Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Was heute wichtig ist Kriegt Merkel jetzt noch die Kurve?
Guten Morgen, liebe Leserinnen und Leser,
hier ist der kommentierte Überblick über die Themen des Tages, heute von mir als Stellvertreter von Florian Harms:
WAS WAR?
Wenn in Deutschland eine Tragödie passiert, gibt es nicht nur, aber insbesondere in der Politik einen Reflex: Es wird sogleich über Lehren diskutiert, über Folgen – und über mögliche Gesetze, die in Zukunft verhindern, dass so etwas Schlimmes wieder passiert. Dieser Reflex ist grundsätzlich richtig und gut, sieht man einmal von den Politikern ab, die solche Tragödien nutzen, um sich zu profilieren und mit noch so haarsträubenden Ideen und Forderungen die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit zu gewinnen.
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Aber: Sicherheit ist gerade ein Riesenthema. Das aktuellste Beispiel ist der Horrorunfall mitten in Berlin, über den in Deutschland viel diskutiert wird. Am vergangenen Freitag kamen vier Menschen ums Leben. Weil der Verursacher in einem SUV unterwegs war, werden Obergrenzen oder gar Verbote für SUV gefordert. Das geht natürlich viel zu weit. Zum einen gibt es Hinweise darauf, dass der Fahrer möglicherweise einen epileptischen Anfall gehabt haben könnte. Zum anderen würde ein Verbot eine große Gefahr mit sich bringen, wie unsere Kolumnistin Ursula Weidenfeld beschreibt. Es empfiehlt sich, erst einmal die endgültige Klärung der Ursache abzuwarten, um dann konstruktiv über Konsequenzen nachzudenken.
So wie bei der letzten riesigen Tragödie am Frankfurter Hauptbahnhof? Denn in diesem Fall wird es jetzt konkret.
Nachdem vor rund sechs Wochen ein achtjähriger Junge von einem 40-jährigen gebürtigen Eritreer vor einen Zug und in den Tod gestoßen worden war, beschlossen gestern Innenminister Horst Seehofer, Verkehrsminister Andreas Scheuer und Vertreter der Deutschen Bahn Maßnahmen, um die Sicherheit an Bahnhöfen zu erhöhen.
Seehofer hatte nach der Attacke von Frankfurt tief greifende Maßnahmen angekündigt, und schien auch vor baulichen Maßnahmen nicht zurückzuschrecken. In den öffentlichen Diskussionen zuvor ging es darum, Passagiere erst auf das Bahngleis zu lassen, wenn ein Zug steht – oder um Plexiglaswände am Gleis. Dagegen klingen die Maßnahmen, die dem Vernehmen nach gestern beschlossen wurden und heute vorgestellt werden sollen, äußerst bescheiden. Die Videoüberwachung soll ausgebaut und die Präsenz der Sicherheitskräfte erhöht werden. Beides hätte diese Tragödie aller Wahrscheinlichkeit nach nicht verhindert. Abgesehen davon beklagte die Gewerkschaft der Polizei bereits, dass die Bahnpolizei seit Jahren an Knotenpunkten verstärkt würde, dies aber auf Kosten ländlicher Gegenden und Städte passiere. Irgendwo müssen die Sicherheitskräfte schließlich herkommen.
Tut Seehofer also das Richtige? Und geht er weit genug?
Zumindest kann das nicht das Ende der Bemühungen sein. Es braucht weder Aktionismus noch Alleingänge – in diesem Fall ohne die Bahn. Trotzdem muss das Ziel bei jeder einzelnen Tragödie sein, dass sie sich nicht wiederholt. Das gilt auch für den Horrorunfall mit dem SUV.
Der Schachzug mit der Inthronisierung Ursula von der Leyens als EU Kommissionschefin auf der einen, die Zurückhaltung bei den Wahlen in Europa, Brandenburg und Sachsen auf der anderen Seite: Was ist Bundeskanzlerin Angela Merkel noch zu leisten im Stande? Nachdem sie innenpolitisch während der Parlamentsferien nicht wirklich in Erscheinung getreten ist, hielt Merkel bei der gestrigen Generaldebatte zur Haushaltswoche im Bundestag ihre große Comeback-Rede.
Nachdem sie zum Start weit ausholte, einen Überblick über die Weltpolitik gab und sich in Durchhalteparolen beispielsweise in Bezug auf den Brexit übte, zeigte sie sich letztlich doch noch kämpferisch und überzeugend. Das Medienecho? Überwiegend positiv. Sie reckte mehrfach die Faust in die Höhe und sprach von der "Menschheitsherausforderung Klimawandel". Von der Opposition gab es natürlich scharfe Kritik.
Die entscheidende Frage? Kriegt die einstige Klimakanzlerin, die das Thema dann lange aus den Augen verloren hat, beim wichtigsten Thema die Kurve, so wie in ihrer Rede?
Was für die Menschheit die Herausforderung schlechthin ist, ist es auch für Merkel und die große Koalition – zumal ihr die Zeit davonläuft. Am 20. September will die Bundesregierung ihren Plan für den Klimaschutz beschließen und vorstellen, kurz darauf beim UN-Klimagipfel will sie ihn präsentieren. Dieser Schuss muss sitzen, sonst haben sowohl die Groko als auch Merkel ein Problem. Zumal die SPD Anfang Dezember ihre neue Parteispitze wählt und bislang unklar ist, ob die eine weitere Zusammenarbeit und somit auch eine weitere Kanzlerschaft Merkels bis 2021 befürwortet.
WAS STEHT AN?
Heute eröffnet Kanzlerin Angela Merkel mit ihrem Rundgang ab 10 Uhr offiziell die Internationale Automobil-Ausstellung (IAA) 2019 in Frankfurt, nachdem sich bislang nur Journalisten auf dem Gelände umsehen durften. Dicke Schlagzeilen schreibt die Messe schon seit Wochen. Positive sind das nicht. Erst recht nicht seit dem schweren SUV-Verkehrsunfall in Berlin (s.o.). Die schweren Offroader füllen in Frankfurt ganze Messehallen, ausgerechnet jetzt stehen sie allerdings wieder voll im Fadenkreuz ihrer Kritiker.
Dazu fürchten die Macher der Frankfurter Automesse Proteste von Umweltschützern gegen ihre neuen PS-Skulpturen. 30 Hersteller schwänzen die Messe sogar. Vielerorts las sich ein Vorbericht oder ein Kommentar eher wie ein Nachruf.
Ist diese Automobil-Ausstellung überholt? Nicht mehr zeitgemäß? Überflüssig?
Nein, sagen die Organisatoren. Und verweisen stolz auf die vielen neuen Modelle, die in den Messehallen ihre Weltpremieren feiern. Der elektrische ID.3 zum Beispiel, mit dem VW seinen Dieselskandal abhängen und in eine saubere Zukunft durchstarten will. Oder der neue Defender, mit dem Land Rover seinen fast 70 Jahre alten Geländewagen zu frischem Leben erweckt.
Ralf Bielefeldt stellt für t-online.de die wichtigsten Neuen der IAA vor und prüft, welche Autobauer ihre Hausaufgaben wirklich gemacht haben.
Weltweite Konjunkturabkühlung, Schwäche des Welthandels: Europas Währungshüter sehen sich erneut zum Handeln gezwungen. "Signifikante geldpolitische Impulse" hatte der Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB), Mario Draghi, bei der jüngsten Sitzung des EZB-Rates angekündigt. An diesem Donnerstag könnte das oberste Entscheidungsgremium der Notenbank Taten folgen lassen.
WAS LESEN?
Das Rennen um den Parteivorsitz der SPD läuft auf Hochtouren. Sieben Teams und ein Einzelbewerber stellen sich den Mitgliedern auf insgesamt 23 Regionalkonferenzen vor. Anfang Dezember entscheidet der Parteitag. Eine exklusive Umfrage von "Civey" und t-online.de hat nun ergeben: Rund ein Sechstel der SPD-Anhänger ist noch unentschlossen, aber ein Team liegt schon recht deutlich vor allen anderen. Jonas Schaible hat die Ergebnisse hier zusammengefasst.
Dieser Junge liebte die Bewegung und den Nervenkitzel. Er raste über die Skipiste, jubelte im Stadion für den VfB Stuttgart. Heute ist Dennis Scheffel 22 Jahre alt und nicht mal mehr zum Sprechen fähig. Meine Kollegin Frederieke Gramm erzählt die Geschichte eines 22-Jährigen, dessen Leben sich nur noch im Bett seines Zimmers abspielt. Er leidet an ME/CFS, dem Erschöpfungssyndrom. Wofür er überhaupt noch rauskommt und warum es Hoffnung gibt, lesen und sehen Sie hier.
DIE GUTE NACHRICHT
Im Kampf gegen Lebensmittelverschwendung hat eine finnische Supermarktkette eine Happy Hour eingeführt. Cocktails zum halben Preis? Zwei Drinks für einen? Nicht ganz. Im Gegensatz zu Bars, Cafés oder Diskotheken senkt S-Market künftig ab 21 Uhr drastisch die Preise für Lebensmittel, die sie drei Stunden später aus dem Sortiment entfernen und wegwerfen müssten – zum Beispiel diverse Fisch- oder Fleischsorten. In Deutschland gibt es solche Preissenkungen in abgeschwächter Form, in Finnland nun konsequent. Zunächst handelt es sich um ein Experiment, das auf zwei Jahre angelegt ist. Der Supermarkt hat noch Sorgen, dass ihnen künftig ab 21 Uhr die Bude eingerannt wird, während die Läden vorher leer bleiben. So oder so: Jeder Versuch, die Lebensmittelverschwendung zu reduzieren, ist ein guter Versuch.
WAS AMÜSIERT MICH?
Nachdem wir gestern in der Redaktion bereits versucht haben, Zweitnamen den entsprechenden Fußballern zuzuordnen, empfehle ich auch Ihnen das lustige Quiz meines Kollegen Benjamin Zurmühl. Gerade unter deutschen Nationalspielern gibt es überraschende Zweitnamen, die selbst Sportexperten nicht auf dem Schirm haben.
Ich wünsche Ihnen einen wunderbaren Tag. Morgen schreibt wie gewohnt Florian Harms für Sie.
Ihr
Florian Wichert
Stellvertretender Chefredakteur t-online.de
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de
Twitter: @florianwichert
Mit Material von dpa.
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