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Tagesanbruch: Schicksalstag – Ostsee-Pipeline “Nord Stream 2“


Meinung
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Was heute wichtig ist
Ostsee-Pipeline "Nord Stream 2": Schicksalstag für das Triumvirat

MeinungVon Florian Harms

Aktualisiert am 08.02.2019Lesedauer: 8 Min.
Schröder, Putin.Vergrößern des Bildes
Schröder, Putin. (Quelle: imago)
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Guten Morgen, liebe Leserinnen und Leser,

hier ist der kommentierte Überblick über die Themen des Tages:

WAS WAR?

Heute serviere ich als Erstes ein Gericht. Eine Gabel braucht es dafür nicht:

"Magst den Tadel noch so fein,
noch so zart bereiten,
weckt er Widerstreiten.
Lob darf ganz geschmacklos sein,
hocherfreut und munter
schlucken sie’s hinunter."


Was die Bosse der Genossen in den vergangenen Tagen in Zeitungen, auf Nachrichten-Websites und auch im Tagesanbruch aufgetischt bekommen haben, dürfte ihnen überhaupt nicht geschmeckt haben. Tellerweise Kritik mussten sie dort hinunterwürgen, Töpfe voller Hohn, mancherorts gar die für Politiker schlimmste Demütigung: Mitleid. Kleinster gemeinsamer Nenner aller Kritiker: Die SPD weiß nicht, was sie will, diese Partei hat keinen Plan.

Umso tiefer dürfen Frau Nahles, Herr Klingbeil, Frau Schwesig, Herr Scholz und die anderen Bosse heute Morgen beim Blick aufs Medien-Buffet aufatmen. Um im Bild des Gedichts der Schriftstellerin Marie von Ebner-Eschenbach zu bleiben: Wie köstlich darf ihnen munden, was sie dort serviert bekommen. Nicht überall, sicher, aber vielerorts, und der Tagesanbruch schließt sich da heute mal an. Der Gastbeitrag, in dem Manuela Schwesig und Kevin Kühnert exklusiv auf t-online.de ihr Konzept für einen "neuen Sozialstaat" erklären, ist mit so vielen interessanten Gedanken gewürzt, dass man einfach mal anerkennen muss: Nein, die SPD ist noch nicht tot. Sie ist noch in der Lage zu programmatischen Initiativen. Sie ist fähig zur klaren Analyse der Missstände in unserer Gesellschaft, und sie hat konkrete Ideen, wie diese behoben oder zumindest gemildert werden können. "Die überwölbende Idee ist das Recht auf Arbeit", erläutert Juso-Chef Kühnert im Interview mit unserem Parlamentsreporter Jonas Schaible. "Der Staat darf niemanden mehr aufgeben, in keiner Lebensphase, unabhängig von seiner Vorgeschichte – jeder kann etwas schaffen, jeder kann etwas beitragen. Der Staat soll ihm dabei helfen. Unser Menschenbild ist positiv, nicht skeptisch."

Was bedeutet das für das Hartz-IV-System, das die Sozialdemokraten einst selbst eingeführt haben?

Kühnert: "Wir sind von einer einfachen Frage ausgegangen: Warum lehnen so viele Hartz IV so extrem ab? Unsere Antwort: Viele Menschen haben das Gefühl, dass der Staat ihnen misstraut, dass er ihnen unterstellt, sie seien faul. Und sie fühlen sich ständig bedroht. Sie haben Angst, ihr Vermögen aufbrauchen zu müssen oder sanktioniert zu werden. Wir müssen diese Angst vor dem Staat ausschalten und in etwas Ermutigendes ummünzen. Wir brauchen ein System, das Chancen und Schutz bietet."

Es ist davon auszugehen, dass sich der Parteivorstand das Konzept am Sonntag zu eigen macht. Und dass Arbeitsminister Hubertus Heil es anschließend im Bundeskabinett vorstellt. So versuchen die Genossen, all jene Menschen zurückzugewinnen, die sie seit den Schröder-Jahren an die Linkspartei und die AfD verloren haben.

Darin mag man ein ehrenwertes Anliegen im Dienste der Schwachen in unserer Gesellschaft sehen. Und ja, natürlich auch ein cleveres politisches Manöver. Dennoch erlaube ich mir, Wasser in den Wein zu gießen. Den Enthusiasmus in Ehren, mit dem die Genossen Hartz-IV-Empfänger umwerben – sie sollten zweierlei nicht aus dem Blick verlieren: Erstens kann der Staat nicht alles richten; ein bisschen Rücksicht auf freies Unternehmertum wäre schon ganz gut. Zweitens gibt es in diesem Land viele Menschen, die hart arbeiten und es als ziemlich ungerecht empfinden, dass sie trotzdem kaum mehr zum Leben haben als jemand, der monatlich Geld vom Staat bekommt. Oder, mit den Worten der Schriftstellerin Marie von Ebner-Eschenbach: "In der Jugend meinen wir, das Geringste, das die Menschen uns gewähren können, sei Gerechtigkeit. Im Alter erfahren wir, dass es das Höchste ist."



Was geschieht in einem Staat wie der Bundesrepublik Deutschland, wenn ein Unternehmen zu mächtig wird, wenn es mehr Schaden anrichtet als Nutzen schafft? Dann meldet sich das Bundeskartellamt. Im Falle von Facebook versucht die Bonner Behörde jetzt hinzukriegen, woran Politiker und Datenschützer reihenweise gescheitert sind: Sie will den Laden von Herrn Zuckerberg zwingen, sein Geschäftsmodell grundlegend zu überdenken. Warum? Weil es darauf beruht, die Nutzer quer durchs Internet zu verfolgen, um ihnen im richtigen Moment die passende Werbung anzuzeigen. Dem sollte man widersprechen dürfen, sagen die Wettbewerbshüter. Sollte man? Meine Kollegin Laura Stresing kennt die Hintergründe (und verrät Ihnen auch, wie Sie sich als Facebook-Nutzer schon jetzt schützen können).


WAS STEHT AN?

Monopole gehören an die Leine. "Trennung von Netz und Betrieb" heißt das Prinzip bei der Bahn. "Trennung von Netz und Vertrieb" heißt es bei den Energieversorgern. Gemeint ist dasselbe: Ein Monopolist besitzt die Leitungen. Damit er die Konkurrenz nicht aussperrt, darf die seine Leitungen gleichberechtigt mitnutzen – und auch nicht über Gebühr zur Kasse gebeten werden. Nur deshalb haben wir als Kunden die freie Wahl: beim Gas, auch wenn die Stadtwerke die Rohre gelegt haben. Beim Telefonanschluss, auch wenn die Telekom den Schaltkasten aufgestellt hat. Tolle Sache also. Außer bei Pipelines.

Im EU-Rat wird heute über die Ausweitung dieses segensreichen Prinzips auf Gas-Pipelines abgestimmt, was die Bundesregierung bisher mit allen Kräften zu verhindern suchte. Der bürokratische Anstrich lässt kaum erahnen, welche Sprengkraft sich darin verbirgt. Die Pipelines dürfen sich nicht in der Hand der Gaslieferanten befinden – innerhalb der EU gilt das schon jetzt. Nun sollen auch Zuleitungen aus dem Ausland derselben Regel unterworfen werden. Oder genauer: eine ganz bestimmte Zuleitung. "Nord Stream 2" ist bereits im Bau, als unterseeische Leitung, die russisches Gas durch die Ostsee in die Bundesrepublik befördern soll. Das verdoppelt die Kapazität der bestehenden Röhre, eines gemeinsamen Projekts des Triumvirats Schröder/Putin/Gazprom. Nord-Stream ist Gazprom, und Gazprom ist Nord-Stream – praktisch alles in einer Hand. Trennung von Netz und Inhalt? Nichts da.

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Deshalb sieht es für das Riesenprojekt finster aus, falls die EU die Spielregeln ändert. Bisher war es dank deutscher Lobbyarbeit auf allen Kanälen unwahrscheinlich – doch jetzt hat Frankreich, Deutschlands wichtigster Partner, es sich anders überlegt. Um freien Wettbewerb in der Röhre geht es dabei aber nicht. Schließlich ist nicht damit zu rechnen, dass auf der russischen Seite jemals etwas anderes als russisches Gaz – Pardon, Gas – hineinkommt. Oder dass der staatsgelenkte Energiesektor sich plötzlich selbst Konkurrenz macht. Putin wird seinen eisernen Zugriff auf das Geschäft nicht lockern, weil Brüssel das gern hätte.


Aber worum geht es dann? Wirft man einen Blick auf die Landkarte, könnte man Nord-Stream schon mal mit einer Ortsumgehung verwechseln. Einen schönen großen Bogen machen die Röhren um Osteuropa. So viel billiger wäre es gewesen, die Pipeline an Land zu verlegen, aber schließlich geht es um mehr als nur Geld. Staufrei fließen soll der Zustrom, ohne dass die Bewohner der osteuropäischen Ortsmitte dabei in die Quere kommen. Spannungen zwischen Polen und Russland? Offener Konflikt in der Ukraine? Gas, das diesen Weg nähme, käme nicht mehr sicher an. Unter den Wogen der Ostsee dagegen ist das alles kein Problem. Für Deutschland nicht. Und für Russland nicht. Nur für alle anderen. Aber die könnten heute in Brüssel stärker sein. So gesehen wird dieser Freitag zum Schicksalstag für das Triumvirat.



Schlagzeilen schlagen heutzutage ja schneller als der Sekundenzeiger. In den vergangenen Wochen verging kein Tag ohne Diesel-Trara – angesichts von SPD/Trump/Nord-Stream ist es nun eher Tralala. Nicht gut. Denn noch immer treibt die Dieselkrise viele Menschen um. Stellvertretend für diese vielen möchte ich einen Brief zitieren, den ein Tagesanbruch-Leser an das Kraftfahrzeug-Bundesamt schickte und mir freundlicherweise in Kopie zusandte:

"Sehr geehrte Damen und Herren,

in Ihrem Schreiben vom November 2018 empfehlen Sie mir als Halter eines Dieselfahrzeuges (VW-Golf-Variant) mit der Abgasnorm Euro 5 diesen unter Inanspruchnahme einer Umtauschprämie durch ein Fahrzeug mit moderner Abgasreinigung zu ersetzten. Daraufhin war ich jetzt bei meinem VW-Händler, um mich über diese Umtauschaktion näher zu informieren bzw. zu erfahren, was ich tatsächlich für ein neues Fahrzeug des gleichen Typs aus eigener Tasche beizutragen hätte. Mein gerade einmal etwas über 6 Jahre alter Golf wurde mit lächerlichen 2.000 EUR angerechnet, sodass ich selbst über 20.000 EUR zuzahlen müsste, die ich aber gar nicht habe. Die Umtauschprämie gleicht im Wesentlichen nur den enormen Wertverlust meines Autos aus! Es macht mich wütend zu erleben, dass mein einwandfreies Fahrzeug mit einem Diesel, das vor 6 Jahren als besonders schadstoffarm verkauft wurde, heute angeblich der Umwelt nicht mehr gerecht und deshalb von Fahrverboten bedroht wird.

Zudem wurde mir am 18.01.2017 schriftlich bescheinigt: Die Volkswagen AG bescheinigt, dass ihr Fahrzeug nach der Durchführung der Rückrufaktion vollumfänglich den geltenden Vorschriften entspricht. Obwohl wahrscheinlich zweimal getäuscht und betrogen, soll ich nun genau von dieser Firma ein neues Auto kaufen. Dabei könnte es einem schlecht werden!"

Ich habe den Eindruck: Wie diesem Leser ergeht es hierzulande vielen Autobesitzern. Die Reaktion der Autokonzerne: Ausreden, aussitzen, austricksen. Die Reaktion der Bundesregierung: rumlavieren, Steuermilliarden in Städte mit drohenden Fahrverboten pumpen – und den Schwarzen Peter den Gerichten zuschieben. Ganz vorne dabei: Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU). “In meinem langen politischen Leben habe ich noch nie erfahren müssen, dass die Achtung vor Recht und Gesetz durch die Politik in einem solchen Maße schwindet, wie das heute geschieht“, schreibt der ehemalige Bundesminister Gerhart Baum in einem lesenswerten Gastbeitrag für die "Süddeutsche Zeitung". "Der Respekt vor einer unabhängigen Justiz und vor der Gewaltenteilung nimmt ab. Einige Politiker fühlen sich allmächtig und vergessen, dass die Politik in besonderer Weise an Recht und Gesetz gebunden ist. Das zeigt sich im Umgang der Politik mit der Verfassung bei sogenannten Sicherheitsgesetzen, jetzt vor allem aber bei der Argumentation gegen Fahrverbote."

Diese Sätze von einem der klügsten politischen Köpfe des Landes sind ein Alarmruf, den wir ernst nehmen sollten.



Der Bundesnachrichtendienst feiert heute die Eröffnung seiner neuen Zentrale in Berlin. Bundeskanzlerin Merkel ist auch dabei; anschließend empfängt sie den Staatspräsidenten von Mali und spricht mit ihm über den Bundeswehreinsatz in seinem Land.


WAS LESEN?


Jeder kennt sie, keiner will sie: Pickel. Treten sie im Rudel auf, lösen die fiesen Mitesser oft Abscheu aus. Hat sich eine besonders dicke Pustel in das eigene Gesicht verirrt, will man sich am liebsten nur noch verstecken. Für Hanna Bohnekamp, die 2010 unter der Fuchtel von Heidi Klum bei "Germany's Next Topmodel" den zweiten Platz eroberte, kommt das aber nicht mehr infrage. Sie hat die Pille abgesetzt, weil sie ihren Körper nicht länger mit Hormonen vollpumpen will. Dafür muss sie momentan aber auch die Pickel-Bürde tragen – und bekommt als Model weniger Aufträge. "Ich lasse mich ganz sicher davon nicht unterkriegen", erzählt sie im Gespräch mit meiner Kollegin Janna Specken. Ihre Meinung: Frauen müssen nicht immer perfekt zurechtgemacht sein – und schon gar nicht müssen sie sich schämen, wenn sie mal nicht makellos daherkommen. Wer will da widersprechen?


WAS AMÜSIERT MICH?

Die britische Premierministerin Theresa May war mal wieder in Brüssel. Wollte mal wieder über den Brexit reden. Was war noch gleich ihr Begehr? Ach ja, wie immer:


Ich wünsche Ihnen einen frohen Freitag und ein erholsames Wochenende. Wenn Sie mögen, können Sie am Samstag ab 6 Uhr hier den Tagesanbruch-Podcast hören. Mein Kollege Marc Krüger und ich werden über einen sehr mächtigen Mann und eine sehr ohnmächtige Partei diskutieren. Am Montag schreibt mein Kollege Florian Wichert den Tagesanbruch, ich bin dann ab Dienstag wieder für Sie da.

Ihr

Florian Harms
Chefredakteur t-online.de
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de

Mit Material von dpa.

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