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Ukraine-Krieg | Wirtschaftlich und militärisch: Putin macht einen großen Fehler


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Tagesanbruch
Putin macht einen großen Fehler

MeinungVon Florian Harms

Aktualisiert am 04.05.2022Lesedauer: 6 Min.
Putin besichtigt eine Fabrik der russischen Luftwaffe (Archivbild).Vergrößern des Bildes
Putin besichtigt eine Fabrik der russischen Luftwaffe (Archivbild). (Quelle: RIA Novosti/reuters)
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Guten Morgen, liebe Leserin, lieber Leser,

seit zehn Wochen beherrscht der russische Angriff auf die Ukraine die Schlagzeilen. Der Krieg bringt Leid und Tod über Zigtausende Menschen, erschüttert Europa und hält uns von dringenden Aufgaben ab. In den Köpfen vieler Beobachter besteht der Krieg vor allem aus Panzern und Bomben, doch in Wirklichkeit spielt er sich auf mehreren Ebenen ab.

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Die politische Ebene liegt in den Hauptstädten. Ihre Währung sind nicht Kugeln und Granaten, sondern Winkelzüge und Allianzen. Der russische Präsident bereitet offenbar eine Annexion des gesamten Donbass vor, auf die Eroberung soll der Landraub folgen. Die Regierungschefs der USA, Großbritanniens und der EU-Staaten stimmen sich bemerkenswert schnell ab, bestrafen Russland mit harten Sanktionen und organisieren Waffen für die bedrängten Ukrainer. Fruchtbare Gespräche mit dem Aggressor im Kreml dagegen gibt es nicht. Kanzler Scholz wüsste nicht, was er gerade mit Putin besprechen könnte. Frankreichs Präsident Macron hat zwar gestern zwei Stunden lang mit dem Diktator telefoniert, doch die beiden redeten offenbar aneinander vorbei. Es gibt keinen Draht mehr zwischen Moskau und dem Westen, und das ist ein Problem.

Die mediale Ebene des Krieges ist plakativer. Sie liegt in Putins Propagandasendern, wo seine Claqueure den Sieg über die "ukrainischen Nazis" beschwören und von einem Atomangriff auf die Nato faseln. So hetzen sie die Bevölkerung auf und schüren die Angst im Westen – Russland entwickelt sich wieder zu einem totalitären Staat. Hauptkampfplatz aber sind die sozialen Medien. Dort versucht jede Seite, die Deutungshoheit über das Geschehen zu erringen. Dem ukrainischen Präsidenten Selenskyj gelingt das dank seiner täglichen Videos meisterhaft, ein ausgebildeter Schauspieler eben. Im Vergleich dazu wirkt ein CDU-Chef Merz, der auf der Suche nach Aufmerksamkeit durch Kiew schlendert, eher wie ein kleines Licht.

Die wirtschaftliche Ebene ist folgenschwer. Sie wird von der Debatte um Sanktionen und der Abkehr des Westens vom Rauschgift der russischen Rohstoffe dominiert. Bis vor zweieinhalb Monaten hingen EU-Staaten wie Deutschland an Putins Nadel, nun koppeln sie sich ab. Der kalte Entzug ist schmerzhaft, aber wenn er beendet ist, wird Russland ein noch ärmeres Land sein. Selbst wenn die Prognose jetzt noch gewagt klingen mag: Diesen Einbruch kann Putins Mafiaregime kaum länger als ein, zwei Jahre überdauern. Jedenfalls nicht in der gegenwärtigen Form.

Die schlimmste Ebene aber ist die militärische. Die Lage auf den Schlachtfeldern im Osten und Süden der Ukraine ist brutal. Selten ist ein Krieg so gut dokumentiert worden wie dieser. Was sich im Jemen, in Somalia oder in Myanmar abspielt, bekommen wir hierzulande kaum mit. Dagegen muss man nur kurz Twitter oder Telegram öffnen, schon wird man mit einer geballten Ladung Videos und Fotos aus dem Kampfgeschehen im Donbass konfrontiert. Man sieht russische Soldaten, die sich mit Hip-Hop in Killerlaune grooven. Die durch die Trümmerwüste von Mariupol streunen und in den besetzten Gebieten einen Polizeistaat errichten. Man sieht auf der Gegenseite ukrainische Soldaten in Schützengräben liegen und mit Drohnen russische Militärfahrzeuge abschießen. Vor wenigen Tagen trafen sie eine Lagebesprechung russischer Offiziere, töteten einen General und verletzten offenbar auch Putins Generalstabschef Gerassimow. Und zwischen all den Bildern von Kämpfern, Waffen und Trümmern sehen wir die Opfer dieses Irrsinns: tote und verletzte Männer, Frauen, Kinder. Sie bezahlen mit ihrem Leben und ihrer Gesundheit dafür, dass ein kleiner Mann im großen Russland sich in den Kopf gesetzt hat, als Imperator in die Geschichtsbücher einzugehen.

Es schwirren nun viele Gerüchte durchs Internet: Putin sei krank. Mal ist es Krebs, mal Parkinson, mal Schizophrenie. Meine Kollegin Liesa Wölm ist dem Gemunkel nachgegangen. Will der Kremlchef ein letztes "großes Werk" vollbringen, bevor auch er vor seinen Schöpfer treten muss? Wirklich stichhaltig ist keiner der Berichte, selbst wenn die Überschriften in den Boulevardmedien immer schriller schreien.

Spekulationen helfen nicht weiter. Was zählt, sind Putins Taten, und die sind nicht nur grausam, sondern auch dumm. Wie einst Saddam Hussein und Slobodan Milošević hat er seine Kraft maßlos überschätzt und sein Land durch einen Angriffskrieg weitgehend isoliert. Wie Saddam und Milošević wird auch Putin irgendwann dafür bezahlen. Die Sanktionen sind knallhart und knebeln seine Macht, selbst wenn er noch so viel Öl an Indien und China vertickt. Auch die russische Wirtschaft braucht Geld, Ersatzteile und Konsumgüter aus dem Westen. Auch die Menschen zwischen Moskau und Wladiwostok, die seit Jahren von Putins Kamarilla ausgesaugt und belogen werden, leiden darunter, das ist schlimm. Trotzdem liegt in dieser Entwicklung eine Hoffnung: Auf Dauer lohnt sich Aggression nicht.


Folgen des Krieges

Der Krieg in der Ukraine reißt auch andere Länder ins Unglück. Heute stellen die Vereinten Nationen ihren Bericht zur globalen Ernährungskrise 2022 vor. Er enthält Zahlen, wie viele Menschen gegenwärtig an Hunger und Mangelernährung leiden. Wir werden berichten und das Thema in den kommenden Monaten weiterverfolgen.


Sanktionspaket Nr. 6

Die EU zieht die Daumenschrauben an: Wenn Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen heute Morgen im Straßburger Europaparlament den Entwurf des sechsten Sanktionspakets gegen Russland vorstellt, wird darin wohl ein Ölembargo enthalten sein. Damit diesem auch Länder wie Ungarn und die Slowakei zustimmen, die stark von russischem Öl abhängig sind, werden sie wohl zunächst von dem Boykott ausgenommen. Ohnehin soll der Importstopp nicht sofort, sondern mit einer Übergangsfrist und stufenweise gelten.

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Dass sich Deutschland in der Öl-Frage vom Bremser zum Treiber wandelt, hat einen Grund: Binnen weniger Wochen ist es Robert Habeck gelungen, die Abhängigkeit vom russischen Öl durch neue Lieferverträge zu reduzieren – von 35 auf jetzt nur noch 12 Prozent. Ein vertracktes Problem hat der Wirtschaftsminister allerdings noch zu lösen: die Versorgung der PCK-Raffinerie im brandenburgischen Schwedt, die mehrheitlich vom russischen Staatskonzern Rosneft betrieben wird und daher kein Interesse hat, sich vom Öl aus Sibirien zu lösen. Sie macht die restlichen zwölf Prozent aus. Um auch die zu streichen, müsste der Staat wohl zum Mittel der Enteignung greifen – was zwar möglich ist, aber dauern kann.


Unrühmlicher Abgang

Durch Markus Söders CSU geht ein Beben: Der Generalsekretär der Bayern-Partei ist zurückgetreten. Stephan Mayer hatte einem Journalisten mit "Vernichtung" gedroht, weil ihm dessen Bericht nicht gefiel: Demnach hat der Politiker einen unehelichen Sohn, für dessen Unterhalt er nicht bezahlt. Am Telefon soll Mayer zu dem Redakteur der "Bunte" gesagt haben: "Sie haben mein Leben zerstört, ich werde Sie vernichten." Und weiter: "Ich werde Sie ausfindig machen, ich verfolge Sie bis ans Ende Ihres Lebens." Sein Rückzug kam gestern ausgerechnet am Tag der Pressefreiheit, was ein bemerkenswerter Zufall ist.

Was lernen wir daraus? Mindestens zweierlei: Erstens ist es beruhigend, dass Drohungen gegen Journalisten hierzulande harte Konsequenzen haben. Zweitens ist es fraglich, ob das öffentliche Berichterstattungsinteresse wirklich so weit gehen muss. Auch Politiker haben ein Recht auf Privatsphäre. Falls sie dort rechtswidrig unterwegs sind, ist das zunächst einmal eine Angelegenheit für Behörden und Gerichte, nicht für Schlagzeilen in der Klatschpresse.


Triell in Kiel

Der Landtagswahlkampf in Schleswig-Holstein geht auf die Zielgerade: Heute steigt in Kiel das TV-Triell der Spitzenkandidaten Daniel Günther (CDU), Thomas Losse-Müller (SPD) und Monika Heinold (Grüne). Ob Ministerpräsident Günther leibhaftig an der Runde (ab 21 Uhr im NDR-Fernsehen) teilnimmt oder sich von zu Hause zuschalten lässt, entscheidet sich erst im Laufe des Tages nach einem Schnelltest: Zwar geht es ihm nach einer Corona-Erkrankung besser, er war aber bis gestern noch nicht freigetestet. Dem Wahlausgang am Sonntag darf der Amtsinhaber so oder so gelassen entgegensehen: Umfragen zufolge könnte seine CDU ihren Vorsprung im Vergleich zur letzten Wahl steigern und käme auf 38 Prozent, während die SPD womöglich unter die 20-Prozent-Marke rutscht. Die Grünen lägen demnach bei 16 Prozent, viertstärkste Kraft würde die FDP mit 9 Prozent. Gut möglich also, dass die aktuelle Jamaika-Koalition von einem schwarz-grünen oder gar schwarz-gelben Duett abgelöst wird.


Das sollten Sie sehen

Mehr als 100 herausragende Dokumentarfilme aus aller Welt sind von heute an bis zum 15. Mai in ausgewählten Münchner Kinos zu sehen (und online hier). Schon der Eröffnungsfilm könnte politischer nicht sein: "Nawalny" vom kanadischen Regisseur Daniel Roher begleitet den bedeutendsten russischen Oppositionellen Alexej Nawalny vom Nowitschok-Attentat bis zur Rückkehr nach Moskau und seiner Inhaftierung. Ab morgen läuft das Zeitzeugnis auch bundesweit in den Kinos.


Was lesen?

Was hat Friedrich Merz auf seinem Kiew-Besuch erfahren? Unser Reporter Daniel Mützel war dabei.


Und was ist von Olaf Scholz' Weigerung zu halten, auch noch mal in die Ukraine zu reisen? Der Osteuropa-Experte Alexander Libman hat es meiner Kollegin Annika Leister erklärt.


Der ukrainische Botschafter Andrij Melnyk wettert gegen den Kanzler und den Bundespräsidenten. Meine Kollegin Miriam Hollstein hat eine klare Meinung dazu.


In der Ampelregierung wird immer heftiger gestritten. Ist das Bündnis gefährdet? Unsere Reporter Johannes Bebermeier und Tim Kummert berichten.


Der Konflikt mit Russland verändert den deutschen Staat. Der Einstieg in die Kriegswirtschaft ist längst beschlossen, schreibt unsere Kolumnistin Ursula Weidenfeld.


Was amüsiert mich?

Jeder hat jetzt seine eigene Logik.

Ich wünsche Ihnen einen krisensicheren Tag.

Herzliche Grüße

Ihr

Florian Harms
Chefredakteur t-online
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de

Mit Material von dpa.

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