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Tagesanbruch: EM-Vergabe für Deutschland, Erdogan bei Steinmeier und Merkel,


Meinung
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Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.

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Tagesanbruch
Was heute Morgen wichtig ist

MeinungVon Florian Harms

Aktualisiert am 28.09.2018Lesedauer: 8 Min.
Reichstagsgebäude in BerlinVergrößern des Bildes
Reichstagsgebäude in Berlin (Quelle: dpa)
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Guten Morgen, liebe Leserinnen und Leser,

hier ist der kommentierte Überblick über die Themen des Tages:

WAS WAR?

Deutschland erblüht. Das Land im Zentrum Europas hat die Folgen der Finanz- und Schuldenkrise endgültig verdaut, die Banken zahlen Ihren Kunden wieder stattliche Zinsen, die Wirtschaft brummt nicht nur, sondern hat mehrere Weltmarktführer in Digitaltechnologien und Künstlicher Intelligenz hervorgebracht. Geholfen hat dabei, dass die Koalition aus Union und Grünen seit Jahren systematisch die Digitalisierung fördert. Sie hat dafür ein eigenes Ministerium eingerichtet, ein Online-Bürgerportal aufgebaut und die Deutsche Telekom dazu gezwungen, bundesweit bis in jedes Haus Glasfaserkabel zu verlegen. Kostenloses WLAN ist in Großstädten längst selbstverständlich. Gemeinsam mit der EU-Kommission hat die Bundesregierung das Geschäftsgebaren der amerikanischen Tech-Konzerne reguliert und diese dazu gezwungen, anständige Steuern zu bezahlen.

Die Bundeskanzlerin, die schon seit fünf Jahren nicht mehr Merkel heißt, führt ein Kabinett, in dem mehr Frauen als Männer sitzen und das sich auf die Fahne geschrieben hat, eine gerechte Politik für die Mittelschicht zu machen. Kitas sind bundesweit kostenlos, jede Stadt mit mehr als 100.000 Einwohnern muss im Zentrum 30 Prozent der Wohnungen für Familien reservieren, Mieten werden konsequent reguliert. Dieselautos sind verboten, Benziner nur außerhalb von Städten erlaubt, aber die große Mehrheit der Bevölkerung fährt eh E-Mobile oder nutzt den ausgebauten öffentlichen Nahverkehr. Wer sich um kranke oder pflegebedürftige Angehörigen kümmert, kann dafür bis zu 50 Prozent seiner Arbeitszeit freinehmen und bekommt staatliche Unterstützung.

Ein Bürgerparlament nach irischem Vorbild hat nach zweijähriger Diskussion und unterstützt durch Fachleute ein langfristiges Rentenkonzept vorgelegt. Im Ergebnis werden alle Bürger etwas länger arbeiten müssen, bekommen aber umfangreiche Weiterbildungen und flexible Teilzeitmodelle angeboten. Weil das Ergebnis nicht von Politikern entwickelt wurde, sondern von Bürgern aus allen Regionen und Gesellschaftsschichten, findet es breite Unterstützung. Die Bundesländer haben ihre Zuständigkeit für die Bildungspolitik an den Bund abgegeben, der ein einheitliches Schulsystem aufgebaut hat. Dafür haben die Länder ihre Aktivitäten in der inneren Sicherheit verstärkt, in Großstädten verfolgt die Polizei nach Schweizer Vorbild eine Null-Toleranz-Linie gegenüber Kriminellen.

Außerdem hat die Kanzlerin gemeinsam mit dem französischen Präsidenten und führenden Wissenschaftlern eine globale Initiative für einen konsequenten Klimaschutz gestartet. Die Briten, die beim zweiten Brexit-Referendum mehrheitlich für einen Verbleib in der EU gestimmt haben, nörgeln zwar gelegentlich, haben aber verstanden, dass sie mit Europa stärker sind als ohne (und Europa mit ihnen ebenfalls). Die EU-Staaten haben gemeinsam mit den hundert größten Unternehmen des Kontinents ein Investitionsprogramm in West- und Nordafrika aufgelegt und fördern dort systematisch Kleinunternehmer und Dienstleistungen. Bis die Wirtschaft dort angekurbelt ist, sind Lebensmittelexporte zu Dumpingpreisen und die Fischerei europäischer Konzerne vor der afrikanischen Küste verboten.

Deutschland hat noch nicht alle seine Probleme gelöst, aber es ist ein prosperierender, weltoffener und vor allem wirklich geeinter Staat, dessen Bevölkerung einen zuversichtlichen und sozialen Gemeinschaftsgeist entwickelt hat. Ein Land, das sich aus eigener Kraft neu erfunden hat. Als stärkster EU-Staat ist es gerade als ständiges Mitglied in den Uno-Sicherheitsrat aufgenommen worden – und nun feiert es als Krönung all der Erfolge ein rauschendes Fußballfest. Ein Sommermärchen ohne schalen Beigeschmack. Die runderneuerte Nationalmannschaft von Bundestrainer Lahm trifft im Finale der Europameisterschaft 2024 auf Titelverteidiger Frankreich, und Julian Brandt, trotz seines Alters wieder mal bester Spieler auf dem Platz, erzielt kurz vor dem Abpfiff den Siegtreffer. Der Jubel kennt keine Grenzen. Hurra!

Oh.

Ich vergaß: Über diesem Teil des Tagesanbruchs steht ja “WAS WAR?“, nicht “WAS KOMMT?“. Also vergessen Sie bitte alles, was ich geschrieben habe. Oder nein, warten Sie, machen Sie es doch so: Verbuchen Sie die EM-Vergabe für Deutschland unter „WAS WAR?“ – und alles andere nehmen wir uns ganz fest vor, fordern es selbstbewusst und unermüdlich von Politik und Wirtschaft ein, engagieren uns auch selbst dafür. Muss ja nicht alles ganz genau so kommen, falls Ihnen der eine oder andere Punkt nicht passt. Aber das mit dem geeinten, zuversichtlichen und toleranten Land, das wäre doch schön, oder? Eigentlich sind wir ja gar nicht so weit davon entfernt. Wir müssen nur alle daran glauben und uns gemeinsam dafür einsetzen. Tag für Tag. Vielleicht gelingt uns das besser, wenn wir mehr miteinander statt übereinander reden, einander zuhören, öfter das Glas halb voll als halb leer sehen. Ach ja, und die Kanzler-Amtszeiten auf maximal zwei begrenzen.

In den USA ist der Showdown um die Besetzung des höchsten Gerichts in vollem Gange. Donald Trumps Kandidat Brett Kavanaugh bestreitet Vorwürfe, Mädchen und junge Frauen sexuell misshandelt zu haben. Präsident Trump hielt es für angemessen, die Anschuldigungen allein deshalb in Zweifel zu ziehen, weil die Hauptbetroffene nicht sofort bei der Polizei Anzeige erstattete. Seitdem melden sich auf Twitter unter dem Hashtag #WhyIDidntReport zahlreiche Frauen zu Wort und berichten, warum sie Misshandlungen für sich behielten. Es sind erschütternde Geschichten, und anschließend wundert man sich über nichts mehr.

Zwei dieser Geschichten möchte ich herausgreifen, denn sie stammen von Frauen, die nicht geschwiegen haben, sondern zur Polizei gingen – und es besser nicht getan hätten. In einem Stakkato von Tweets berichtet die eine, wie sie als Vierzehnjährige ihr plattes Fahrrad vom Supermarkt nach Hause schob, als sie von drei Männern überfallen, vergewaltigt und gefoltert wurde. Nach der Tat schwieg sie. Erst nach Monaten platzte es aus ihr heraus. Doch die Anzeige der Mutter machte alles nur noch schlimmer, denn einer der Beschuldigten war Polizist und Kollege der Ermittler. Es lässt sich erahnen, welch eine gewaltige Tortur, welch ein Kraftakt über viele Jahre es gewesen ist, wieder auf die Beine zu kommen, ein einigermaßen normales Leben zu führen, auch wenn die Ereignisse sich für immer in die eigene Biografie eingebrannt haben.

Eine andere Frau war sechzehn, als sie zum Opfer zweier älterer Jungen wurde, auf einer Party mit zu viel Sauferei. Auch sie ging zur Polizei, auch sie hatte Grund, es zu bereuen. Erwachsene wollten keinen Ärger, erst recht nicht wegen verletzter Aufsichtspflichten, und streuten Zweifel an ihrer Aussage. Eine Mobbing-Kampagne an der Schule, in Gang gebracht von den Tätern, zerstörte in wenigen Wochen den Ruf des Mädchens. Erst floh sie von der Schule, dann flüchtete sie sich in Drogen. Nichts war nach der Tat noch wie zuvor. Diese entfaltete ihre Wirkung wie ein Gift, das sein zerstörendes Werk auch ein Jahrzehnt später noch nicht beendet hatte.

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Posttraumatischer Stress ist ein sehr klinisches Wort für den unvergessenen Horror eines Tages und die Wucht einer alles zerstörenden Scham. Je mehr dieser Geschichten zu Tage kommen, desto weniger wundert man sich über das Schweigen der Opfer – sondern eher über die Kraft und den Mut derer, die das Schweigen brechen. In den USA stellt sich diese Erkenntnis nun selbst bei Unterstützern von Herrn Trump und seinem Kandidaten ein. Zum Beispiel bei Chris Wallace, einem Star-Moderator bei Trumps Lieblingssender Fox News. Erst durch die Debatte um Brett Kavanaugh erfuhr er von seinen Töchtern, dass sie in der High School sexuellen Übergriffen ausgesetzt waren. Frauen zu glauben, die erst nach Jahrzehnten ihr Schweigen brechen, fällt ihm neuerdings nicht mehr schwer. Dem Präsidenten dagegen umso mehr.

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WAS STEHT AN?

Er hat den "Hessenplan+" vorgelegt – aber hat er auch einen Plan, wie die SPD auf Bundesebene eine volle Legislaturperiode mit Horst Seehofer überstehen will? Klare und kurze Antworten gibt es von Politikern selten. Thorsten Schäfer-Gümbel, SPD-Spitzenkandidat für die hessische Landtagswahl und Vize im Bund, hat es im Interview mit meinen Kollegen Johannes Bebermeier, Martin Trotz und Nicolas Lindken versucht. Warum ist die AfD im Deutschlandtrend stärker als die SPD? Wie will er das auf den letzten Metern noch ändern? Schäfer-Gümbel, dem oft Profillosigkeit vorgeworfen wird, spricht Klartext – und verrät, warum er ganz bescheiden sagt: "Ich würde mir wünschen, dass mehr Leute so sind wie ich."

Auch sonst ist heute viel los: Erdogan bei Steinmeier und Merkel (Diekmann und Harms dabei), Proteste gegen Erdogan (dito), Spitzentreffen der Bundesregierung zur Dieselkrise (Merkel, Scheuer, Schulze, Scholz, Altmaier), Streik bei Ryanair (viele), VW-Aufsichtsrat entscheidet über gefallenen Audi-Chef (Stadler), und die Frankfurter eröffnen ihre rekonstruierte Altstadt (Goethe et al.). Alles wichtig, alles auf t-online.de.

Die Bundesliga-Saison ist noch jung – trotzdem ist bei einigen Vereinen in dieser englischen Woche schon wieder die Hölle los. Vizemeister Schalke krebst ohne einen einzigen popeligen Punkt im Tabellenkeller herum, der wunderbare, großartige VfB Stuttgart hat den Saisonstart trotz Transferausgaben von sage und schreibe 35 Millionen Euro wieder mal völlig vergeigt, und bei Borussia Dortmund schmort WM-Held Mario Götze nur noch auf der Tribüne. Wie konnte das passieren? Unser Kolumnist Stefan Effenberg zieht vor dem sechsten Spieltag am Wochenende ein knallhartes Zwischenfazit der noch jungen Saison. Seinen Rat für Götze und die Schalke-Verantwortlichen lesen Sie hier. (Und der VfB ist natürlich trotzdem wunderbar.)

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WAS LESEN?

Michelle Hunziker kennen Sie vielleicht noch als Moderatorin von "Wetten, dass?!". Die schweizerisch-italienische Entertainerin zeigt gerne ihr breites Lächeln, wirkt immer gut gelaunt. Doch fünf Jahre lang ihres Lebens ging es ihr gar nicht gut. Sie war Mitglied einer Sekte, die nicht nur ihre Ehe mit dem Sänger Eros Ramazzotti zerstörte, sondern sie auch finanziell ausnahm. Meine Kollegen Janna Specken und Arno Woelk sind nach Mailand gereist und haben dort mit Frau Hunziker ein ausführliches Gespräch geführt: über die Liebe, perfide Sekten und ihren persönlichen Ausweg aus der Einsamkeit.

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Winterjacken kauft man am billigsten in der Sommerhitze, Fahrräder bei Eis und Schnee, und während alle anderen noch die goldenen Herbstabende genießen, lassen wir flugs am Auto die Winterreifen montieren. Natürlich, das alles wäre ziemlich clever – trotzdem macht es kaum jemand. Besser wäre es aber. Zumindest, was die Winterreifen angeht. Denn tatsächlich beginnt deren Saison nicht erst bei Minusgraden, sondern jetzt. Genau: Jetzt, hier und heute. Schon bei 7 Grad (über, nicht unter Null!) bieten Sommerreifen nämlich weniger Sicherheit und sind damit die deutlich schlechtere Wahl. Aber auch, wer sich jetzt für Winterreifen entscheidet, kann mitunter eine miserable Wahl treffen. Das zeigt der ADAC in einem neuen Test: 28 Modelle hat er auf ihre Stärken und Schwächen geprüft, danach lautet die Empfehlung für mehrere Modelle: Finger weg! Und selbst wenn Sie nagelneue Reifen kaufen, heißt das noch lange nicht, dass Sie auch wirklich neue Reifen bekommen. Was dahinter steckt, worauf Sie achten müssen und welche Winterreifen ihr Geld wert sind: Das erfahren Sie im Überblick meines Kollegen Markus Abrahamczyk.

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WAS AMÜSIERT MICH?

Schon beim Namen weiß man, dass das eigentlich nicht schiefgehen kann: Die Comedy Wildlife Photography Awards halten, was sie versprechen. Ich empfehle Ihnen unbedingt einen Blick auf die Finalisten dieses Jahres (die finden Sie hier). Wahr ist, dass die Auszeichnung für den Schutz der Tierwelt werben will. Unwahr ist, dass das diesjährige Thema "die Groko in Berlin" gewesen ist. Nee, nee, nee. Das war schon letztes Jahr.

Ich wünsche Ihnen einen blendend gelaunten Freitag und dann ein schönes Herbstwochenende. Wenn Sie mögen: Hier hören Sie ab Samstag, 6 Uhr, den ausführlichen Audio-Tagesanbruch am Wochenende.

Ihr Florian Harms
Chefredakteur t-online.de
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de

Mit Material von dpa.

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