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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Atze Schröder "Der Wahnsinn überfordert mich"
Krieg ist kein gutes Thema für einen Comedian. Oder? Im Interview mit t-online zeigt sich Atze Schröder angesichts der derzeitigen Lage so ernsthaft und nachdenklich wie selten zuvor.
Erinnern Sie sich noch, wie aus der Rampensau Atze Schröder plötzlich ein Mann mit Gefühlen wurde? Im Februar 2020 löste der Comedian mit einem Auftritt bei "Markus Lanz" große Verwunderung aus. Er weinte. Noch heute prägt ihn dieser Moment, wie er t-online im Interview erzählt.
Der 56-Jährige hatte damals die Holocaust-Überlebende Eva Szepesi im Namen seines Vaters um Verzeihung gebeten. Dessen Einsatz im Zweiten Weltkrieg, seine Taten als Panzerfahrer an der Ostfront wirkten für Atze Schröder im Kontrast zu den traumatischen Erinnerungen von Szepesi, die ihre Familie an die mordenden Nazis verlor, wie blanker Hohn. Er fühlte sich mitschuldig und seine Gefühle übermannten ihn. Jetzt kündigt er bei t-online an: Atze Schröder hat sich verändert – für immer.
t-online: Sie haben vor zwei Jahren im Fernsehen geweint. Bei "Markus Lanz" sprachen Sie damals über die Kriegstaten Ihres Vaters. Nun tobt seit über einem Monat Krieg in Europa. Was denken Sie darüber?
Atze Schröder: Es ist Wahnsinn. Ich gehöre zu einer Generation, die mit permanentem Frieden aufgewachsen ist. Vielleicht haben wir in unserer Blauäugigkeit gedacht, wir könnten so unangenehme Themen einfach wegwischen. Aber jetzt stellen wir fest, dass genau das, wovon wir dachten, das wird ja nie passieren, Realität geworden ist.
Welche Schlüsse ziehen Sie aus dieser neuen Realität?
Der Wahnsinn überfordert mich. Aber ich glaube, dass uns das alles auch langfristig sehr verunsichern wird. Es kommt jetzt darauf an, dafür einzustehen, dass dieser Krieg endet und dass so etwas nie wieder passieren kann.
Wie soll das gehen? Wir haben es ja offenbar mit einem Kremldespoten zu tun, der unberechenbar geworden ist.
Wir könnten bei der deutschen Wehrhaftigkeit beginnen. Denn sind wir mal ehrlich: Die deutschen Kasernentore könnten geschlossen bleiben, wenn Putin angreift. Ausrücken würde angesichts der desolaten Lage der deutschen Bundeswehr ja offenbar eh nichts bringen. Dann lieber in Würde kapitulieren, als sich dieses Elend anzutun.
Die Bundeswehr ist schon seit Jahrzehnten eine dankbare Witzvorlage. Aber in Ihrem neuen Buch werden Sie entgegen Ihres Rufes als Rampensau überraschend nachdenklich. Sie schreiben zum Beispiel, dass Sie Ihrem Vater versprochen haben, nie zur Waffe zu greifen. Halten Sie sich daran?
Bisher halte ich mich daran, ja. Ich wäre lieber in den Knast gegangen als zur Bundeswehr. Das macht das Dilemma für mich heute natürlich noch größer.
Weil Pazifismus nur in Friedenszeiten ehrenwert ist und aktuell auf eine harte Probe gestellt wird?
Es ist einfach schockierend zu sehen, dass man ohne Wehrhaftigkeit plötzlich schutzlos dasteht. Wenn sich jemand wie Putin gar nicht mehr an die Regeln hält, wird die eigene Weltsicht erschüttert. Das meine ich damit, wenn ich sage, dass Krieg in Europa für mich früher undenkbar war. Bestimmte Grenzen können nicht überschritten werden – davon war ich jahrzehntelang fest überzeugt. Bis jetzt. Unser ganzes Mindset ist jetzt ungültig. Das ist auch das Verstörende daran.
Weil wir jetzt feststellen, was wir jahrelang ignoriert oder geflissentlich übersehen haben?
Absolut. Die Ukraine muss sich ja schon seit längerer Zeit mit Krieg beschäftigen. Spätestens seit 2014 ist sie akut von russischen Aggressionen bedroht. Wir hingegen haben das übersehen oder nicht sehen wollen. Wenn jetzt gesagt wird, der Westen hat da vieles versäumt und hat auch Mitschuld, dann kann ich als politisch informierter Mensch nur sagen: Ja, natürlich ist das so.
Sie meinen, wir haben uns das schöngeredet?
Ich glaube schon. Wir haben doch auch Putin als Teil der Lösung angesehen.
Stichwort: Wandel durch Handel.
Genau. Das Argument war ja immer, dass mittlerweile alles so miteinander verzahnt ist, wirtschaftlich, dass da gar keiner ausscheren kann, ohne selbst wirtschaftlichen Selbstmord zu begehen.
Jetzt sind Sie Comedian von Beruf und müssen sich Gedanken darüber machen, wie man mit so einem Thema auf der Bühne umgehen kann. Sind Sie noch in einer Phase der kreativen Schockstarre – oder haben Sie bereits Ideen, wie Sie das verarbeiten wollen?
Im Moment spüre ich, dass die Menschen nach zwei Jahren Krise danach lechzen, einfach mal für zwei Stunden den Kopf ausschalten zu können. Aber wenn ich weiterhin den Anspruch habe, dem Zeitgeist Genüge zu tun, dann muss ich mich auf die Reise begeben.
Wo geht die Reise hin?
Mein erster Gedanke ist, dass ich nach meiner aktuellen Tour erst einmal nur kleine, ganz kleine Veranstaltungen spiele, um mich auszuprobieren und vielleicht auch, um mich neu zu erfinden auf der Bühne.
Dabei ist doch gerade Atze Schröder schon immer der Inbegriff einer Kunstfigur. Auf der Bühne "Hau drauf", aber was hinter der Macho-Fassade steckt, weiß kein Mensch. Sagen Sie mir also gerade, dass Sie Ihr Alter Ego abstreifen wollen, weil es nicht mehr in die Zeit passt?
Ja, ich glaube schon – zumindest in Teilen. Die klassische Kunstfigur in der Comedy hat ausgedient. Also, es kann hin und wieder sicherlich noch etwas geben von Atze. Aber so eine reine Kunstfigur funktioniert, glaube ich, auch nur für einen begrenzten Zeitraum. Aber in Talkshows habe ich ja immer schon meine private Meinung vertreten.
So wie bei "Markus Lanz", Ihr vielleicht persönlichster Moment im Fernsehen.
Das stimmt. So sehr geöffnet wie da habe ich mich nie. Natürlich ist die Bereitschaft dazu, die Kunstfigur abzulegen, seitdem mehr da denn je.
Wie müssen wir uns das jetzt vorstellen? "Atze Schröder legt seine Kunstfigur ab und wird persönlicher denn je" klingt profan, aber was bedeutet das für Sie im Umkehrschluss an Veränderungen?
Ganz ablegen werde ich das nicht, aber ich werde mich weiter öffnen. Also Atze bleibt Atze, aber es gibt auch im Rahmen der Atze-Welt genügend Möglichkeiten, Themen, auch kontroverse Themen, einigermaßen tiefgründig zu behandeln. Und vielleicht ist es ja sogar ganz gut, wenn Leute wie Atze auf ernste Themen zugehen.
Wie meinen Sie das?
Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Der Verein Pinkstinks, der sich für Gleichberechtigung der Geschlechter stark macht, kam auf mich zu und wollte mich als Werbegesicht gewinnen. Die haben mir eine Idee vorgestellt, bei der ich erst auf den zweiten Blick kapiert habe, wie wirkungsvoll sie sein kann. Denn auf den ersten Blick liegen Atze Schröder und Gleichberechtigung diametral auseinander. Aber sie sagten mir: Wenn Atze Schröder sich in dieser Beziehung ändern kann, also zum Beispiel beim Gendern, dann kann er auch andere überzeugen, die dafür gar nicht empfänglich sind. Insofern kann man aus so einem geschaffenen Image auch eine gute Fallhöhe herstellen.
Bemerken Sie denn immer wieder, dass Sie Fans haben, die Sie völlig falsch einschätzen und davon ausgehen, Atze Schröder sei ein sexistischer Macho?
Ab und zu kommt das vor. Auch nach der "Markus Lanz"-Sendung habe ich teilweise verstörende Nachrichten bekommen. Nach dem Motto: Hab dich nicht so und hör mal auf zu heulen. Aber auch schlimme Dinge wie, ich sei ein Vaterlandsverräter. Eines ist mir wichtig: Atze Schröder ist vielleicht ein Macho, aber ganz sicher nicht blöd. Und wenn die Zeiten sich ändern, dann bleibe ich nicht stehen, sondern gehe mit.
Dieses Weinen in einer Talkshow, wie es Ihnen passiert ist, geschieht ja einfach und ist nicht Teil einer Imagepflege. Was hat dieser spontane Gefühlsausbruch rückblickend verändert für Sie?
Also in dem Moment war es einfach so, dass mir durch den Kopf ging: Da sitzt jetzt die Opfer-Tochter neben dem Täter-Sohn. Das war so der kleine Gedanke, der relativ schnell in mir wuchs. Ich fand das absolut bewegend, diese Tatsache, dass eine Holocaust-Überlebende wie Eva Szepesi überhaupt mit mir zusammen in einer Fernsehsendung sitzt. Deshalb bin ich hingegangen, auf die Knie gefallen und habe mich im Namen meines Vaters entschuldigt. Dass sie die Entschuldigung annahm und sagte, dass ihr das viel bedeute, das hat ein bisschen etwas beruflich, aber am meisten natürlich privat mit mir gemacht.
Wie lange haben Sie das noch mit sich herumgetragen?
Eigentlich immer noch. Wir haben ja auch noch Kontakt. Hin und wieder telefonieren Eva Szepesi und ich miteinander. Im September haben wir uns gegenseitig zum Geburtstag gratuliert. Dieser Fernsehmoment mit ihr war ein Ereignis, das nicht nur nachhaltig, sondern einschneidend war – und mich bis heute prägt.
Ihr Vater, um den es dabei ging, ist mit 17 Jahren aus dem Haus gegangen, hat im Krieg für die Nazis gekämpft und ist mit 30 Jahren aus der Kriegsgefangenschaft zurückgekehrt. In Ihrem Buch schreiben Sie, dass er anfangs Ihnen gegenüber gewalttätig wurde und das erst Stück für Stück ablegen konnte.
Ja, das stimmt. Das war der Grundgedanke meines Buches, meine ganze Entwicklung aufzuschreiben – von der Kindheit an. Und in meiner Kindheit spielte der Krieg eben immer eine Rolle, wenn auch zum Glück nur mittelbar. Aber auch meine Oma hat immer wieder sehr eindrücklich Kriegserfahrungen geschildert, unter anderem die klassischen Erzählungen von den Trümmerfrauen. Das werde ich nie vergessen.
Wie würden Sie die Botschaft Ihres Buchs "Blauäugig" beschreiben?
Ich will nicht zu pathetisch klingen, aber: Dass man, ohne sich abgrenzen zu müssen, ein gutes, friedvolles und fröhliches Leben führen kann. Ja, ein erfülltes, erfolgreiches Leben. Ich bin nie über Leichen gegangen und war mir nicht zu schade, auch vor 300 Zuschauern aufzutreten. Damals habe ich zu meinem Manager gesagt: "Ach, das reicht doch!" Und er hat mir geantwortet: "Da ist noch viel mehr drin." Aber das zeigt, glaube ich, wie wenig ich mir aus der großen Karriere gemacht habe. Das hat mir immer viel Stress erspart.
Stress hatten Sie schon manchmal. Zum Beispiel, wenn es um die Frage nach Ihrem bürgerlichen Namen ging. Sie sind gegen Berichterstattungen juristisch vorgegangen, waren mal mehr, mal weniger erfolgreich. Nun haben Sie mir erzählt, die Kunstfigur Atze Schröder ablegen zu wollen. Geht damit auch einher, dass wir Sie beim Namen nennen dürfen?
Es gab eine Zeit, da war es noch viel wichtiger, weil die Sache drohte, zu einem gewissen Grad zu kippen. Zu meinen Hochzeiten war ich derart Kult, dass Partys vor meinem Haus stattfanden. Deshalb musste ich mich selbst schützen. Allein zum Wohle des Hundes, denn der hätte sich sonst heiser gebellt. Ich weiß noch, wie selbst Stefan Raab mich darum beneidet hat, weil er meinte: "Du kannst sogar zu McDonalds gehen. Das kann ich nicht."
Weil Sie nicht mit Ihrer markanten Optik aus der Öffentlichkeit in der Freizeit durch die Gegend ziehen?
Genau. Obwohl bis auf die Locken ja auch nicht mehr viel geblieben ist. Cowboystiefel trage ich jedenfalls nicht mehr. (lacht)
Sie scheinen es also wirklich ernst zu meinen.
Ich sehe das auch gar nicht so verkniffen. Ich kann auf der Bühne den altbekannten Atze rauslassen, den Porschefahrer mit dem großen Maul und schon ein bisschen Herz, der auch nicht aus jeder Geschichte als Sieger hervorgeht, aber trotzdem behauptet, er wäre der Chef. Das macht ja auch Spaß. Und trotzdem kann ich eben so wie mit Ihnen oder in einer Talkshow auch ernsthaft über Dinge sprechen. Im Scheinwerferlicht tut ein bisschen Glitzer gut, aber das kann ich, sobald ich von der Bühne runter bin, auch schnell wieder ablegen.
- Interview mit Atze Schröder