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Niedersachsen-Wahl: So profitiert die AfD von der Krise


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Tagesanbruch
Der fatale Jubel der AfD

  • Annika Leister
MeinungVon Annika Leister

Aktualisiert am 10.10.2022Lesedauer: 6 Min.
Erfreuliche Aussichten: AfD-Politiker Beatrix von Storch, Stefan Marzischewski-Drewes und Tino Chrupalla (von links) reagieren bei der Wahlparty in Niedersachsen auf die ersten Hochrechnungen.Vergrößern des Bildes
Erfreuliche Aussichten: AfD-Politiker Beatrix von Storch, Stefan Marzischewski-Drewes und Tino Chrupalla (von links) reagieren bei der Wahlparty in Niedersachsen auf die ersten Hochrechnungen. (Quelle: Michael Matthey/dpa)
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Guten Morgen, liebe Leserin, lieber Leser,

Je schlechter es Deutschland geht, desto besser für die AfD. So lässt sich der Höhenflug erklären, den die Partei gerade erlebt – sei es in Umfragen auf Bundesebene oder bei der Landtagswahl in Niedersachsen am Sonntag. Drastischer formuliert lautet die Erfolgsformel der Populisten: Je größer die Angst der Menschen im Land, das sie angeblich so sehr lieben, desto besser geht es ihnen selbst.

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Deshalb ist die AfD im Moment der Krisengewinner Nummer 1. Und die Dynamik der Zahlen ist deutlich. Auf Bundesebene liegt sie in Umfragen bereits bei 15 Prozent – und damit so hoch wie lange nicht mehr. In Ostdeutschland ist die AfD mit 27 Prozent sogar stärkste Kraft. In Niedersachsen holte sie fast doppelt so viele Stimmen wie 2017.

Dass es dabei kaum eine Rolle spielt, was die AfD inhaltlich zu bieten hat, zeigt sich ebenfalls in Hannover: Der Landesverband ist zutiefst zerstritten und lieferte sogar noch wenige Tage vor der Wahl einen erschütternden Skandal. Der ehemalige Vizelandeschef der Partei warf den eigenen Leuten vor, für die Listenplätze bei Landtags- wie Bundestagswahl Geld zu kassieren. 4.000 Euro habe er bezahlen sollen, um als Kandidat bei der Niedersachsen-Wahl aufgestellt zu werden.

Undemokratische und korrupte Zustände, geschildert von einem ehemaligen Funktionär aus den eigenen Reihen, der die AfD nun als "Abgrund für Deutschland", "Sammelbecken für Gangster" und "Beutegemeinschaft" bezeichnet. Die Staatsanwaltschaft ermittelt inzwischen. Und trotzdem scheint es vielen Wählern egal zu sein.

Das zeigt, wie gefährlich mürbe und anfällig der anhaltende Krisenmodus Deutschland macht. Schon die Corona-Pandemie galt als die "größte Krise seit dem Zweiten Weltkrieg", wirtschaftlich traf sie auch die Mitte der Gesellschaft hart. Nun stecken wir aufgrund des Ukraine-Krieges und stark steigender Preise insbesondere für Energie in der nächsten Megakrise. Sie hat Folgen für jeden Haushalt und stürzt nicht wenige in Existenznot.

Die Auswirkungen sind noch gar nicht vollumfänglich abzusehen, die Angst und die Wut aber sind groß. Und das mit einigem Recht: Schließlich ist ein Hauptgrund für die immer höheren Stromrechnungen für Privatleute und Unternehmen, dass die vorherigen Bundesregierungen lange eine denkbar schlechte Energiepolitik gemacht und das Land in die Abhängigkeit von Russland getrieben haben.

Eine solche Situation könnte die Sternstunde der Opposition sein. Nur fällt die CDU als ernst zu nehmende Kritikerin aus, sie ist ja mitverantwortlich für die Abhängigkeit von Russland. Die Linke wiederum ist damit beschäftigt, sich selbst zu demontieren. Und so profitiert vor allem die AfD.

Die Partei hat in den vergangenen Jahren nämlich nicht geschlafen. Nicht, dass sie inhaltlich wertvolle Arbeit für Deutschland geleistet hätte, sodass sie nun einen seriösen Plan vorstellen könnte. Aber in ihrem Sinne war sie wirksam: Sie hat rechte Narrative normaler gemacht und an einigen Stellen den Diskurs nach rechts verschoben. Nicht zuletzt dank einer schlagkräftigen Trollarmee in den sozialen Netzwerken, die Aufklärer oft mundtot macht und Desinformation streut, wo immer es geht.

Die Folgen dieser Diskursverschiebung sind gravierend: Plötzlich nutzt auch CDU-Chef Friedrich Merz das Wort "Sozialtourismus", das einst nur die AfD und die NPD liebten. Und wo Konservative und Liberale auf Bundesebene beharrlich beteuern, dass sie niemals mit der AfD kooperieren würden, da gibt es auf Kommunal- und Landesebene längst Formen der Zusammenarbeit.

Das alles ermöglicht Zustände, wie man sie in Ostdeutschland bereits seit Monaten beobachten kann. An diesem Wochenende trug die AfD sie auch nach Berlin: Da demonstrierten auf einem AfD-Protestzug Mittelständler und Rechtsextreme Schulter an Schulter, da wurden Obdachlose angepöbelt, einzelne Demonstranten schreckten auch vor dem Hitlergruß nicht zurück. Den Gegenprotest stellten vor allem die Antifa, Jugendverbände und zivilgesellschaftliche, linke Gruppen. Von den etablierten Parteien war nichts zu sehen.

Zu lange haben die anderen Parteien der AfD in den Parlamenten und auf der Straße zu viel Spielraum gelassen. Das hat vor allem zwei Gründe: Erstens wollte man der AfD nicht noch mehr Aufmerksamkeit verschaffen, als sie ohnehin schon bekommt. Zweitens aber begreifen die anderen Parteien sie nicht als Konkurrenz, weil sie die AfD-Wähler längst abgeschrieben haben.

Lieber als die AfD-Chefs Alice Weidel oder Tino Chrupalla attackiert der Bundeskanzler im Bundestag deswegen Oppositionschef Friedrich Merz. Bei der Union ist wenigstens noch was zu holen! Mit dieser regelmäßig zu beobachtenden Ignoranz muss jetzt Schluss sein. Der Protest gegen die AfD muss wieder lauter werden.

Und besonders die Bundesregierung muss die Wahlergebnisse als Warnung begreifen: Von ihr sind nun eine bessere Politik und eine klügere Krisenkommunikation gefordert als bislang. Die Minister müssen ihre Egos zähmen und stattdessen konsequent für das große Ganze arbeiten. Handwerkliche Fehler und zu nichts führende Streitereien wie bei der gekippten Gasumlage sollten vermieden werden.

Dazu gehört auch, bei zentralen Entscheidungen endlich die leidige Behauptung der "Alternativlosigkeit" aus dem Repertoire zu streichen. Zwingend notwendig sei die Gasumlage, hieß es aus der Ampelregierung über Wochen – am Ende aber wurde sie gestrichen. Wer soll sich da nicht verschaukelt vorkommen?

Am Ende ist das wirksamste Mittel gegen die AfD ziemlich einfach: gute Regierungsarbeit.


Die Gaspreisbremse nimmt Gestalt an

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Gleich am heutigen Montag hat die Bundesregierung die Chance, das durch die Gasumlagen-Pleite verspielte Vertrauen vieler Bürgerinnen und Bürger wiederzugewinnen. Bereits um 9 Uhr steht der wohl wichtigste Termin der gesamten Woche an: Eine Expertenkommission übergibt dann ihren Vorschlag für eine Gaspreisbremse an Kanzler Scholz, um 10.30 Uhr gibt es eine Pressekonferenz nur mit den Experten dazu. Die Kommission aus drei Vorsitzenden und 21 Mitgliedern aus Verbänden, Gewerkschaften, Wissenschaft und Bundestag tagte am Wochenende – auch in der Nacht.

Die Gaspreisbremse soll das wichtigste Instrument zur Rettung von Unternehmen und Privatleuten vor zu hohen Kosten sein. Die Ansprüche an das Instrument sind hoch: Sie soll einerseits die hohen Gaspreise erträglicher machen, andererseits aber auch Anreize zum Energiesparen beinhalten. In der Diskussion waren zuletzt verschiedene Modelle, darunter eine Einmalzahlung, die Senkung des Gaspreises um einen bestimmten Prozentsatz und die Einführung eines Grundverbrauchs, für den eine staatlich subventionierte Preisobergrenze gelten würde.

Bald wissen wir endlich mehr.


Was steht sonst noch an?

Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán kommt nach Berlin. Eine Pressekonferenz ist nicht geplant, dafür aber ein Gespräch mit Bundeskanzler Scholz, in dem es um den Umgang mit Russland gehen soll. Orbán ist ein Freund Putins, hat zuletzt immer wieder die Sanktionen der EU kritisiert und eine Volksabstimmung in Ungarn dazu angekündigt.

Die UN-Vollversammlung trifft sich am Abend zu einer Sondersitzung. Diskutiert wird unter anderem der Umgang mit der Annexion russisch besetzter Gebiete durch Moskau in der Ukraine.

In Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen werden wieder Tausende Menschen gegen die Politik der Bundesregierung auf die Straße gehen. Die "Montagsdemonstrationen" sind nicht zuletzt durch die Mobilisierung der AfD und anderer rechtsextremer Akteure im Osten fast schon so etwas wie eine Tradition.


Was lesen?

Am Samstag stand plötzlich fast der gesamte Zugverkehr in Norddeutschland still. Mittlerweile ist klar: Das war Sabotage. In der Politik ist jetzt eine Debatte über die Sicherheit deutscher Infrastruktur entbrannt, wie mein Kollege Tim Kummert berichtet.

Mit der Rechenleistung von 130.000 Laptops versuchen Forschende in Hamburg zu verstehen, wie sich das globale Klima in den nächsten Jahrzehnten verändern wird. Meteorologe Frank Böttcher erklärt im Interview mit meinem Kollegen Gregory Dauber, warum die am Deutschen Klimarechenzentrum gewonnenen Erkenntnisse "nichts für Angsthasen" sind.


Das Historische Bild

Normalerweise werden Brücken von Autos befahren, 2003 machte allerdings eine solche für Schiffe von sich reden. Mehr erfahren Sie hier.


Was amüsiert mich?

Die Leiden des Friedrich Merz bei der Niedersachsen-Wahl nach seinem Abstecher nach Rechtsaußen:

Ich wünsche Ihnen einen wundervollen Start in die Woche. Morgen begleitet mein Kollege Tim Kummert Sie in den Tag.

Herzliche Grüße,

Ihre

Annika Leister

Annika Leister
Redakteurin Politik
Twitter: @AnnLei1

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Mit Material von dpa.

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