Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Andrij Melnyk Die unkluge Leberwurst
Der ukrainische Botschafter polarisiert. Seine radikale Kommunikation ist menschlich nachvollziehbar. Aber nicht zielführend.
Stell dir vor, in deiner Heimat ist Krieg. Menschen kämpfen täglich um ihre Freiheit und ums nackte Überleben. Und trotzdem bekommst du auf deine flehentliche Bitte um Hilfe ständig Ausreden zu hören.
Der Frust und die Wut des ukrainischen Botschafters in Deutschland, Andrij Melnyk, sind verständlich. Er greift zum einzigen Mittel, das ihm zur Verfügung steht, der Waffe des Wortes, und geißelt die deutsche Regierung immer wieder für ihre – aus seiner Sicht – zu zaudernde Haltung.
Verbale Zuspitzungen nicht zielführend
Trotzdem sind seine verbalen Zuspitzungen unklug und vor allem nicht zielführend. Denn wer immer wieder beschimpft wird, der hat am Ende keine Lust mehr, dem anderen zuzuhören. Man muss sich nicht mit Diplomatie auskennen, um diese Dynamik zu verstehen. Man kann sie täglich im Umgang mit anderen Menschen testen.
Mit seinen Beleidigungen stößt Melnyk jene vor den Kopf, die über seine Bitten politisch zu entscheiden haben. Er nennt den Bundeskanzler eine "beleidigte Leberwurst" und wirft Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier vor, als Außenminister "ein Spinnennetz an Russland-Kontakten" gesponnen zu haben. Man kann Steinmeier vieles vorhalten: dass er eine falsche Strategie im Umgang mit Russland gewählt hat, dass sein Blick auf den Kreml zu naiv war, dass er sich schwertut, dafür jetzt ehrlich um Entschuldigung zu bitten. Ein Netz an Kontakten geknüpft zu haben, gehört nicht dazu. Es ist vielmehr die wichtigste Aufgabe eines Außenministers, ein solches Netz aufzubauen.
Befindlichkeiten des anderen verstehen
Für einen Botschafter ist es die wichtigste Aufgabe, die Interessen seiner Heimat bestmöglich in seinem Gastland zu vertreten. Diplomatisches Geschick bedeutet, die Befindlichkeiten des anderen zu verstehen und strategisch klug für die eigenen Zwecke zu nutzen. Melnyk ist ein Meister der deutschen Sprache. Er beherrscht sie wie kaum ein anderer Diplomat und sogar besser als einige Muttersprachler. Im persönlichen Gespräch ist er klug, freundlich und zugewandt. Sein öffentliches Auftreten ist das Gegenteil davon. Es erinnert an den früheren US-Botschafter Richard Grenell, nur dass jenem im Gegensatz zu Melnyk jeglicher Esprit und jedes Feingefühl fehlte.
Trotzdem hat sich auch Melnyk für den radikalen Weg entschieden. So macht er zum Beispiel Inhalte aus seinen Gesprächen mit Mitgliedern der Bundesregierung öffentlich, natürlich mit seiner eigenen Interpretation. In der Diplomatie ist das ein Tabu und ganz sicher keine vertrauensbildende Maßnahme. Auch in der Öffentlichkeit stößt seine Haltung auf wachsende Irritation. So nachvollziehbar und zutiefst menschlich Melnyks Verhalten ist: Es darf bezweifelt werden, dass er sein Ziel erreicht, indem er der Bundesregierung und anderen deutschen Repräsentanten regelmäßig verbal ins Gesicht spuckt.