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Bundestagswahl 2021 | Wahlkampf: Wer soll da noch durchblicken?


Meinung
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MeinungVon Florian Harms

Aktualisiert am 17.09.2021Lesedauer: 5 Min.
Live-Übertragung einer Debatte der Kanzlerkandidaten.Vergrößern des Bildes
Liveübertragung einer Debatte der Kanzlerkandidaten. (Quelle: imago images)
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Guten Morgen, liebe Leserin, lieber Leser,

Logorrhö zählt bekanntlich zu den folgenschwersten Krankheiten. Wer glaubt, permanent reden zu müssen, bekommt nicht nur irgendwann eine heisere Stimme, sondern malträtiert vor allem die Nerven seiner Mitmenschen. Vor einer Bundestagswahl wollen wir selbstverständlich wissen, was die Kandidaten denken und welche Pläne sie für das Land haben. Aber wollen wir das wirklich jeden Abend wieder von Neuem gesagt bekommen?

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Früher wirkte das Fernsehprogramm irgendwie aufgeräumter. In Wahlkampfzeiten gab es drei, vier Diskussionsrunden, damit man sich als Wähler ein Bild machen konnte. In den Debatten wirkten die Politiker ebenso gut vorbereitet wie die Moderatoren, manchmal wurde eine halbe Stunde lang über ein einziges Problem diskutiert. Wenn Herr Kohl redete, hörte Herr Schmidt zu, der anschließend klar und differenziert antwortete. Wenn Frau Merkel etwas sagte, versuchte Herr Steinmeier sie mit besseren Argumenten zu überflügeln. Als Zuschauer hörte man zu, machte sich seine eigenen Gedanken und setzte die Diskussion vielleicht im Familien- oder Freundeskreis fort. Es ging seltener darum, wie ein Politiker aussah, welche Koalition er vielleicht möglicherweise eventuell bevorzugte oder in welches Fettnäpfchen er getappt war. Es ging öfter um Sachfragen und Konzepte.

Heute dagegen erscheint mir nichts mehr aufgeräumt. Das beginnt bei der Flut aus Wahlsendungen, die sich in diesen Wochen in die Fernsehkanäle ergießt. Mal heißen sie "Klartext", mal "Wahlarena", mal "Am Tisch mit…", mal irgendwie anders. Mal ist es ein Duell, mal ein Triell, mal ein Vierkampf. Mal stellen Moderatoren Fragen, mal erwachsene Bürger, mal Kinder – aber die Antworten geben immer dieselben Köpfe, und was sie sagen, klingt auch meistens gleich. Wenn man dann zum achtundzwanzigsten Mal dieselben Phrasen über das "Modernisierungsjahrzehnt", "Chancengerechtigkeit" und "Aufbruch jetzt" gehört hat und ermattet weiterzappt, sitzen da Herr Lanz oder die Damen Will/Illner/Maischberger und stellen denselben Leuten dieselben Fragen noch ein neunundzwanzigstes Mal. Das ist dann der Punkt, an dem man sich als Zuschauer insgeheim fragt, ob diese Sendungen wirklich als Entscheidungshilfe für unentschlossene Bürger dienen sollen oder eher als Egobefriedigung für geltungssüchtige Ichlinge.

Der Drang zur Geschwätzigkeit wird auch nicht dadurch besser, dass viele Wähler kurz vor dem Stichtag noch unentschlossen sind. Einer repräsentativen Umfrage des Allensbach-Instituts im Auftrag der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" zufolge wissen 40 Prozent noch nicht, wem sie ihre Stimmen geben sollen. Als wichtigsten Grund nennen 63 Prozent der Befragten die Spitzenkandidaten, die sie allesamt nicht überzeugend finden. Auch von den Parteien haben sie eher eine negative Meinung: 56 Prozent der Befragten sagen, alle Parteien gäben zurzeit kein gutes Bild ab. Außerdem ist vielen Menschen nicht klar, wie sich die Parteien nach der Wahl verhalten werden – ob sie also ihre wortreichen Versprechen halten und mit wem sie Koalitionen schmieden.

Ob sich dieser Mangel an Klarheit und Vertrauen durch permanentes Wortbombardement lindern lässt? Ob mehr Bürger sich besser fühlen, wenn sie Abend für Abend mit den immer gleichen Sätzen beschallt werden? Ehrlich, da bin ich skeptisch. "Wähler entscheiden nach kurzfristigen Faktoren: der aktuellen Politik, politischen Themen und Streitfragen, strategischen Erwägungen, aber insbesondere der Performance des politischen Spitzenpersonals", sagt der Politikwissenschaftler Rüdiger Schmitt-Beck in einem aufschlussreichen Interview mit meiner Kollegin Liesa Wölm. Klar, dafür wollen sich die Leute ein Bild von den Kandidaten machen. Aber wenn ihnen irgendwann der Kopf schwirrt und sie vor lauter Geplapper nicht mehr durchblicken, was genau welche Partei und welcher Politiker will, trägt das nicht unbedingt zur Meinungsbildung bei. Vielleicht liegt auch darin ein Grund für die geringe Glaubwürdigkeit vieler Politiker und Journalisten.


Der Zar lässt abstimmen

Während Kremlgegner Alexej Nawalny weiterhin im Straflager schmort, sollen rund 110 Millionen Russen von heute an ihre Stimmzettel für das neue Parlament ausfüllen. Um eine echte Wahl handelt es sich natürlich nicht. Welche Partei die Mehrheit der 450 Sitze in der Staatsduma gewinnen wird, steht auch diesmal außer Frage: die Kremlpartei Geeintes Russland, für die seine Majestät Wladimir Putin sorgsam das Feld gesäubert hat. Kritiker sitzen entweder wie Nawalny im Gefängnis oder sind nicht zur Abstimmung zugelassen. Als Spitzenkandidaten für die Partei, die seine Machtbasis bildet, hat der Zar stattdessen den 71-jährigen Außenminister Sergej Lawrow ins Rennen geschickt. Eine Opposition existiere nur deswegen noch, "weil die Behörden uns als Dekoration brauchen", sagt Grigorij Jawlinskij, Mitbegründer der liberalen Partei Jabloko. Viel Mühe, die Wahl demokratisch und legitim aussehen zu lassen, gibt sich der Kreml allerdings nicht. Der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa wollten die Behörden mickrige 60 Wahlbeobachter gestatten – bei 225 Wahlbezirken im größten Flächenstaat der Erde. Also schickt die OSZE lieber gar keine, um die Farce nicht zu legitimieren. Traurig, aber logisch.


Showdown im Bundesrat

Mehr als 46.000 öffentliche E-Ladesäulen gibt es in Deutschland, aber kein einheitliches Bezahlsystem. Stattdessen müssen E-Autofahrer ein Sortiment an Ladekarten mit sich herumtragen und diverse Apps zum Stromtanken auf dem Smartphone haben. So wird das natürlich nichts mit dem massenhaften Umstieg auf Elektromobilität. Um den Wildwuchs einzudämmen, hat die Bundesregierung ein Gesetz auf den Weg gebracht: Ab Juli 2023 sollen alle neuen Ladesäulen für E-Autos mit Lesegeräten für Kredit- oder EC-Karten ausgestattet sein. Das lehnen Energiewirtschaft und Autobranche jedoch als veraltet ab und plädieren stattdessen für digitale Lösungen.

So ist die Ausgangslage, wenn heute der Bundesrat über das Stromtanken entscheidet. In der Länderkammer lag das Thema schon einmal auf dem Tisch, man vertagte sich aber wegen Unstimmigkeiten. Und auch diesmal gilt es als offen, ob die Verordnung Zustimmung findet. Sicher ist nur eines: Der Kartenstreit bremst den dringend notwendigen Ladesäulen-Ausbau. Und das kann eigentlich niemand wollen.


30 Jahre Hoyerswerda

Es war brutal, zynisch und menschenverachtend: Am 17. September 1991 griff im sächsischen Hoyerswerda eine Gruppe Rechtsradikaler zunächst ein Wohnheim für Vertragsarbeiter aus Mosambik und Vietnam an, später eine Flüchtlingsunterkunft. Tagelang belagerten sie die Häuser, die Bewohner mussten sich verschanzen. Anwohner klatschten Beifall, Polizei und Politik reagierten hilflos und überfordert. Zur Erinnerung an den Jahrestag der Schande gibt es in der Stadt nun ein Gedenkwochenende mit zahlreichen Veranstaltungen.

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Was lesen?

Anfang Mai hat SPD-Wahlkampfchef Lars Klingbeil meinen Kollegen Sven Böll und Johannes Bebermeier zu erklären versucht, wie er Olaf Scholz zum Kanzler machen will. Sie haben ihm nicht geglaubt – denn die SPD lag damals festbetoniert bei 15 Prozent. Jetzt haben die beiden den Generalsekretär noch einmal getroffen – und in einem munteren Gespräch über die Wahlkampfwende, die Rente und eine Union "im puren Panikmodus" gesprochen.



Nach der Einigung mit dem Bahnkonzern hat Gewerkschaftschef Claus Weselsky sein wahres Gesicht gezeigt. Es ist ein eiskaltes, kommentiert mein Kollege Mauritius Kloft.


Das Coronavirus kann auch von Personen übertragen werden, die sich gesund fühlen und nichts von ihrer Infektion wissen. Wie viele Menschen sich anstecken, aber keinerlei Symptome entwickeln, haben Wissenschaftler nun herausgefunden. Meine Kollegin Melanie Rannow fasst die Ergebnisse zusammen.


Was amüsiert mich?

Am übernächsten Sonntag könnte es sein, dass einige Herrschaften wortreich ihre Niederlage erklären müssen. Wie man das lieber nicht macht, hat vor einigen Jahren ein anderer Herr gezeigt.

Ich wünsche Ihnen einen fröhlichen Tag. Morgen meldet sich Sven Böll bei Ihnen.

Herzliche Grüße

Ihr

Florian Harms
Chefredakteur t-online
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de

Mit Material von dpa.

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