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Tagesanbruch – Chaos in Chemnitz: Merkels Machtbasis beginnt zu bröckeln


Meinung
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Tagesanbruch
Was heute Morgen wichtig ist

MeinungVon Florian Harms

Aktualisiert am 31.08.2018Lesedauer: 6 Min.
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU): Kraft und Autorität schwinden.Vergrößern des Bildes
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU): Kraft und Autorität schwinden. (Quelle: Kay Nietfeld/dpa)

Guten Morgen, liebe Leserinnen und Leser,

falls Sie den Tagesanbruch als Webseite lesen, interessiert Sie vielleicht der Hinweis, dass Sie ihn auch als E-Mail abonnieren können. Dann bekommen Sie ihn jeden Morgen um 6 Uhr bequem ins Postfach. Sie finden die Eingabemaske rechts neben diesem Text (auf dem Smartphone ganz am Ende dieses Artikels).

Und hier ist der kommentierte Überblick über die Themen des Tages:

WAS WAR?

Fünf Tage nach Beginn der Eskalation in Chemnitz treibt das Thema viele Menschen immer noch um. Inzwischen geht es in den Diskussionen um mehr als den Mord an einem jungen Mann, die Gewalt der Rechtsradikalen, das Verhalten der Polizei. Viele Leserinnen und Leser aus den neuen Bundesländern schreiben mir, und ein Gefühl schwingt dabei immer wieder mit: ein großer Missmut über Politiker, die als arrogant, prinzipienlos und unzuverlässig empfunden werden.

Eine Auswahl aus den Zuschriften: “Seit Jahren wird dies und jenes verheißen, aber nichts passiert.“ | “Es wurden blühende Landschaften und Aufschwung versprochen, aber dann verschwanden all die Arbeitsplätze und damit die Lebensgrundlage. Familie und Freunde gingen deshalb weg, das Freizeitumfeld verschwand.“ | “Da hat man eine Ausbildung als Elektriker, Mechaniker oder Büro-Fachangestellter und muss trotzdem von Hartz IV oder einem 400-Euro-Job als Putzhilfe leben.“ | “Aber für Flüchtlinge ist genug Geld da.“ | “Und dann kommen die rhetorisch gut aufgestellten Knalltypen und bringen all das vor, was Sie bedrückt. Da zieht fast jeder Bürger mit.“ Dies sind Einzelstimmen, aber es sind nicht wenige, und sie transportieren eine gemeinsame Haltung.

Nach meinem Eindruck haben sowohl die Bundesregierung als auch viele Landesregierungen und Kommunalpolitiker kein schlüssiges Konzept, wie sie mit diesem Verdruss umgehen können, was sie tun können, um ihn aufzulösen. Sicher, politische Fehler kann man korrigieren, man kann die Wirtschaft fördern, und man kann sich auch zum Bürgergespräch in ein Fußballstadion setzen. Aber das reicht offenkundig nicht. Es braucht mehr, und ich möchte Ihnen eine beeindruckende Frau vorstellen, die zu wissen scheint, was es braucht.

Petra Köpping heißt sie, ist Sachsens Integrationsministerin und sagt im Gespräch mit der “Süddeutschen Zeitung“ so viele interessante Dinge, dass ich das Interview gleich zweimal gelesen habe. Sie spricht über die Gründe für das Fehlen einer starken Zivilgesellschaft in Sachsen, über die 750.000 Menschen, die das Bundesland seit 1989 verlassen haben, über tief sitzende Enttäuschungen, über zweierlei Maß in der Sicherheits- und Integrationspolitik, über Ungerechtigkeiten bei der Rentenzahlung – und darüber, dass viele Menschen erst noch begreifen müssen: Demokratie funktioniert nicht nach dem Prinzip eines Pizza-Bestelldienstes. Falls Sie heute nur Zeit für die Lektüre eines einzigen Textes haben: Es sollte dieser sein.

Sie merken: Die Antworten von Frau Köpping haben mich beeindruckt. Zur Antwort auf die Frage nach dem Warum gehört aber auch die Mitverantwortung der Bundesregierung, die die Probleme in den neuen Bundesländern seit Jahren systematisch verdrängt und kleinredet. Was angesichts der ostdeutschen Herkunft der Bundeskanzlerin bemerkenswert ist. Auf den letzten Metern ihrer Regierungszeit wird Angela Merkel das nicht mehr ändern. Sie hat ersichtlich nicht mehr die Kraft und auch nicht mehr die Autorität, diese gewaltige politische und gesellschaftliche Herausforderung anzupacken. Das müssen beherztere, jüngere, dynamischere Kräfte nach ihr tun.

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Apropos jüngere Kräfte: Einer der wichtigsten Machpfeiler der Bundeskanzlerin ist die Unionsfraktion im Deutschen Bundestag. Lange Jahre lang trugen die Abgeordneten nahezu alles mit, was Angela Merkel mit ihren Bundesregierungen plante und umsetzen wollte. Richtig starker Gegenwind blies der Kanzlerin dort nie entgegen, auch nicht zu den Hochzeiten der Euro- oder Flüchtlingskrise. Am Ende standen vor allem die CDU-Abgeordneten stets mehrheitlich treu zur Kanzlerin. Das lag vor allem an einem Mann: Volker Kauder. Müsste man ein technisches Bild für die Tätigkeit des Fraktionschefs suchen, böten sich zwei an: Er fungiert zugleich als Seismograph und als Einspritzpumpe. Er informiert Merkel über die Stimmung in der Partei und in den Wahlkreisen, ruft rechtzeitig “Vorsicht, Gefahr!“ oder murmelt “Das kriegen wir schon durch“, er organisiert die Mehrheiten für ihre politischen Initiativen.

Das könnte sich nun ändern. Denn Herrn Kauder ist aus seinen eigenen Reihen ein Rivale erwachsen: Der äußerst beliebte Abgeordnete Ralph Brinkhaus aus Wiedenbrück (NRW) will bei der Wahl des Fraktionsvorsitzes am 25. September ebenfalls kandidieren. “Brinkhaus gehört zu einem Netzwerk jüngerer CDU-Politiker, die schon seit längerem in kritischer Distanz zu Merkel stehen – und die im Hintergrund relativ geschmeidig einen Machtübergang zur nächsten Generation vorbereiten“, schreibt das Magazin “Cicero“. Seine Kandidatur bedeutet: Es läuft auf eine Kampfkandidatur hinaus. Das bedeutet ferner: Ab sofort ist die Unionsfraktion im Bundestag in Unruhe. Und damit gerät Merkels Machtbasis ein bisschen ins Wanken.

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Zwei Aufreger gab es in dieser Fußball-Woche: Den “Videobeweis“, der am ersten Bundesliga-Spieltag mehr Fragen als Antworten lieferte, und die Pressekonferenz des DFB mit Bundestrainer Löw und Direktor Bierhoff, die ebenfalls mehr Fragen als Antworten lieferte. Folglich hagelte es sowohl für die Bundesliga-Schiedsrichter als auch für die Nationalmannschafts-Bosse viel Kritik. Unser Kolumnist Stefan Effenberg nimmt sich heute Morgen beider Themen an und erklärt, wie sowohl der Videobeweis noch zu retten ist als auch Jogi Löw noch zu… genau. Ausgesprochen lesenswert.

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Es ist eines der größten Rätsel der Kriminalgeschichte: Heute vor 130 Jahren begann die Mordserie einer Person, die man Jack the Ripper nannte. Tatort: das Londoner East End. Die Opfer: Prostituierte. Tatzeit: immer am Wochenende oder an Feiertagen. Die Frauen wurden ermordet und verstümmelt, der Schrecken lähmte die Stadt. Die Polizei verstärkte ihre Streifen auf den Straßen, Zivilbeamte mischten sich unter Betrunkene und Obdachlose. Hunderte von Bekennerschreiben gingen bei der Polizei ein, die Liste der Verdächtigen wurde lang und länger: Ex-Liebhaber, Kriminelle, Ärzte, Hebammen, sogar der Leibarzt von Queen Victoria war darunter. Es half alles nichts, die Identität des Täters blieb ungeklärt. Nach fünf Opfern endete die Mordserie schlagartig. Hatte der Täter die Stadt verlassen? Mordete er in einem anderen Land weiter? War er gestorben? Ungezählte Hobbydetektive, Rechtsmediziner und Kriminalisten haben versucht, das Rätsel zu lösen – vergeblich. Das ist vermutlich der Grund, warum die Geschichte bis heute so viele Menschen fasziniert.

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WAS LESEN?

Mir wurde ganz anders, als ich in den Videos aus Chemnitz Horden von Rechtsradikalen sah, die “Wir sind das Volk!“ skandierten. In meinen Ohren klang diese Parole bisher nach friedlicher Revolution, dem Ruf nach Demokratie und Freiheit. Und nun dürfen die Rechten sie missbrauchen? “Die haben die Botschaft nicht verstanden“, schreibt der Historiker Robert Feustel in einem Gastbeitrag für t-online.de – und erklärt, warum.

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Im Kaufhaus, in der Küche, im Supermarkt: Plastik ist in unserem Alltag allgegenwärtig. Und unverzichtb… Moment! Das ist Unsinn. Es gibt Menschen, die sich der Herausforderung stellen, vollständig auf Plastik zu verzichten, um unsere Umwelt zu schonen. Es geht tatsächlich, sagt Anni Lindner, Mutter von sechs Kindern und Pastorin bei der Heilsarmee. Aber wie verändert sich das Leben ohne Kunststoff – und wird dann nicht alles viel teurer? Diese und weitere Fragen beantwortet Lindner im Interview mit meiner Kollegin Silke Ahrens.

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Sätze, die man mal ausprobieren könnte, Nr. 235: "He, Chef. Sachen für mich bitte erst mal in die Ablage. Ich mache jetzt meinen Büroschlaf." Setzen Sie den Spruch mal ab, und Sie haben (a) einen Chef mit Humor oder (b) bald einen neuen Job. Viele Arbeitgeber erweisen sich beim Thema Büroschlaf als etwas hartleibig, dabei ist die Sache an sich auch betrieblich erfrischend: Nach dem Nickerchen verbessern sich die Konzentration, die Gedächtnisleistung und die Informationsverarbeitung im Gehirn. Die Gegenargumente der Arbeitgeberverbände spare ich mir an dieser Stelle, aber man kann sie ungefähr so zusammenfassen: och nö.

Falls Ihre Firma dem Thema gegenüber aufgeschlossen ist, sollten Sie allerdings eines beachten: In der Kürze liegt die Würze. Eine Viertelstunde geht klar. Wer länger schläft, schaut für den Rest des Arbeitstages eher zerknittert aus der Wäsche. Mittags und am früheren Nachmittag ist die beste Zeit. Nicht nur mit Blick auf das Mittagstief im Biorhythmus. Morgens erscheinen und gleich weiterschlafen: Nee, nee, nee. So, Sie wissen Bescheid, ich werde mich nachher kurz verabschieden. Sie wissen schon. Sachen für mich bitte erst mal in die Ablage.

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WAS AMÜSIERT MICH?

Wenn Sie regelmäßig den Tagesanbruch und auch noch ein paar andere Medien lesen, dann wissen Sie: Über die Geschehnisse in Sachsen kann man viele Zeilen Text schreiben. Man kann aber auch einfach nur ein Bild zeichnen. So wie unser Cartoonist Mario Lars. Er hat sich dem Pegida-nahen Landeskriminalamt-Mitarbeiter gewidmet, der kürzlich Journalisten anherrschte und nun den Polizeidienst verlässt. “Hutbürger“ wurde er wegen seiner Kopfbedeckung in den Deutschlandfarben genannt. Schon seltsam, dass jemand mit so einer Gesinnung Zugriff auf Ermittlungsakten haben durfte.

Ich wünsche Ihnen einen gelassenen Freitag und ein schönes Wochenende. Am Montag schreibt mein Kollege Jan Hollitzer den Tagesanbruch, ich bin dann am Dienstag wieder für Sie da.

Ihr Florian Harms
Chefredakteur t-online.de
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de

Mit Material von dpa.

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