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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Leben ohne Plastik "Ich dachte, ich muss viel mehr Geld ausgeben!"
Sie ist Mutter von sechs Kindern, Pastorin bei der Heilsarmee – und hat sieben Wochen auf Plastik verzichtet. Wie sich das Leben von Anni Lindner ohne Kunststoff verändert hat und über welches Produkt sie sich besonders ärgern musste, verrät sie im Interview.
Plastik ist im Alltag überall. Ein Verzicht darauf ist deshalb für die meisten undenkbar. Doch es gibt Menschen, die sich dieser Herausforderung stellen. Welche Tücken ein Plastikverzicht mit sich bringt, hat Anni Lindner aus Berlin am eigenen Leib erfahren.
t-online.de: Wie sind Sie auf die Idee gekommen, auf Plastik zu verzichten?
Anni Lindner: Die christliche Fastenzeit war der Auslöser. Ich habe seit ich Teenie bin in dieser Zeit immer auf etwas verzichtet – zum Beispiel auf Schokolade. Diesmal wollte ich etwas ganz anderes ausprobieren. Auf Plastik bin ich gekommen, weil es mich so aufregt, wie viele Sachen in Plastik verpackt sind. Ich dachte, das ist etwas Gutes, darauf mal sieben Wochen zu verzichten.
In welchen Bereichen haben Sie auf Plastik verzichtet?
Insgesamt beim Einkaufen. Da war es egal, ob es Kosmetika oder Nahrungsmittel waren, Stifte oder T-Shirts – selbst die sind ja manchmal eingepackt. Besonders hat es sich aber aufs Essen ausgewirkt, weil ich das jeden Tag einkaufe.
Ich habe auch versucht, nichts zu essen, was ich nicht selbst gekauft habe und von dem ich wusste, dass es vorher in Plastik eingepackt war. Das ist bei mir relevant, weil ich in einer Gemeinde arbeite und es bei Veranstaltungen oft Essen gibt, das jemand anderes besorgt hat. Zum Beispiel Snacks wie Kekse. In dem Fall habe ich dann nur einen Kaffee getrunken. Das war viel schwieriger, als wenn ich selbst eingekauft habe.
Wie haben Ihre sechs Kinder reagiert?
Das richtig strenge Fasten habe ich nur auf mich bezogen, aber meine Kinder waren auch davon betroffen, weil ich zum Beispiel keine Gummibärchen mehr gekauft habe. Die einen waren begeistert und wollten mitmachen. Die anderen haben Argumente angebracht, warum es nicht so schlimm ist, wenn man mal eine Tüte Gummibärchen kauft – das war sehr interessant. Insgesamt fanden es alle spannend, aber sie hätten es ungerne lebenslang durchgezogen.
Anni Lindner, Jahrgang 1980, ist Pastorin bei der Heilsarmee in Berlin. Außerdem ist sie Mutter von sechs Kindern, die im Alter von drei bis 15 Jahren sind.
Mussten Sie auf viele Produkte verzichten? Und was ist Ihnen am schwersten gefallen?
Ich habe nur noch ganz wenige Milchprodukte bekommen, weil Käse und Frischkäse meist in Plastik verpackt sind. Das war wirklich schwierig – selbst auf dem Wochenmarkt gibt es die Produkte kaum ohne Plastikverpackung. Auf Käse zu verzichten, ist mir wirklich schwergefallen. Daneben waren es Fleisch und Nüsse, die ich fast gar nicht kaufen konnte. Und da hatte ich nach sieben Wochen auch langsam das Gefühl von Entzugserscheinungen.
Wie war es mit Zahnpasta?
Ich benutze "Ajona"-Zahnpasta, die es in einer Metallverpackung gibt. Moment mal, die hat ja auch einen Plastikdeckel – Mist, daran habe ich gar nicht gedacht (lacht). Aber bei Kosmetik fand ich den Plastikverzicht nicht so dramatisch. Ich habe mich in die "Lush"-Produkte verliebt – da gibt es Seifen und Haarshampoos im Block. Die kaufe ich jetzt weiterhin, weil in vielen Kosmetika Mikroplastikpartikel enthalten sind. Ich habe vorher beispielsweise eine Gesichtspflegecreme verwendet, auf die ich einfach komplett verzichtet habe. Das hat meiner Haut überhaupt nicht geschadet, sondern eher gutgetan.
Haben Sie sich über ein Produkt besonders geärgert?
Über Schokolade. Ich fand es gemein, dass es oft Schokolade gibt, die ganz toll in Pappe und Papier verpackt ist, aber darunter doch manchmal Plastik auftaucht. Das hat mich richtig aufgeregt. Genauso bei Weichkäse, der von außen aussieht, als sei er nur in Papier oder Wachspapier verpackt und in Wirklichkeit ist innen noch eine Plastikfolie.
Gibt es ein Produkt, das Sie nach dem Plastikfasten nicht mehr kaufen?
Ein Dreierpack Paprika in Folie – solche Sparpacks, die eingeschweißt sind, kaufe ich nicht mehr. Und ein Produkt, das die ganze Familie betrifft: Flüssigseife für die Hände. Bei Seife bin ich wieder bei der Blockversion angekommen. Im Sommerurlaub habe ich sogar unsere gesamte Wäsche per Hand mit Gallseife gewaschen.
Gibt es etwas, das Sie beim Verzicht auf Plastik nicht erwartet haben?
Ich habe gedacht, dass ich sehr viel mehr Geld ausgeben muss, weil alles teurer sein wird. Aber ich habe gemerkt, dass ich viel gewählter eingekauft habe – nicht so viele Gelegenheitskäufe oder Schnäppchen. Dadurch habe ich insgesamt nicht mehr Geld ausgegeben, weil ich einfach weniger, aber dafür sinnvoller eingekauft habe. Das hat mich wirklich überrascht und das hat mir richtig gut gefallen.
Was hat das Plastikfasten bei Ihnen bewirkt?
Es war krass, weil ich gemerkt habe, wie viel in Plastik eingepackt ist – selbst Klopapier. Darauf habe ich allerdings nicht verzichtet. Ich habe kurz darüber nachgedacht, aber mich dagegen entschieden (lacht).
War es einfach, im Alltag auf Plastik zu verzichten?
In Berlin ist es zwar möglich, plastikfrei einzukaufen, denn es gibt viele Unverpackt-Läden. Aber es ist total schwer, das ohne größeren Zeitaufwand in den Alltag zu integrieren. Es hat mich die ganze Zeit beschäftigt, wie schwierig es ist, plastikfrei einzukaufen und dass es eigentlich viel einfacher sein müsste.
Wie könnte man das Einkaufen ohne Plastik erleichtern?
So wie es die Bio-Sparte im Supermarkt gibt, sollte es auch eine umweltfreundliche Verpackungs-Sparte geben. Ich glaube, das entwickelt sich auch schon langsam. Aber ich fände es toll, wenn noch mehr Firmen nach Alternativen zu Plastik suchen würden. Mir ist schon klar, dass Produkte heutzutage lange haltbar gemacht und so verpackt werden müssen, dass sie lange Transportwege überstehen. Aber ich glaube, dass es bessere Möglichkeiten als die simple Plastiklösung gibt. Es gab ja auch früher schon Methoden, wie zum Beispiel Wachspapier beim Fleischer.
Wie hat sich Ihr Leben durch den Plastikverzicht verändert?
Ich habe durch die sieben Wochen einen Blick dafür gekriegt, wie viel Plastik ich eigentlich kaufe. Dabei habe ich festgestellt, dass man vieles wirklich vermeiden kann, wenn man es will. Seitdem fällt es mir total schwer, etwas Eingeschweißtes zu kaufen. Zum Beispiel kann ich kein Dreierpack Bleistifte in der Plastikverpackung mehr für meine Kinder kaufen. Da nehme ich dann drei einzelne Stifte aus dem Regal, obwohl das manchmal etwas teurer ist. Aber das geht irgendwie nicht mehr, da habe ich eine Abneigung entwickelt.
Wie hat Ihr Umfeld auf den Plastikverzicht reagiert?
Es haben mich viele Menschen darauf angesprochen, weil ich manchmal sagen musste: "Das esse ich jetzt nicht." Da ging es mir wie einem Vegetarier oder Veganer, der sich erklären muss. Die Reaktionen darauf waren entweder "Wow, interessant. Das könnte ich selbst mal ausprobieren" oder "Das könnte ich gar nicht."
Gab es auch negative Reaktionen?
Bei Facebook oder auf anderen Netzwerken gibt es immer Leute, die das toll finden – aber es gibt auch immer welche, die richtig Krieg dagegen führen. Da braucht man starke Nerven, wenn man sich auf Diskussionen einlässt, weil es immer Menschen gibt, die sehr aggressiv werden. Das habe ich auch erlebt.
Wie sah das genau aus?
Es gab Kommentare wie "Es gibt doch wichtigere Sachen. Das bisschen Plastik, das ich kaufe, das stört doch keinen. Kümmer dich lieber um den Weltfrieden" oder "Da gibt es ganz andere Leute, die die Welt kaputtmachen. Das, was ich mache, ist doch nur ganz wenig." Ich denke aber, dass jeder seinen Teil dazu beiträgt. Wenn ich jeden Tag einen Sack Müll produziere, ist das auch ein Beitrag dazu, dass die Meere voller Plastik sind. Denn indem ich Plastikprodukte kaufe, unterstütze ich, dass sie weiter produziert werden.
Haben Sie jetzt mit dem Plastikverzicht aufgehört?
Ich habe nicht ganz aufgehört, ich habe es nur ein bisschen runtergefahren. In ganz vielen Bereichen mache ich es immer noch. Bei der Haarwäsche, bei Obst und Gemüse und allem anderen versuche ich darauf zu achten, möglichst wenig Plastik zu kaufen. Aber ich habe es tatsächlich nicht mehr ganz durchgezogen, weil es für mich einfach zu schwierig ist, es so in den Alltag einzubauen, dass ich keine Extra-Wege gehen muss.
Ich bin mir sicher, wenn ich Single wäre, würde ich es komplett oder viel intensiver durchziehen. Aber dadurch, dass ich so eine große Familie habe und meine Alltagsgeschäfte so abwickeln muss, dass ich nicht einmal quer durch Berlin zum Unverpackt-Laden fahren kann, ist es jetzt weniger geworden.
Werden Sie den strengen Plastikverzicht in der nächsten Fastenzeit wiederholen?
Das könnte ich mir vorstellen. Aber mein Ziel ist es nicht, das noch einmal ganz radikal für eine bestimmte Zeit zu machen, sondern viel mehr zu versuchen, den Plastikverzicht ganz in meinen Alltag zu integrieren.