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Lars Klingbeil (SPD): "Ich finde das wirklich besorgniserregend"


Lars Klingbeil
"Die Union ist im puren Panikmodus"

  • Johannes Bebermeier
InterviewVon Johannes Bebermeier, Sven Böll

Aktualisiert am 17.09.2021Lesedauer: 8 Min.
Interview
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Der Gesprächspartner muss auf jede unserer Fragen antworten. Anschließend bekommt er seine Antworten vorgelegt und kann sie autorisieren.

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Lars Klingbeil: Wie hat er das geschafft?Vergrößern des Bildes
Lars Klingbeil: Wie hat er das geschafft? (Quelle: snapshot-photography/F.Boillot/imago-images-bilder)

Wie hat die SPD die Wende geschafft? Wahlkampfchef Lars Klingbeil erklärt seine Strategie, macht der Union schwere Vorwürfe – und verrät, wer der beste Wahlkampfhelfer seiner Partei ist.

Herr Klingbeil, Anfang Mai haben Sie uns zu erklären versucht, wie die SPD die Bundestagswahl noch gewinnen kann. Damals haben wir Ihnen kein Wort geglaubt. Fanden Sie uns wenigstens ein bisschen dumm und ignorant?

Nein, das wäre niemals meine Denke und meine Wortwahl…

…also doch ein bisschen.

Nein, wirklich nicht. Ich kann Sie beruhigen. Im Frühjahr haben viele Journalisten die Augen verdreht, wenn ich unseren Plan für den Wahlkampf skizziert habe. Die häufigste Frage war: Warum stellt die SPD überhaupt einen Kanzlerkandidaten auf?

Immerhin diese Frage hat sich erledigt.

Ja, wir haben den erfahrensten und kompetentesten Kandidaten im Rennen. Olaf Scholz ist beliebt und die Menschen vertrauen ihm. Der Zuspruch ist für mich aber kein Grund zur Genugtuung.

Zu unserer Ehrenrettung: Im Mai stand die SPD in den Umfragen festbetoniert bei 15 Prozent und war gerade dabei, zum x-ten Mal in den Wahlkampf zu starten. Mal ehrlich: Da ist doch nicht alles so gelaufen, wie Sie sich das vorgestellt hatten, oder?

Ich habe immer gesagt, dass sich die Bürgerinnen und Bürger erst spät mit der Bundestagswahl auseinandersetzen werden. Für mich war klar, dass sich am Ende des Wahlkampfs alles auf die Frage ausrichten wird, wer Angela Merkel folgt. Und die SPD hat wirklich vieles richtig gemacht seit 2017 und sich gut vorbereitet.

Damals gab es eine historische Niederlage.

Die wir schonungslos analysiert haben. Das Papier "Aus Fehlern lernen", das ich bei Experten in Auftrag gegeben hatte, ist die Grundlage für diesen Wahlkampf. Wir hatten frühzeitig einen sehr konkreten Plan. Dazu gehörte, den Kanzlerkandidaten früh auszurufen und danach gemeinsam ein Programm zu schreiben, das sich auf Schwerpunktthemen fokussiert, damit die Leute nicht wieder fragen, wofür die SPD steht.

Und es ist wirklich nichts schiefgelaufen? Das widerspricht doch jeder Lebenserfahrung.

Vor rund vier Wochen haben wir die Plakate mit "Kanzler für Deutschland" in Auftrag gegeben, die jetzt überall hängen. Damals lagen wir in Umfragen noch hinter der Union. Das hätte schiefgehen können. Ist es aber zum Glück nicht.

Gute Vorbereitung und dann den Plan durchziehen – ist das also der Hauptgrund für die aktuelle Stärke der SPD?

Der Hauptgrund ist Olaf Scholz. Und unsere Geschlossenheit als Partei. Alle sind hochmotiviert und haben richtig Bock auf diesen Wahlkampf.

Mag alles sein. Aber wenn man sich die Umfragen anguckt, beginnt der Abstieg der Union kurz nach dem Lacher von Armin Laschet bei seinem Besuch im Flutgebiet Mitte Juli.

Wir profitieren sicherlich auch von der Schwäche des Kanzlerkandidaten der Union. Trotzdem ist es doch so: Wenn die Leute das Bild vom lachenden Laschet sehen und sagen "Der soll nicht Kanzler werden", brauchen sie eine glaubwürdige Alternative. Und die bietet die SPD mit Olaf Scholz.

Armin Laschet ist also nicht der beste Wahlkampfhelfer der SPD?

Nein, das sind unsere rund 400.000 Mitglieder – und Markus Söder.

Hätte der CSU-Chef für die Union kandidiert, wäre die Sache gelaufen gewesen?

Das weiß ich nicht. Aber er hatte ja keine Kraft sich gegen Laschet durchzusetzen. Was ich weiß: Armin Laschet hat vor jedem Interview von Markus Söder Angst. Und es ist ein Großereignis für die Medien, wenn der CDU-Chef auf einem CSU-Parteitag Applaus bekommt. Das zeigt doch, in welchem desolaten Zustand die Union ist.

Profitiert die SPD nicht auch vom Absturz der Grünen in den Umfragen?

Bei aller Wertschätzung für die Grünen: Es geht jetzt im Finale um ein Duell. Entweder gibt es eine Regierung, die von Armin Laschet angeführt wird – oder eben von Olaf Scholz.

Was macht denn Olaf Scholz aus Sicht des SPD-Generalsekretärs zu einem guten Kandidaten?

Vor allem seine Kompetenz und internationale Erfahrung. Darüber hinaus ist Olaf Scholz ein absoluter Teamspieler und was mir persönlich wichtig ist: Er ist sehr verlässlich. Aufregung und ständige Strategiewechsel gibt es bei uns nicht. Er weiß, wovon er redet, und muss sich nicht in Floskeln flüchten. Und: Er hat Humor, auch wenn man das in der Öffentlichkeit nicht immer mitbekommt.

Puh. Jetzt sind wir der Heiligsprechung aber nahe.

Warum?

Es gibt auch den anderen Olaf Scholz, der durchaus zur Arroganz neigt und andere auch mal ziemlich von oben herab behandelt. Ist das vielleicht seine größte Stärke in diesem Wahlkampf, dass er diese Seite unterdrückt?

Ich habe ihn nicht so kennengelernt. Und ich bin im Moment viel mit ihm unterwegs. Dabei erlebe ich einen konzentrierten, lockeren und demütigen Kanzlerkandidaten.

Die SPD hat einige Themen im Angebot. Sie sind selbst viel im Wahlkampf unterwegs. Was treibt die Menschen gerade wirklich um?

Der Klimaschutz ist nach meinem Eindruck das wichtigste Thema. Aber zentral ist auch die Rentenpolitik. Die Leute fragen sich: Gibt es weiterhin ein stabiles Rentenniveau, oder müssen wir uns darauf einstellen, dass es zu Einschnitten kommt? Armin Laschet verweigert dazu jede Aussage.

Olaf Scholz behauptet zwar, er sei der Kanzler der stabilen Renten. Bis 2025 mag das auch stimmen. Aber danach…

...was er sagt – und das unterscheidet ihn von Armin Laschet – ist, dass das Rentenniveau auch nach 2025 stabil bleiben soll.

Bislang ist aber offen, wie.

Nein, da haben wir schon eine klare Vorstellung von. Es fängt damit an, dass Lohnpolitik die beste Rentenpolitik ist.

Aber damit wird das Finanzierungsproblem angesichts des demografischen Wandels nicht gelöst.

Gute Löhne sind eine wichtige Säule für die Finanzierung. Und jedem muss klar sein: Nur mit Olaf Scholz gibt es stabile Renten. Mit Armin Laschet werden Millionen Rentnerinnen und Rentner weniger in der Tasche haben. Das ist die Alternative bei dieser Wahl.

Nochmal: Gute Löhne machen noch keine stabile Rente. Im Gegenteil führen Lohnsteigerungen automatisch zu steigenden Renten.

Höhere Löhne führen zu stabileren Renten. Aber natürlich planen wir auch andere Maßnahmen: Wir wollen zum Beispiel auch die Riester-Rente weiterentwickeln. Dabei lohnt sich der Blick auf das schwedische Modell. Zudem finden wir die betriebliche Altersversorgung wichtig.

Aber wir reden beim stabilen Rentenniveau doch von der gesetzlichen Rentenversicherung, oder? Und da ist es doch so, dass schon jetzt ein Bundeszuschuss von fast 100 Milliarden Euro pro Jahr nötig ist.

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Die gesetzliche Säule ist zentral. Wichtig ist dafür auch die Erwerbsquote zu erhöhen. Je mehr Frauen wir etwa aus der Teilzeitfalle rausholen, desto stabiler sind die Einnahmen der Rentenversicherung.

Nun ist der SPD-Wahlkampf allerdings etwas aus dem Tritt geraten: Es gab Durchsuchungen im Bundesfinanzministerium, auch gegen Wolfgang Schmidt, den engsten Vertrauten von Olaf Scholz, wird ermittelt. Fürchten Sie, dass Sie sich noch selbst ausbremsen?

Man sieht vor allem, wie unfassbar krass die Union mit Schmutz um sich wirft. Ihr ursprünglicher Plan war, mit so wenig Aufwand wie möglich ins Kanzleramt zu kommen. Das haben die Bürgerinnen und Bürger ihr nicht durchgehen lassen. Dann hat die CDU geschaut, was sie in den Schränken des Konrad-Adenauer-Hauses noch findet. Inhalte waren da nicht, aber Schmutz war noch da. Und jetzt werfen sie damit. Das hat eine Heftigkeit bekommen, die ich von der Union nicht erwartet hätte.

Was meinen Sie genau?

Die Ermittlungen richten sich nicht gegen Mitarbeiter des Bundesfinanzministeriums, sondern gegen einige Beamte der Anti-Geldwäsche-Einheit FIU in Köln. Die Union tut aber mit ihren Halbwahrheiten so, als werde gegen Olaf Scholz und sein Ministerium ermittelt. Sie verdreht absichtlich die Wahrheit. Und das zeigt doch: Die Union ist im puren Panikmodus.

Aber warum? Die SPD hat 12 Jahre unter Merkel doch immer ganz gut mit der Union regiert?

Sie haben das Stichwort genannt: unter Merkel.

War sie so wichtig?

Angela Merkel hat den Laden zusammengehalten. Vor allem in der Abgrenzung nach rechts. Sie war es, die interveniert hat, als in Thüringen Thomas Kemmerich mit Hilfe der AfD zum Ministerpräsidenten gewählt wurde. Hans-Georg Maaßen wäre unter Merkel niemals Bundestagskandidat geworden. Jetzt hat Armin Laschet nicht einmal die Kraft sich von ihm zu distanzieren, wenn ein führender Neonazi zu Maaßens Wahl aufruft und mit ihm Veranstaltungen macht.

Ohne Merkel geht’s bei der CDU drunter und drüber?

Die Merkel-CDU, die die Menschen geschätzt haben, gibt es einfach nicht mehr. Und damit ist das Grundvertrauen in die Union komplett verlorengegangen. Das liegt ganz klar an der fehlenden Führung von Armin Laschet. Er ist so schwach, dass er sogar Friedrich Merz zurückholen musste, um ihn als "die Zukunft" zu präsentieren. Kleiner Haken: Der zerlegt jetzt jeden Tag genüsslich das Unionsprogramm.

Jetzt gehen Sie aber auch nicht gerade zimperlich mit dem Noch-Koalitionspartner um.

Aber ich verdrehe dafür nicht die Wahrheit oder erlaube mir die Unverschämtheit, dem politischen Wettbewerber seine historischen Leistungen für dieses Land abzusprechen. Die Union ist völlig außer Rand und Band. Ich finde das wirklich besorgniserregend.

Was genau?

Es gibt immer einen Tag nach der Wahl. Da müssen alle demokratischen Kräfte im Zweifel gesprächsbereit sein. CDU und CSU zertrampeln gerade den Rasen. Da frage ich mich schon: Wo sind eigentlich gerade die Vernünftigen in der Union, die sagen: "Ihr überzieht völlig." Ich glaube, dass Angela Merkel gerade jeden Tag fassungslos auf ihre Partei schaut und sich fragt, was ihre Nachfolger da anstellen.

Apropos Tag nach der Wahl: Wie zuversichtlich sind Sie, die aktuell guten Umfragewerte ins Ziel bringen zu können?

Es ist die spannendste Bundestagswahl seit über 20 Jahren. Jede Stimme entscheidet. Klar ist das Ergebnis erst am 26. September um 18 Uhr.

Nach 18 Uhr dürften Sie dann in die Situation kommen, Christian Lindner von einer Ampelkoalition überzeugen zu müssen. Wie wollen Sie seine FDP denn ködern? Er erzählt ja gerade überall, dass ihm die Fantasie für eine Ampel fehle.

Darum geht’s doch gerade gar nicht. Wir kämpfen jetzt für eine starke SPD und dann schauen wir uns die möglichen Konstellationen nach dem 26. September an. Wir wissen doch noch gar nicht, wie sich der Bundestag zusammensetzt.

Sie hoffen also noch, dass es für Rot-Grün reicht?

Egal welche Konstellation, es braucht eine starke SPD für einen Kanzler Olaf Scholz.

Und um Lindners fehlende Fantasie machen Sie sich gar keine Sorgen?

Ich glaube, dass sich eine starke liberale Partei immer auch durch Fantasie ausgezeichnet hat. Jetzt aber geht es um die Frage: Armin Laschet oder Olaf Scholz.

Am Sonntag kommender Woche um 18 Uhr wäre es dann aber schon sehr hilfreich, wenn der Abstand zwischen SPD und CDU/CSU deutlich ist, damit die Union nicht auf die Idee kommt, doch noch Jamaika mit Grünen und FDP zu versuchen, oder?

Es ist immer gut, wenn die SPD deutlich vor der Union liegt.

Ist ja auch schon ein paar Jahre her.

Wir haben uns nach vorne gekämpft. Aber wir wollen im Endspurt noch viele Menschen überzeugen, damit wir auch tatsächlich am Wahltag deutlich vorn liegen.

Was heißt deutlich?

Sie wollen jetzt eine Zahl hören, aber die bekommen Sie nicht.

Im Mai haben Sie uns gesagt, man könne heutzutage mit einer 25-Prozent-Partei den Kanzler stellen.

Das stimmt immer noch.

Also heißt das Wahlziel 25 Prozent plus x?

Nein, es heißt: So stark werden wie möglich.

Genau das haben Sie bei unserem letzten Gespräch auch gesagt.

Dann kann es so falsch ja nicht sein.

Verwendete Quellen
  • Persönliches Gespräch mit Lars Klingbeil in Soltau
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