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SPD-Wahlprogramm: Olaf Scholz zwischen Veggie-Day-Moment und Bedeutungslosigkeit


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  • Peter Schink
MeinungVon Peter Schink

Aktualisiert am 01.03.2021Lesedauer: 7 Min.
Kanzlerkandidat Olaf Scholz: Zwischen Veggie-Day-Moment und BedeutungslosigkeitVergrößern des Bildes
Kanzlerkandidat Olaf Scholz: Zwischen Veggie-Day-Moment und Bedeutungslosigkeit (Quelle: Bernd von Jutrczenka/dpa)

Guten Morgen, liebe Leserinnen und Leser,

hier ist der kommentierte Überblick über die Themen des Tages, heute stellvertretend für Florian Harms.

WAS WAR?

Wir sind alle gleich. Wenn Sie fragen, was die Menschen von den Regierenden erwarten, dann geht es im Kern um das: ein gutes Leben in Wohlstand, Freiheit und Sicherheit. Und eine gute Zukunft für die eigenen Kinder.

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Ich selbst habe als Kind die junge deutsche Demokratie erlebt, da war sie keine 40 Jahre alt. Politik gehörte in unserer Familie in fast jede Unterhaltung. Denn meine kindliche Welt war eine bedrohte: Waldsterben, atomare Aufrüstung, Kernkraftwerke, RAF.

So war es quasi selbstverständlich, dass ich im Herbst 1981 mitdemonstrierte, als Fünfjähriger mit 300.0000 anderen Menschen im Bonner Hofgarten. Es waren die Proteste gegen den NATO-Doppelbeschluss. Wir lebten in der Freiheit der westlichen Welt, aber Wohlstand und Sicherheit schienen fragil.

Auf der anderen Seite stand SPD-Bundeskanzler Helmut Schmidt. Er war nicht in der Lage, empathisch mit der Stimmung in der Bevölkerung umzugehen. Im Wahlprogramm der SPD aus dem Januar 1983 steht in der Einleitung, die Sozialdemokratie habe "den Frieden bewahrt und unser Land zu einem Aktivposten bei den Bemühungen um Rüstungskontrolle und Abrüstung gemacht". Ein Hohn für die Friedensbewegten.

So zogen 1983 die Grünen in den Bundestag ein. Joschka Fischer eroberte in Turnschuhen das Parlament.

38 Jahre später wählen wir im Herbst erneut. Die Welt ist komplizierter geworden: Klimakrise, Digitalisierung, Demografie, Migration, Geopolitik, Corona-Pandemie. Und doch müssen die Parteien einfache politische Antworten formulieren. Stimmungen in einfache Aussagen gießen. Wer sich wie Anton Hofreiter mit unpopulären Äußerungen aus der Deckung wagt (Zitat: "Einparteienhäuser verbrauchen viel Fläche, viele Baustoffe, viel Energie"), erlebt schnell seinen Veggie-Day. Zumal die politischen Debatten inzwischen im 24-Stunden-Takt durch die sozialen Netzwerke schallen.

In diesem Sinne ist es mutig, was seit dem gestrigen Sonntag im Berliner Politikbetrieb als Vorlage für ein SPD-Wahlprogramm kursiert. Kurz zusammengefasst: Das "Zukunftsprogramm der SPD" besteht aus 48 Seiten oder 1.878 Zeilen, gespickt mit teilweise sehr konkreten Ideen. Um nur einige Schlaglichter zu nennen:

  • Auf Autobahnen soll es ein Tempolimit von 130 km/h geben
  • In Gebieten mit "angespanntem Wohnungsmarkt" will die SPD einen Mietenstopp
  • Schüler und Auszubildende sollen kostenlos im Nahverkehr fahren
  • Vermieter müssen den CO2-Preis ihrer Wohnungen übernehmen
  • Der Staat will eine Versorgung mit Gigabit-Leitungen garantieren
  • Öffentliche Gebäude sollen Solaranlagen bekommen
  • Spitzenmanager sollen maximal das 15-fache des Durchschnittslohnes im Betrieb erhalten
  • Befristete Arbeitsverhältnisse ohne Grund soll es nicht mehr geben
  • Es soll einen Rechtsanspruch auf 24 Homeoffice-Tage im Jahr geben

Vieles davon ist im mutigen Indikativ formuliert. Zum Beispiel das Tempolimit: "Wir werden ein Tempolimit von 130 km/h auf Bundesautobahnen einführen", steht da geschrieben. Beschlossene Sache also. Viele der Forderungen lesen sich viel deutlicher, als man das von der SPD in den vergangenen Jahren gewohnt war. Klare Worte statt Polit-Geschwurbel.

Heute will der SPD-Vorstand über den Entwurf beraten. Und ihn wohl ohne größere Änderungen auch auf den Weg bringen.

Doch welches Profil gibt sich die SPD mit diesem Programm eigentlich? Sozial, digital und klimaneutral will die Sozialdemokratie in diesem Wahlkampf sein. Fortschrittlich eben. Gegenwind wird kommen von denen, die sich nicht gern als rückschrittlich bezeichnen lassen: Autofahrer, Vermieter, Kommunen, Arbeitgeber. Potenzial für einen Veggie-Day-Moment gibt es im Programm reichlich.

Doch das eigentliche Problem: Der Dreiklang "sozial, digital und klimaneutral" verfängt nicht.

Das Thema Klima reklamieren nun wirklich alle demokratischen Parteien für sich (hier, hier, hier, hier, hier). Die SPD will Deutschland bis 2050 klimaneutral machen – die Grünen diskutieren bereits das Ziel 2035. Meine Eltern sind Anfang der Achtzigerjahre auf der Autobahn mit 90 km/h im fünften Gang gefahren (ökologische Fahrweise!). Natürlich haben sie damals die Grünen gewählt. Wen will die SPD heute also mit Tempo 130 für sich gewinnen?

Die Digitalisierung ist auch kein Gewinnerthema für die Sozialdemokraten. Gigabit-Leitungen im ländlichen Raum sind überfällig, da hat die Große Koalition schon 2019 zu viel versprochen. Im Weiteren präsentiert die SPD beim Thema Digitalisierung zwar konkrete Vorschläge, aber vor allem zum Datenschutz und zur Kontrolle von Internetkonzernen.

Bleibt die soziale Gerechtigkeit. Auch wenn die SPD jetzt das Bürgergeld fordert, einen Mindestlohn von zwölf Euro, die Vermögenssteuer und die Transaktionssteuer – die SPD ist inhaltlich abgehängt. Die Linke zeigt viel mehr Kante – und fordert schon 13 Euro Mindestlohn. Oder: Die SPD will das Rentenniveau bei 48 Prozent halten, die Linke will es auf 53 Prozent anheben. Ein billiger Taschenspielertrick. Doch es bleibt bei vielen Betroffenen der Eindruck, die Linke sei engagierter.

Anders ausgedrückt: Parteien spiegeln mit ihren Wahlprogrammen uns Wähler. Sie erzählen uns, welche Probleme sie glauben, lösen zu müssen. Und welcher Weg dafür der richtige sei. Für beides (Probleme und Wege) haben die Sozialdemokraten keine eigenen Ansätze. Fatal für die SPD ist, dass die anderen ihr dadurch ständig einen Schritt voraus sind.

Kanzlerkandidat Olaf Scholz muss hoffen, dass er im Laufe des Sommers persönlich die Stimmung im Land doch noch irgendwo aufspüren und greifen kann. Andernfalls wird seine Partei und damit eine rund 150 Jahre alte Idee im Wahlkampf zwischen den beiden größeren Protagonisten endgültig zerrieben. Die Union mit Armin Laschet (oder Markus Söder) und die Grünen mit Annalena Baerbock (oder Robert Habeck) bieten genug Profil, um einen polarisierten Wahlkampf zu führen. Beide Seiten besetzen die wesentlichen Themen glaubwürdiger und repräsentieren große Milieus.

Willy Brandt hat einmal eine Generation inspiriert mit dem Satz: "Wir wollen mehr Demokratie wagen." Die SPD muss auf jeden Fall wieder mehr eigenes Profil wagen.

Im Wahlprogramm steht: Wir wollen einen neuen sozial-ökologischen Gesellschaftsvertrag. Der Satz steht da so. Wie eine Hülle. Dabei bräuchte es viel mehr als diese 48 Seiten, um ihn auszufüllen. Eine Herkulesaufgabe für Olaf Scholz im Wahlkampf.


WAS STEHT AN?

Kanzleramtschef Helge Braun hat angekündigt, eine zweigleisige Corona-Teststrategie etablieren zu wollen. Damit will er versuchen, den Lockdown schrittweise zu beenden. Konkret: Er wolle ermöglichen, dass sich jeder Bundesbürger ein- bis zweimal die Woche testen lassen kann, so Braun in der ARD. Zudem soll bei größeren Veranstaltungen vor Ort getestet werden, um dort das Risiko einer Ansteckung zu minimieren.

Ein Hersteller warb am Wochenende schon mal mit ganzseitigen Zeitungsanzeigen für die für Laien zugelassenen Schnelltests. Noch ist unklar, ob die produzierten Mengen für solche Massentests überhaupt ausreichen.


Es wird vorerst kein Treffen des Iran mit den USA zur Wiederbelebung des Atom-Abkommens geben. Vorher müssten die USA die verhängten Sanktionen aufheben, sagte ein Sprecher in Teheran am Sonntagabend. Doch womöglich liegt ein neuer Tonfall im Detail. "Wir werden zu unseren Verpflichtungen zurückkehren, sobald die Sanktionen aufgehoben sind", so der Sprecher.

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Womöglich geht es am Ende um eine Frage der richtigen Reihenfolge. Die europäischen Vermittler werden einen Weg finden müssen, der es der iranischen Führung ermöglicht, ihr Gesicht zu wahren.


In Myanmar soll eine Gerichtsanhörung der Friedensnobelpreisträgerin und ehemals faktischen Regierungschefin Aung San Suu Kyi stattfinden. Das Militär wirft ihr zwei Vergehen vor – den Besitz von Funkgeräten, die angeblich illegal ins Land gebracht wurden, und Verstöße gegen die Corona-Auflagen. Ihr Anwalt hatte zuletzt gesagt, sie bisher weder getroffen noch die Erlaubnis erhalten zu haben, die 75-Jährige zu besuchen.


WAS LESEN?

Über Zuschriften unserer Leserinnen und Leser freuen wir uns immer. Aber wenige Tagesanbrüche haben so viele Reaktionen hervorgerufen wie die Ausgabe vom Samstag. Florian Harms hat mich gebeten, dafür ein herzliches Dankeschön auszurichten. Wer den Text noch einmal lesen möchte, findet ihn hier.


Kennen Sie Carsten Linnemann? Wenn nicht, könnte sich das bald ändern. In der CDU wünschen sich viele, dass er das politische Erbe von Friedrich Merz antritt. Doch er ist anders als die Rhetorik-Haubitze Merz. Mein Kollege Tim Kummert war mit Linnemann morgens in Berlin joggen, um ihn besser kennenzulernen. Er schreibt: "Wo andere mit dem Kopf durch die Wand wollen, zückt Carsten Linnemann erst mal den Zollstock, um auszumessen, wie dick der Beton an dieser Stelle ist. Und überlegt dann, ob sich die Beule trotzdem lohnt." Kommt man in der Politik nach oben, wenn man den Konsens um jeden Preis sucht? Den Text finden Sie hier.


Erst versanken große Teile des Landes im Schnee, wenige Tage später kletterte das Thermometer mancherorts auf über 20 Grad. Wetterextreme wie zu Beginn des Jahres traten in Deutschland lange nicht mehr auf. Meine Kollegen Hanna Klein und Axel Krüger zeigen in Video-Animationen, was hinter den Temperaturschwankungen steckt und erklären, warum es solche Phänomene in Zukunft häufiger geben wird.


Das Coronavirus und seine Mutationen haben Deutschland fest im Griff. Was ist die richtige langfristige Strategie gegen die Pandemie? Gibt es einen Ausweg aus der Corona-Krise? Und können wir einen optimistischen Blick in die Zukunft wagen, die ein Leben mit oder ohne das Virus bereithält? Der renommierte Experte Klaus Stöhr hat sich in der t-online-Videoserie "Frag mich" den spannendsten und kritischsten Fragen der t-online-Nutzer gestellt.


Für einige Mundspülungen ist bereits erwiesen, dass sie die Viruslast im Mund-Rachenraum zeitweise senken können. Nun untersuchen Forscher das Potenzial von Nasensprays im Kampf gegen Corona. Meine Kollegin Melanie Weiner hat die Erkenntnisse zusammengefasst.


Wer abseits dicht besiedelter Gebiete unterwegs ist, kennt das Problem: kein Empfang. Weder SMS noch WhatsApp funktionieren, Anrufen kann man sowieso vergessen. Doch warum gibt es in Deutschland immer noch Funklöcher oder Orte mit sehr schlechtem Empfang? Wenn man Berichte über Funklochorte ansieht, zeigt sich, dass oft die Bewohner keinen Funkmast haben wollen. Mein Kollege Ali Roodsari erzählt die Geschichte eines solchen Ortes in Hessen.


In der t-online-Redaktion machen sich einige Leute seit einer Weile einen Spaß daraus, ihren Kollegen ein Messer in den Rücken zu jagen. Keine Sorge, uns geht’s hier allen gut. Ich rede vom Handyspiel "Among Us", um das es schon seit Sommer 2020 einen Hype gibt, der auch einige Kollegen erreicht hat. In "Among Us" laufen die Spieler durch eine Raumstation, müssen Aufgaben lösen und herausfinden, wer in ihrer Gruppe der oder die Mörder sind. Lesen Sie selbst, was diesen Hype ausgelöst hat.


WAS AMÜSIERT MICH?

Über dieses Bild unseres Karikaturisten musste ich zweimal nachdenken. Es lohnt sich.

Ich wünsche Ihnen einen gesunden Start in den Tag. Morgen schreibt Anna Aridzanjan an dieser Stelle, am Mittwoch dann wie gewohnt Florian Harms.

Ihr

Peter Schink
Stellvertretender Chefredakteur t-online.de

Was denken Sie über die wichtigsten Themen des Tages? Schreiben Sie es uns per Mail.

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