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Ukraine-Krieg: Eine Lage, in der es keine Aussicht auf Frieden gibt


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Tagesanbruch
Der ausweglose Krieg

MeinungVon Sven Böll

Aktualisiert am 05.04.2022Lesedauer: 5 Min.
Nichts als Zerstörung: Die Stadt Butscha nordwestlich von Kiew.Vergrößern des Bildes
Nichts als Zerstörung: Die Stadt Butscha nordwestlich von Kiew. (Quelle: dpa)
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Guten Morgen, liebe Leserinnen und Leser,

seit fast sechs Wochen tobt der Ukraine-Krieg bereits. Wie sinnlos, brutal und menschenverachtend er ist, haben zuletzt die Horrorbilder aus Butscha gezeigt. Die russischen Truppen hinterließen in der Stadt nahe Kiew verbrannte Erde, sie massakrierten Menschen und zerstörten die Infrastruktur. Das ist unfassbar und unerträglich.

Diese Kriegsverbrechen haben dafür gesorgt, dass die Welt erneut aufgeschreckt ist. Denn zuvor war bereits ansatzweise eingetreten, was leider selbst bei den größten Katastrophen fast immer geschieht: Viele gewöhnen sich an die Ausnahmesituation. Das bedeutet nicht, dass sie abstumpfen und weggucken. Aber eben doch, dass sie nicht mehr jedes Bruchstück an Neuigkeiten mit der gleichen Betroffenheit aufnehmen wie zu Beginn.

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Das Schrecklichste an diesem grausamen Krieg ist vermutlich, dass er schier unlösbar zu sein scheint. Vor allem drei Szenarien für den weiteren Verlauf kursieren derzeit.

Szenario 1: Russland gewinnt doch noch

Wladimir Putin unterlag vielen Fehleinschätzungen – von der Annahme, seine Truppen würden in der Ukraine freudig begrüßt, bis zum Glauben, über eine moderne und von hoher Moral geprägte Armee zu verfügen. Inzwischen ist völlig unklar, wie Russland die Ukraine, das flächenmäßig größte Land des europäischen Kontinents, überhaupt jemals besetzen will. Zuletzt mussten die Soldaten rund um Kiew zumindest den vorläufigen Rückzug antreten, um sich erst einmal auf die Eroberung des Ostens und Südens zu konzentrieren.

Vielleicht gelingt es Russland, zu einem späteren Zeitpunkt wieder in die Offensive zu kommen. Aber selbst wenn es doch noch die Kontrolle über weite Teile des fremden Territoriums erringen sollte, wäre die Besatzung wohl kaum von Dauer. Angesichts des heroischen Widerstands der Ukrainer um ihren Präsidenten Wolodymyr Selenskyj und weiterer Waffenlieferungen des Westens würde es vielmehr einen jahrelangen Zermürbungskrieg geben.

Szenario 2: Die Ukraine vertreibt die russischen Truppen

So sehr eine Kapitulation Russlands im Angesicht des barbarischen Überfalls auch wünschenswert wäre, dürfte eine vollkommene Niederlage Putins nicht sehr wahrscheinlich sein. Es käme einem Wunder gleich, wenn dieser Krieg damit endete, dass sich seine Truppen komplett aus der Ukraine zurückziehen und Russland hohe Reparationszahlungen leistet.

Zwar ist es angesichts der aktuellen Dynamik des Krieges plausibler geworden, dass es den Ukrainern gelingt, ihr Land vollständig zurückzuerobern. Aber es spricht trotzdem einiges für die Annahme, dass Putin umso härter reagiert, je mehr er sich in die Ecke gedrängt fühlt.

Weil für den Autokraten im Kreml alles andere als ein rascher Triumph eine Niederlage ist, hat er diesen Krieg eigentlich bereits verloren. Für Putin geht es also längst nur noch darum, eine vollständige Demütigung zu verhindern. Je brenzliger seine Situation wird, desto eher könnte er sich deshalb zur abrupten Eskalation veranlasst sehen – und im schlimmsten Fall eben auch chemische oder sogar atomare Waffen einsetzen. Dass er zu allem bereit sein dürfte, hat er in den vergangenen Wochen bereits gezeigt.

Szenario 3: Aus einer Pattsituation entstehen Friedensverhandlungen

Aber wie könnte dann überhaupt eine Lösung aussehen, die diesen Krieg beendet? Wer diese Frage zurzeit in Berlin stellt, bekommt Antworten, die von Ratlosigkeit ("Das können nur die Ukrainer und Russen entscheiden") bis Verzweiflung ("Ich weiß es schlicht nicht") reichen.

Das wichtigste politische Ziel in Berlin und anderen westlichen Hauptstädten muss angesichts des ausweglosen Krieges darin bestehen, dass in der Ukraine nicht länger gekämpft, sondern endlich über eine friedliche Lösung verhandelt wird. Hauptsache, es wird gesprochen und nicht geschossen.

So zynisch es klingt: Noch scheinen beide Seiten nicht so weit zu sein, weil sie sich durch den Verlauf der nächsten Tage oder sogar Wochen eine bessere Ausgangsposition für Verhandlungen versprechen. Denkbar ist, dass ein späterer Friedensvertrag, der sowohl für die Ukraine als auch die Russen akzeptabel ist, unter anderem folgende Elemente enthält:

  • Die sogenannten Volksrepubliken Donezk und Luhansk (und im Zweifel auch die Krim) bekommen einen Sonderstatus, werden faktisch aber ein Teil Russlands.
  • Im Osten und Südosten der Ukraine wird eine entmilitarisierte Zone geschaffen, die als Puffer dient. Dort gibt es womöglich UN-Friedenstruppen.
  • Der verbleibende Großteil der heutigen Ukraine verfügt über eine eigene Armee, bekommt massive Aufbauhilfen des Westens und auch Sicherheitsgarantien der Nato, die allerdings weniger eindeutig sind als Artikel 5 ("Die Parteien vereinbaren, dass ein bewaffneter Angriff gegen eine oder mehrere von ihnen in Europa oder Nordamerika als ein Angriff gegen sie alle angesehen werden wird ...").

Käme es zu einem Waffenstillstand unter diesen oder ähnlichen Bedingungen, wäre zumindest der Krieg beendet – und damit endlich auch Tod, Leid und Elend.

Aber es wäre eben auch ein äußerst bitterer Frieden. Denn Russland hätte territoriale Gewinne erzielt – und einen vollständigen Nato-Beitritt der Ukraine verhindert, also zumindest einen Teil der ursprünglichen Ziele erreicht. So unerträglich es klingt: Dieser Krieg hätte sich für Putin gelohnt.


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