Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Tagesanbruch Mit dem Wetter stimmt was nicht
Guten Morgen, liebe Leserin, lieber Leser,
der April, der April, der macht, was er will. Auf Sonnenschein werden nun wieder Regenschauer folgen, dann erneut Sonne, dann vielleicht ein bisschen Hagel. In Hamburg hat es gestern sogar geschneit. Da war er ein bisschen zu früh dran, der launische April, so ist er halt.
Der März zeigte sich eigentlich verlässlicher: Der war nämlich einfach nur trocken. Und warm, viel zu warm. Am Ende nieselte es hier und da doch noch ein bisschen aus dem grauen Himmel, sonst wäre es der trockenste März seit Beginn der Aufzeichnungen geworden. Viele Wetterstationen haben in den vergangenen Wochen keinen Tropfen Regen gemeldet. Das muss uns zu denken geben.
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Nun denken Sie vielleicht: Wieso, das war halt das Hochdruckgebiet namens "Peter", ist doch schön, wenn man ohne Schirm und Kapuze von A nach B gelangt. Stimmt schon: Wetter ist Wetter, das ist halt mal so, mal so. Ein paar Wochen Trockenheit wären eigentlich kein Grund zur Beunruhigung. Doch so einfach ist es leider nicht. Wer die Entwicklung der Niederschläge, des Luftdrucks und der Temperaturen langfristig betrachtet, dem wird heiß und kalt. Oder, um es in den Worten der Direktorin des Alfred-Wegener-Instituts, Antje Boetius, zu sagen: "Wir müssen den Menschen klarmachen, dass es mittlerweile auch bei uns um Leben und Tod geht."
Der Deutsche Wetterdienst hat diese Woche seinen alljährlichen Klimastatusbericht vorgestellt. Demnach war 2021 das elfte zu warme Jahr in Folge: Die Durchschnittstemperatur lag mit 9,2 Grad um knapp ein Grad über dem Wert der Referenzperiode 1961 bis 1990. Auch andernorts auf dem Planeten purzeln die Rekorde. In der Antarktis haben Experten dieser Tage Temperaturen gemessen, die um sage und schreibe 30 Grad Celsius höher lagen als sonst in dieser Jahreszeit. Sogar stocknüchterne Wissenschaftler sprechen von einem "historischen Ereignis" und warnen vor "fatalen Folgen".
Die Eisberge an den Polen, die Gletscher in den Hochgebirgen und die Permafrostböden in Sibirien tauen auf. Gigantische Mengen Methan werden freigesetzt. Der Meeresspiegel steigt, das Wasser erwärmt sich. Die Sonnenstrahlung wird vom Methan und Kohlendioxid in der Atmosphäre gehalten und heizt den Erdball immer weiter auf. Das fragile Gleichgewicht des Klimas löst sich auf, die ehernen Gesetze der Natur gelten nicht mehr, das Wetter spielt verrückt. Monatelange Hitzewellen und Dürren, brutale Stürme und plötzliche Überschwemmungen werden zur Regel.
"Die Klimaveränderung wird für uns alle immer häufiger direkt spürbar, bleibt keine abstrakte statistische Kenngröße mehr und zeigt, dass ein ambitionierter Klimaschutz im nationalen Interesse liegt", sagt Andreas Becker, Leiter der Abteilung Klimaüberwachung beim Deutschen Wetterdienst. Das klingt ein wenig abstrakt, aber im Ahrtal wissen die Menschen, dass es alles andere als abstrakt ist. Mehr als 130 Menschen kamen dort im vergangenen Sommer in den Fluten ums Leben, Tausende Gebäude, Straßen, Strom-, Wasser- und Gasleitungen wurden zerstört. Es war ein Inferno, die Region gleicht stellenweise heute noch einem Schrottplatz. Im benachbarten Nordrhein-Westfalen sah es ähnlich aus. Und bei der Aufarbeitung der Katastrophe zeigt sich immer deutlicher, wie krass die Landespolitiker und die Behörden versagten.
Was bedeutet es also, dass "ein ambitionierter Klimaschutz im nationalen Interesse liegt"? Ganz einfach: Trotz all der Krisen von Corona bis zur Ukraine muss Deutschland alles tun, um die Klimaziele zu erreichen. Also bis 2030 65 Prozent der Treibhausgase im Vergleich zu 1990 einsparen und bis spätestens 2045 treibhausgasneutral werden. Das ist das erklärte Ziel der Bundesregierung, dazu hat sie sich verpflichtet. Leider sind wir davon meilenweit entfernt, aller politischen Sonntagsreden, Koalitionsverträge und Regierungserklärungen zum Trotz. Und dass der Klima- und Artenschutz angesichts des Konflikts mit Russland in den Hintergrund rückt, ist längst mehr als nur eine Befürchtung.
Daran etwas zu ändern, kann man jedoch nicht allein Politikern abverlangen. Sie mögen guten Willens sein, doch allein sind sie zu schwach und zu sehr auf das Hier und Heute fixiert, quer durch alle Parteien. Wer will, dass er selbst, seine Kinder und Enkel auch künftig in einer halbwegs intakten Natur leben können, muss den Klimaschutz zu seiner persönlichen Aufgabe machen. Den eigenen Lebenswandel hinterfragen, mit Verwandten, Freunden und Kollegen sprechen, das kritische Bewusstsein in der Gesellschaft stärken – und Verzicht nicht als Zumutung, sondern als Pflicht begreifen. Es gibt kein Menschenrecht auf Langstreckenflüge, Zweitwagen, Billigklamotten, stromfressende Bitcoins, Raserei auf der Autobahn, überheizte Wohnräume, täglich Fleisch auf dem Teller oder gar einen Pool im Garten. Und man muss auch nicht zwingend Produkte von Unternehmen kaufen, die mit den größten Klimasündern Geschäfte machen. Wir können nicht so weitermachen wie bisher, sonst ist irgendwann Ende Gelände. Der Konsumrausch zerstört unsere Lebensgrundlage.
Nun denken vielleicht einige von Ihnen: Ach, der Harms mal wieder mit seiner Klimaschutzpredigt, alter Schwarzseher! Das ist Ihr gutes Recht, Sie dürfen denken, was Sie wollen. Aber vielleicht gibt es den einen oder die andere unter Ihnen, die diese Zeilen zum Umdenken bewegen. Oder noch besser zu anderem Handeln.
Zitat des Tages
"Das Thema Klimaschutz darf nicht wegen des Ukraine-Kriegs aufgeschoben werden."
BASF-Chef Martin Brudermüller in der "FAZ". Der Ludwigshafener Chemiekonzern zählt bislang zu den größten deutschen Klimasündern.
Europa trifft China
In China herrscht Alarm: Die 26-Millionen-Metropole Shanghai kämpft mit einem Lockdown gegen die schlimmste Corona-Welle seit Pandemiebeginn. Staatschef Xi Jinping lässt Zivilisten für die "Volksmiliz" verpflichten, damit sie die öffentliche Ordnung aufrechterhalten. Und eine klare Strategie für den Umgang mit Russland hat Peking noch nicht.
Das ist die Lage, wenn heute Spitzenpolitiker der Volksrepublik und der EU zum ersten Mal nach mehr als anderthalb Jahren zum virtuellen EU-China-Gipfel zusammenkommen. Was Ratspräsident Charles Michel, Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und der Außenbeauftragte Josep Borrell dabei erreichen wollen, ist klar: Sie werden am Vormittag Premierminister Li Keqiang und am Nachmittag Xi zu einer Verurteilung des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine auffordern. Ebenso klar ist leider auch, dass sie dabei allenfalls wachsweiche Erklärungen ernten werden, denn Xi wird seinen Kumpel Putin kaum fallenlassen. Am Ende werden die Brüsseler Unterhändler deshalb klarstellen müssen, dass eine chinesische Unterstützung des Kremlkriegers unweigerlich Wirtschaftssanktionen nach sich ziehen würde. Die Bedeutung der EU als Absatzmarkt dürfte das einzige Argument sein, das in Peking verstanden wird.
Auch Indien stützt Putin
Der russische Außenminister Sergej Lawrow trifft heute in Neu-Delhi Premierminister Narendra Modi und seinen indischen Amtskollegen Subrahmanyam Jaishankar. Vordergründig steht ein Wirtschaftsabkommen auf der Agenda, doch natürlich überlagert auch hier der Ukraine-Krieg die Gespräche. Bislang hat das Land mit der zweitgrößten Bevölkerung der Erde weder die westlichen Sanktionen mitgetragen noch Russland verurteilt; bei den Resolutionen im UN-Sicherheitsrat enthielt es sich. Denn Indien hängt an Russlands Tropf: Moskau ist sein wichtigster Waffenlieferant. Außerdem deckt sich das Land seit Wochen günstig mit russischem Rohöl ein. Berichten zufolge verhandeln Indien und Russland auch darüber, wie sich Rupie und Rubel verrechnen lassen, ohne das Banken-Transfersystem Swift zu nutzen. So siegt die Wirtschaft über die Moral.
Gegen wen kickt Hansis Team?
Katar steht im Fokus: Kürzlich machte Wirtschaftsminister Robert Habeck den Scheichs seine Aufwartung, heute steht das Emirat mit den menschenunwürdigen Arbeitsbedingungen für Niedriglohnmigranten schon wieder im Zentrum der Aufmerksamkeit. Um 18 Uhr unserer Zeit erfahren Bundestrainer Hansi Flick und die deutsche Fußball-Nationalmannschaft im WM-Gastgeberland ihre Gegner in der Gruppenphase. Deutschland ist im zweiten Lostopf einsortiert – und könnte aus Topf eins Belgien, Brasilien, Frankreich, Argentinien, England, Spanien, Portugal oder Gastgeber Katar erwischen. Maximal ein europäischer Kontrahent kann dem DFB-Team zugelost werden. Da drei der 32 WM-Teilnehmer noch gar nicht feststehen, könnte es aber auch passieren, dass nach der Zeremonie erst zwei der drei deutschen Vorrundengegner bekannt sind. Hoffentlich sind die Spiele dann einfacher als der Auslosungsmodus.
Was lesen?
Manche feiern ihn schon als den "wahren Kanzler": Wirtschaftsminister Robert Habeck punktet in der Ukraine-Krise mit seiner ungewöhnlichen Kommunikation. Auf viele Menschen wirkt er ehrlich und authentisch, wenn er öffentlich mit seinen Aufgaben hadert. Dahinter steckt allerdings ein Kalkül, schreiben unsere Reporter Johannes Bebermeier und Fabian Reinbold.
Selten war ein deutscher Gast so willkommen in den USA: Christine Lambrechts Besuch verspricht milliardenschwere Waffenkäufe. Aber es geht um noch viel mehr, berichtet unser Amerika-Korrespondent Bastian Brauns, der die Verteidigungsministerin begleitet hat.
Die EU-Staaten beschlagnahmen das Eigentum russischer Oligarchen. Alle EU-Staaten? Nein, ein Land tut sich schwer damit: Deutschland. Unser Reporter Tim Kummert beschreibt, wie sich die Bundesregierung darum drückt, die Sanktionen konsequent umzusetzen.
Kommt die Impfpflicht doch noch? Jetzt gibt es einen neuen Kompromissvorschlag. Johannes Bebermeier kennt die Details.
Atze Schröder, das ist doch dieser Macho in Cowboystiefeln! Ich gebe zu, auch ich habe das gedacht. Doch dann habe ich dieses eindrucksvolle Gespräch gelesen, das mein Kollege Steven Sowa mit dem Comedian geführt hat.
Was amüsiert mich?
Leute gibt's …
Ich wünsche Ihnen einen ausgeruhten Tag und bedanke mich für die vielen netten Zuschriften auf den Tagesanbruch von gestern. Morgen erhalten alle Abonnenten den Wochenend-Podcast.
Herzliche Grüße,
Ihr
Florian Harms
Chefredakteur t-online
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de
Mit Material von dpa.
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