Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Tagesanbruch Wie halten sie das bloß aus?
Guten Morgen, liebe Leserinnen und Leser,
im zumeist hektischen Alltag fehlt einem manchmal die Zeit, ein paar Schritte zurückzutreten und die Ereignisse mit etwas Distanz zu betrachten. Es braucht dann ein kurzes Aha-Erlebnis.
Mir ging es in dieser Woche so, als ich das Gespräch mit Angela Merkel im Berliner Ensemble verfolgte. Da saß eine Frau auf der Bühne, die gelöst, und ja: erlöst, wirkte. Klar, sie ist immer noch Bundeskanzlerin a. D., also alles andere als eine normale Bürgerin. Aber sie trägt eben nicht mehr die enorme Last dieses brutalen Amtes auf ihren Schultern. Es geht nicht mehr alles, was in diesem Land halbwegs relevant ist, über ihren Schreibtisch. Und sie muss sich auch nicht ständig zu diesem und jenem äußern. Schon allein das ist eine Erleichterung.
Was wir in dem Gespräch noch über Angela Merkel lernen konnten? Hier können Sie sehen, was Sie als unsere Leser darüber denken. Ich habe mich zu diesem Thema auch mit meinen Kollegen Lisa Fritsch und Peter Schink in unserer aktuellen Podcast-Folge unterhalten. Hören Sie doch mal rein:
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Keine Frage: Angela Merkel hatte den enormen Machtwillen und die extreme körperliche Ausdauer, die es braucht, Kanzlerin zu werden und dann auch noch 16 Jahre zu bleiben. Aber sie hat – vielleicht erst in den vergangenen Monaten, in denen sie Zeit zum Nachdenken hatte – verstanden, wie sehr der Job ihr zugesetzt hat. Sie sagte bei der Veranstaltung im Berliner Ensemble auch den bemerkenswerten Satz, man habe "an allen Ecken und Enden gemerkt", dass es Zeit für eine neue Regierung gewesen sei. Das heißt nichts anderes als: "Gut, dass es endlich vorbei war."
Olaf Scholz ist gerade einmal seit einem halben Jahr Kanzler. Nach allem, was man hört und sieht, kommt er mit der enormen psychischen und physischen Belastung des Amts bislang gut klar. Als wir ihn vor einigen Wochen zum Interview trafen, folgte er anfangs geduldig den Bitten des Fotografen und wirkte im Gespräch selbst dann noch konzentriert und ruhig, als er eindringlich auf seinen Folgetermin hingewiesen wurde.
Wie machen Scholz, Baerbock, Merkel und andere Spitzenpolitiker ihren Job bloß? Wie halten sie das aus? Das ist eine Frage, die mich immer wieder beschäftigt. Und weil sich das einige von Ihnen jetzt vielleicht fragen werden: Ja, durch Schauspielerei und Make-up lässt sich einiges überspielen und übertünchen. Aber glauben Sie mir: nicht alles.
Es geht nicht darum, Mitleid zu haben. Der Kanzler und die Minister machen ihre Arbeit freiwillig. Und die Macht, die Bedeutung, die Aufmerksamkeit sind für die meisten von ihnen ein sehr starker innerer Antrieb, der im Zweifel viele Schmerzen lindert. Das kann man wissen und trotzdem Respekt davor haben, wie diese Menschen all die negativen Aspekte ihrer Arbeit wegstecken: Wochenenden finden meistens nur im Kalender statt, Häme gibt es dafür an sieben Tagen rund um die Uhr.
Einer der Politiker, die stark polarisieren, ist auch Christian Lindner. Der FDP-Chef und Finanzminister hat viele Fans, die ihn geradezu verehren. Für andere wiederum ist er der Inbegriff des Kapitalisten – schon allein, weil er gern Porsche fährt und über Leistungsgerechtigkeit redet.
Mein Kollege Tim Kummert und ich haben ihn am Donnerstag in seinem Arbeitszimmer zum Interview getroffen. Hier können Sie nachlesen, was Lindner dazu sagt, dass die Benzinpreise trotz des Tankrabatts weiter hoch sind, welche Entlastungen die Regierung seiner Meinung nach jetzt angehen muss – und wie er über Annalena Baerbock und Robert Habeck denkt.
Ich wünsche Ihnen ein entspannteres Wochenende, als es die meisten Spitzenpolitiker haben. Fahren Sie doch mal raus – ob mit dem Auto, der Bahn oder dem Fahrrad.
Am Montag schreibt wieder Florian Harms für Sie den Tagesanbruch.
Ihr
Sven Böll
Managing Editor t-online
Twitter: @SvenBoell
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Mit Material von dpa.
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