstandsämter kandidieren würden. Noch nicht: Das heißt, sie haben, damals in Essen, die Zeit für die Machtergreifung noch nicht als gekommen erachtet in dieser Partei.
Der schützende, bürgerliche Mutterleib sollte sie erst noch umhüllen, ehe sie sich offen zu erkennen geben. Es gibt Szenen, in denen Alice Weidel, damals noch nicht unangefochtene Chefin des Ladens, das Entsetzen ins Gesicht geschrieben steht, als sie gewahr wird, welche Brut diese Partei in sich trägt. Und da reden wir von der Phase des Übergangs von Bernd Lucke zu Frauke Petry. Noch vergleichsweise gute alte Zeiten, könnte man sagen. Inzwischen pestet sie selbst fast wie Höcke.
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Wie die wirklich beeindruckenden jungen Leute legt Ex-Chef Jörg Meuthen Zeugnis davon ab, wie es zur Persönlichkeitsdeformation auch vernunftbegabter Menschen wie ihm kommen konnte. In einer Mischung aus Trotz und Erschrecken über sich selbst erzählt er von diesen Kräften, die an einem zerren, von der Versuchung, am Rednerpult den Affen im Saal Zucker zu geben. Immer noch ist er regelrecht stolz darauf, den Begriff "linksgrün versifft" in einem solchen Rausch der Rede auf einem Parteitag erfunden zu haben, darauf gewissermaßen das Urheberrecht zu haben.
Pures Entsetzen und Schuldgefühle
Das Entsetzen, das aus allen intensiven Interviews spricht, wird nur noch übertroffen von dem Schuldgefühl, diese Partei der völkischen Kuckucksbrut um Höcke überlassen zu haben. Einerseits nützliche Idioten gewesen zu sein. Und andererseits die wenigen verbliebenen Redlichen im Stich gelassen zu haben.
Und damit kommt man zum eigentlich furchtbaren Befund eines Landes mit einer AfD um die 20 Prozent: Während die Lucke-Leute, die Hans-Olaf Henkels, die klugen konservativen Intellektuellen wie Konrad Adam (dessen Lockenkopf immer mal wieder zu sehen ist in der Doku) der neuen Nazi-Partei angeekelt den Rücken gekehrt haben, sie also ihren bürgerlichen Kern verloren hat, ist der Zulauf der Wählerschaft immer größer geworden.
Weil sich in diesem Land entsetzlicherweise eine besinnungslose Radikalisierung breit gemacht hat. Wie man sie exemplarisch auch an Hans-Georg Maaßen und dem früheren SPD-Politiker Mathias Brodkorb festmachen kann: der eine lange Jahre oberster Verfassungshüter dieses Landes, der andere über Jahre wackerer Finanzminister in Mecklenburg-Vorpommern, bis ihn Ministerpräsidentin Manuela Schwesig rausschmeißen musste. Da driften Leute ab, die es bei Sinnen besser wissen müssten. Und mal besser wussten.
Aber es ist eben auch viel schiefgelaufen in den vergangenen zehn bis fünfzehn Jahren, insbesondere in der Migration, wie auch dieser Film wieder deutlich macht. Einer der Interviewten geht mit Nachdruck auf den Punkt ein, dass die AfD 2015 tot war und Angela Merkel sie wiederbelebt habe. Die öffentlichen Plätze, die Bahnhöfe haben sich verändert. SAP-Gründer und Potsdam-Mäzen Hasso Plattner sagt in einem NZZ-Interview etwa, er gehe nicht mehr in sein einst geliebtes Berlin, weil dort in vielen Teilen die arabische Kultur und deren Gesetze die Hegemonie übernommen hätten.
Das ist alles nicht ganz falsch als Beobachtung. Aber bei Sinnen doch kein Grund, sich derart zu radikalisieren und in blinden Rassismus und demokratiefeindliche Raserei zu verfallen. In solchen Scharen, dass sich die Demokraten im Bundestag zusammentun, um das Bundesverfassungsgericht grundgesetzlich abzusichern gegen etwaige Putschisten wie in Polen.
Es ist deshalb gut, dass sich Hunderttausende auf die Straßen der deutschen Städte begeben gegen diese Entwicklung. Die deutlich machen: Da sind wir nicht dabei, genauso wie die Aussteiger aus der AfD das getan haben. Aber noch ist das nur ein Schwappen hin und her, wie in der Badewanne, was sich nach den Deportationsfantasien bei einem Neurechten-Treffen da in Plattners Potsdam abspielt: Erst schwappt es in die eine Richtung, dann in die andere. Und das Schwappen schaukelt sich im Moment eher noch auf, als dass sich die Wasseroberfläche in der Badewanne beruhigte.
Von Ausgeglichenheit ist dieses Land derzeit weit entfernt. Deshalb habe ich so schlecht geschlafen.
- ardmediathek.de: "Wir waren in der AfD – Aussteiger berichten"