Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Tagesanbruch Was heute Morgen wichtig ist
Guten Morgen, liebe Leserinnen und Leser,
hier ist der kommentierte Überblick über die Themen des Tages:
WAS WAR?
Hans-Georg Maaßen muss als Präsident des Bundesverfassungsschutzes abtreten. Das ist nicht überraschend, die politischen Auguren in Berlin raunten es seit Tagen. Nun wird er Staatssekretär im Bundesinnenministerium, also nach oben befördert. Das ist unerhört.
Maaßen hat als Präsident einer deutschen Sicherheitsbehörde Behauptungen verbreitet, die er nicht belegen konnte. Er begünstigte Verschwörungstheorien und verbreitete in einer aufgeheizten Lage Unsicherheit – tat also das Gegenteil dessen, was ein Mann in seinem Amt tun sollte: nüchtern, faktenbasiert und ideologiefrei zu informieren. Er behauptete, bei dem Video, das eine Attacke auf einen Migranten in Chemnitz zeigt, sprächen "gute Gründe dafür, dass es sich um eine gezielte Falschinformation handelt, um möglicherweise die Öffentlichkeit von dem Mord in Chemnitz abzulenken". Diese Behauptung konnte er nicht mal ansatzweise belegen. Anschließend versuchte er sich herauszureden, statt sich zu entschuldigen. Nicht von ungefähr erinnerte viele Menschen dieses Verhalten an das haarsträubende Versagen der Verfassungsschützer bei der Aufarbeitung des NSU-Terrors.
Maaßen hat gravierende Fehler begangen. Gleichwohl: Ein Rausschmiss ohne Weiterbeschäftigung wäre ein zu hartes Urteil gewesen. Wer aber Fehler macht, der darf nicht auch noch belohnt werden – nicht mit einem höheren Posten und nicht mit einem deutlich höheren Gehalt.
Deshalb ist Maaßens Jobwechsel ein Hohn. Und zugleich ein Armutszeugnis für diese Bundesregierung. Sie ist nicht in der Lage zu einem klugen, ernstzunehmenden und vertrauenserweckenden Krisenmanagement. Sie ist eine Ansammlung divergierender Interessenvertreter, die mehr schlecht als recht durch die Angst vor dem Niedergang zusammengehalten werden.
Man kann sich plastisch vorstellen, was während der entscheidenden Runde gestern im Kanzleramt vor sich ging. SPD-Chefin Nahles sagt: Maaßen muss raus aus dem Verfassungsschutz. CSU-Chef Seehofer sagt: Wenn er schon raus muss, dann zu meinen Konditionen. Dann bekommt er ein schönes Pöstchen in meinem Superministerium. Die Kanzlerin schaut von einem zum anderen und nickt es dann ab. Selbst wenn das Treffen in Nuancen anders verlaufen sein mag, das Ergebnis steht für sich.
Damit büßt diese Koalition Glaubwürdigkeit ein. Alle Menschen, die pflichtbewusst und gewissenhaft für ihren Lohn, ihr Gehalt oder ihren Sold arbeiten, müssen sich vor den Kopf gestoßen fühlen. Wie will die Regierung denn künftig einem Hartz-IV-Empfänger erklären, dass er den Gürtel eng schnallen muss? Was sollen Polizisten denken, die ihre vielen Überstunden nicht angemessen entlohnt bekommen? Wie sollen die Kassiererin, der Paketbote, die Kindergärtnerin, die jeden Tag hart für ihr kleines Einkommen schuften, dieser Politik noch vertrauen? Die Moral ist dieser Bundesregierung abhandengekommen. Ihr Umgang mit der Personalie Maaßen dürfte die Politikverdrossenheit vieler Bürger verstärken. Es ist ein Elend.
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Und es dürfte Folgen haben. Für Merkels und Seehofers persönliche Umfragewerte und für den Fortbestand der Bundesregierung. “Der Geduldsfaden mit dieser großen Koalition wird in der SPD extrem dünn“, wetterte SPD-Vize Stegner gestern Abend, andere Genossen sprachen von einer “Katastrophe“, einem “Desaster“ und einem “zu hohen Preis“. Das klingt nach ersten Auflösungserscheinungen. Die Stunde der Wahrheit kommt spätestens am 14. Oktober um 18 Uhr. Da werden die Hochrechnungen zur bayerischen Landtagswahl über die Fernsehschirme flimmern. Für CSU und SPD könnten sie sehr bitter werden.
Was bei dieser Wahl auf dem Spiel steht, sehen Sie übrigens in diesem Video meiner Kollegen Jerome Baldowski und Nicolas Lindken.
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WAS STEHT AN?
Die wichtigsten Termine des Tages in Kürze:
Welche Aufgaben übernimmt Herr Maaßen nun genau im Bundesinnenministerium, und wer wird sein Nachfolger als Präsident des Bundesverfassungsschutzes? Darüber will Horst Seehofer heute die Öffentlichkeit informieren. Die Nachbesetzung in der Kölner Behörde ist in der Koalition heftig umstritten. Wie so vieles.
Betrachtet man die politischen Schockwellen des Migrationsstreits und des Falls Maaßen, könnte man auf den Gedanken verfallen, die Bundesregierung bekäme überhaupt nichts mehr geregelt. Das ist falsch. Einige Ministerinnen und Minister machen kontinuierlich ihre Arbeit – und bringen heute ihre Initiativen ins Kabinett ein. Darunter sind das Gute-Kita-Gesetz, die Steuerförderung des Mietwohnungsneubaus, ein Energieforschungsprogramm, Schritte zur Verbesserung der Situation von Terroropfern und der Startschuss für eine Plattform zur Zukunft der Mobilität. Es ist nicht alles schlecht in dieser Koalition.
Anschließend reist Kanzlerin Merkel zum informellen EU-Gipfel nach Salzburg. Es geht – wieder mal – um die Flüchtlings- und Migrationspolitik. Außerdem will die britische Premierministerin May ihre Brexit-Strategie erläutern. Was sie da wohl noch erläutern will?
In Pjöngjang treffen sich Nordkoreas Diktator Kim Jong Un und Südkoreas Präsident Moon Jae In zu ihrem dritten Gipfel. Es geht – wieder mal – um Kims Atomprogramm und einen möglichen Friedensvertrag auf der koreanischen Halbinsel. Gut, dass sie sprechen.
Der Bundesgerichtshof verkündet heute Nachmittag sein Urteil zur Frage: Darf ein Vermieter die Mieter vor die Tür setzen, wenn diese ihre Miete nicht rechtzeitig gezahlt haben? Derlei kommt immer öfter vor.
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WAS LESEN?
Vor einiger Zeit ist ein Zehnjähriger von anderen Grundschülern auf Klassenfahrt vergewaltigt worden. Der Fall ging durch die Presse und machte Sie vermutlich ebenso fassungslos wie mich. Warum tun Kinder so etwas? Andrej König, forensischer Psychologe und Professor an der Fachhochschule Dortmund, hat meiner Kollegin Claudia Hamburger im Interview erklärt, wie es zu sexuellen Übergriffen unter Kindern kommen kann.
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Russland und die Türkei haben sich auf eine Lösung für die Enklave Idlib in Nordsyrien geeinigt, die Rebellen sollen aus einer Pufferzone abziehen. Doch nach der Einigung stellen sich eher mehr Fragen als vorher: Wohin sollen die Kämpfer gehen? Wer soll künftig in Idlib herrschen? In Wahrheit sei die Einigung keine Lösung, kommentiert die “Zeit“ – sondern ein Ultimatum an die Aufständischen. Eine düstere Aussicht. Wobei der Schrecken keinesfalls nur durch das Assad-Regime verbreitet wird, wie dieses“Tagesschau“-Video zeigt. Damit Sie sich einen Überblick über die Lage verschaffen können, hat mein Kollege Benjamin Springstrow eine Karte angefertigt:
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WAS STÄRKT MICH?
So, jetzt hatten wir vorgestern 28 Posaunenbläser und gestern jede Menge schreiende Finnen, fehlt noch was? Genau. Endlich mal anständige Musik. Also bitte: Wenn ich dringend einen Energieschub brauche, dann drehe ich die Lautstärke auf und höre dreimal hintereinander dieses wunderbare Lied. Wenn Sie wissen wollen, wie ich mich danach fühle, hören Sie doch mal rein. Viel Vergnügen!
Ich wünsche Ihnen einen energiegeladenen Tag.
Ihr Florian Harms
Chefredakteur t-online.de
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de
Mit Material von dpa.
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