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Baerbock, Scholz und Lindner – Ampel-Koalition? "Die Probleme kommen schon"


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Tagesanbruch
Die Probleme kommen schon

MeinungVon Florian Harms

Aktualisiert am 19.10.2021Lesedauer: 5 Min.
Annalena Baerbock, Olaf Scholz und Christian Lindner versprechen Großes – aber können sie es auch halten?Vergrößern des Bildes
Annalena Baerbock, Olaf Scholz und Christian Lindner versprechen Großes – aber können sie es auch halten? (Quelle: Kay Nietfeld/dpa)
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Guten Morgen, liebe Leserin, lieber Leser,

"Aufbruch" ist das meistbemühte Wort der Stunde. Kein Tag vergeht, ohne dass einer der rot-grün-gelben Zeremonienmeister den Beginn einer neuen Ära beschwört. "Wir fühlen uns gemeinsam beauftragt, in Deutschland einen neuen Aufbruch zu organisieren", brüstet sich FDP-Missionar Christian Lindner. "Es wird das größte industrielle Modernisierungsprojekt, das Deutschland wahrscheinlich seit über 100 Jahren durchgeführt hat", frohlockt SPD-Kanzler in spe Olaf Scholz, und Grünen-Apostel Robert Habeck predigt: "Wir sind in einer Hoffnungszeit angekommen." Halleluja!

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An großen Worten herrscht in diesen Tagen ebenso wenig Mangel wie an großen Herausforderungen. Die künftigen Bestimmer wollen Deutschland gleichzeitig klimaneutralisieren, digitalisieren, entbürokratisieren, sozial egalisieren und stärker europäisieren – und das Kunststück fertigbringen, all das auch noch irgendwie zu finanzieren. Wie genau, wissen sie zwar noch nicht, man raunt nun viel über neue Schulden, bisher hatte die Stunde der Wahrheit noch nicht geschlagen.

Das ändert sich jetzt: Nach den Sondierungen beginnen diese Woche die formalen Koalitionsverhandlungen, in denen um Punkt und Komma gerungen wird. Erst dabei wird sich abzeichnen, ob den großen Worten große Taten folgen können – und ob die neue politische Dreifaltigkeit tatsächlich in der Lage ist, das Land mit wegweisenden Weichenstellungen zu beglücken. Aber auch hernach ist noch nicht alles in trockenen Tüchern. Wie viel (oder wie wenig) manche vollmundige Ankündigung wert ist, erkennt man, wenn man sie in den historischen Kontext stellt.

Schon zweimal in der Geschichte der Bundesrepublik hat ein sozialdemokratischer Kanzler das Ruder von der CDU übernommen. Anno 1969 personifizierte Willy Brandt den Aufbruchsgeist der Studentenproteste, er versprach gesellschaftliche Modernisierung nach den biederen Jahren Konrad Adenauers und dessen Kurzzeit-Diadochen Erhard und Kiesinger. Brandt wollte innenpolitisch "mehr Demokratie wagen" und außenpolitisch mit der "neuen Ostpolitik" den Kalten Krieg entspannen. Knapp 30 Jahre später, anno 1998, versprachen Gerhard Schröder und Joschka Fischer wiederum einen Aufbruch: Sie wollten den Kohl’schen Reformstau auflösen und setzten allerlei Kommissionen ein, um den Arbeitsmarkt, die Bundeswehr, das Zuwanderungsrecht und die Rente umzumodeln.

Doch wie das so ist im Leben, so ist es auch in der Politik: Pläne sind nur so lange groß, bis sie auf die Realität treffen. Willy Brandt errang zweifellos Erfolge, doch nach mehreren Abgängen in der SPD-Fraktion, einem turbulenten Misstrauensvotum, seiner hart erkämpften Wiederwahl und den Mühen des politischen Alltags erlahmte sein Gestaltungswille so rasant, dass sein Intimfeind Herbert Wehner bald spottete: "Der Herr badet gerne lau." 1974 folgte die Guillaume-Affäre, Rücktritt, Ende Legende.

Auch Rot-Grün wurde nach dem historischen Wahlsieg 1998 von der harten Realität eingeholt: Im Zoff mit Genosse-der-Bosse-Schröder verließ Oberfinanzminister Oskar Lafontaine erst die Regierung, später auch die Partei, nahm das linke SPD-Lager mit und piesackte seine alten Buddys seither bei jeder Gelegenheit. Die sahen sich unterdessen mit einer außenpolitischen Krise nach der anderen konfrontiert – Balkankriege, Terror von 9/11, Afghanistan, Irakkrieg –, sodass kaum Luft für großartige Reformen blieb. Erst vier Jahre nach ihrem Amtsantritt raffte sich Schröders Regierung zu den Hartz-Reformen auf, wagte viel – und schaufelte sich damit zugleich ihr politisches Grab. Sic transit gloria mundi.

Was lässt sich aus diesen Erfahrungen lernen, im Hinblick auf die künftige Bundesregierung, die erstmals von gleich drei sehr unterschiedlichen Parteien getragen werden soll? Vielleicht ganz einfach dies: Wichtiger als hochtrabende Pläne ist Stabilität – durch gegenseitiges Vertrauen, Berechenbarkeit und Seriosität. Dafür die Grundlage zu legen und sie im Folgenden zu erhalten, ist die schwierigste Aufgabe einer Regierung. Die Probleme kommen dann von ganz allein.


Ruppiger Rauswurf

Es gab vieles, dessentwegen man Julian Reichelt fehl am Platz finden konnte. Übler Kampagnenjournalismus, zynische Ausschlachtung von Opferschicksalen, Verbiegen von Fakten, Vorführung politischer Gegner: Die Liste der publizistischen Sünden des bisherigen "Bild"-Chefredakteurs ist lang. Doch Springer-Chef Mathias Döpfner störte das nicht, im Gegenteil, er stärkte dem ersten Journalisten seines Hauses ein ums andere Mal den Rücken – selbst dann noch, als Redakteure dazu übergingen, ihren Frust über die miserable Arbeitsatmosphäre offen zu äußern, was einem kollektiven Misstrauensvotum gleichkam. Auch die Berichte über Reichelts kolportierten Machtmissbrauch im Umgang mit Redakteurinnen, über Affären und angebliche Begünstigungen führten beim Boss des Springer-Verlags nicht zum Umdenken; das Ergebnis einer internen Untersuchung vor einigen Monaten durfte man getrost ein Feigenblatt nennen.

Erst als die "New York Times" am Sonntag in einem langen Bericht über Reichelts Umtriebe auch Döpfners seltsame Geschäftspraktiken in den USA thematisierte, war das Maß voll. Die Affäre drohte endgültig zu eskalieren und auch den Springer-Chef mitzureißen. Gestern Abend zog Döpfner die Reißleine und setzte Reichelt vor die Tür. Doch längst ist auch er selbst schon beschädigt. Neuer "Bild"-Chef wird nun Johannes Boie, bisher Chefredakteur der "Welt am Sonntag" und ein ebenso kluger wie geradliniger Kollege. Er hat nun die Aufgabe, die Scherben des Reichelt-Döpfner-Debakels wegzuräumen, die Belegschaft zu beruhigen und "Bild" auf einen seriöseren Weg zu führen. Leicht ist das nicht, zuzutrauen ist es ihm schon.


Machtkampf in der EU

Mateusz Morawiecki haut auf die Pauke: Die EU könnte bald kein Bund freier Staaten mehr sein, warnt Polens Ministerpräsident in einem Brief an seine europäischen Amtskollegen, sie drohe zu einem "zentral regierten Organismus" zu mutieren, "der von Institutionen ohne die demokratische Kontrolle der Bürger Europas geführt wird". Hintergrund ist der Rechtsstaatsstreit zwischen Brüssel und Warschau. Polens Verfassungsgericht hat entschieden, dass Teile des EU-Rechts nicht mit der Verfassung des Landes vereinbar seien. Mit Spannung wird deshalb heute Morawieckis Auftritt vor dem Europaparlament in Straßburg erwartet. Der nationalkonservative Politiker wird wohl versuchen, den polnischen Kurs zu verteidigen, ohne Brüssel weiter zu provozieren – immerhin hat die EU-Kommission schon mehrere Vertragsverletzungsverfahren eröffnet. Außerdem braucht Polen gerade mehr denn je die Unterstützung der EU: Das vom belarussischen Diktator Alexander Lukaschenko befeuerte Flüchtlingsdrama an der Ostgrenze des Landes eskaliert.

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Schmökerfest in Frankfurt

Nach der Corona-Pause im vergangenen Jahr kann die Frankfurter Buchmesse endlich wieder für Publikum öffnen. Heute Abend geht’s los, Gastland ist Kanada. Die Besucherzahl ist auf täglich 25.000 begrenzt, es gilt die 3G-Regel. Auf meinem Nachttisch liegt gerade ein Buch, das zwar schon zwei Jahre alt, aber immer noch lesenswert ist.


Was lesen?

Die Affäre im Springer-Verlag hat noch weitere obskure Facetten – und wirft auch ein schlechtes Licht auf den Ippen-Verlag. Die Kollegen der "Süddeutschen Zeitung" beleuchten die Hintergründe.


Was ist die Lehre aus der Causa Springer? Deutschland braucht mehr unabhängigen Journalismus, meinen die Kollegen von "Netzpolitik".


Die CDU wirkt nach Angela Merkels Kanzlerschaft wie ein Trümmerhaufen. Wie desorientiert die Partei ist, zeigt sich an der grotesken Debatte über ihren künftigen Kurs, schreibt unser Kolumnist Christoph Schwennicke.


SPD, Grüne und FDP versprechen große Fortschritte – bei der Rente bleibt aber zu viel beim Alten, analysiert unser Wirtschaftschef Florian Schmidt.


Was amüsiert mich?

Der begnadete Theaterregisseur Christoph Marthaler ist soeben 70 Jahre jung geworden. Ich habe seinen Ehrentag zum Anlass genommen, mir noch einmal meine Lieblingsszene aus seinen Inszenierungen zu Gemüte zu führen: Danke für alles Frohe, Helle, Meister!

Ich wünsche Ihnen einen hellen Herbsttag.

Herzliche Grüße,

Ihr

Florian Harms
Chefredakteur t-online
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de

Mit Material von dpa.

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