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SPD-Chefs: "Gerhard Schröder hat sich für die falsche Seite entschieden"


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SPD-Chefs
"So etwas darf sich nicht wiederholen"


29.03.2022Lesedauer: 11 Min.
SPD-Chefs seit 100 turbulenten Tagen: Saskia Esken und Lars Klingbeil.Vergrößern des Bildes
SPD-Chefs seit 100 turbulenten Tagen: Saskia Esken und Lars Klingbeil. (Quelle: Robert Recker/t-online)
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Die SPD-Chefs Saskia Esken und Lars Klingbeil fordern, dass die Bürger in der Krise schnellstmöglich entlastet werden, gehen bei der Impfpflicht auf die Union zu – und distanzieren sich von Gerhard Schröder.

In den Nachrichten könnte nun ständig von "Bundesverteidigungsminister Lars Klingbeil" und "Bundesbildungsministerin Saskia Esken" die Rede sein. Doch die beiden SPD-Politiker haben sich gegen einen Wechsel ins Kabinett von Olaf Scholz entschieden. Sie wollten lieber den Job machen, den der frühere Vorsitzende Franz Müntefering einst als "Das schönste Amt neben Papst" bezeichnete.

An diesem Dienstag ist das SPD-Führungsduo Esken und Klingbeil 100 Tage im Amt, zuvor nahmen sich die beiden mehr als anderthalb Stunden Zeit für ein ausführliches Interview mit t-online.

Zu besprechen gab und gibt es schließlich mehr als genug: Die Kritik der Ukraine an Deutschland, die Kriegsflüchtlinge, die geplanten Entlastungen für die Bürger, das Verhältnis der Sozialdemokraten zu Gerhard Schröder, die Impfpflicht. Und dann hat Klingbeil neuerdings auch noch einen weiteren Job.

Herr Klingbeil, Sie sind seit Kurzem Mitglied im Verwaltungsrat des FC Bayern München e.V. Was kann die SPD vom Rekordmeister lernen?

Lars Klingbeil: Einmal gewinnen ist gut. Aber dauerhaft oben mitspielen, das ist eine Herausforderung. Der FC Bayern hat das geschafft. Das wollen Saskia Esken und ich nach der gewonnenen Bundestagswahl auch mit der SPD erreichen: Unsere Partei langfristig vorne etablieren.

Wie schafft es der FC Bayern denn, chronisch erfolgreich zu sein?

Er hat starke Führungspersönlichkeiten, ist geschlossen und konzentriert. An Leidenschaft und Ehrgeiz mangelt es ihm auch nicht. Oder um es mit den Worten von Oliver Kahn zu sagen: Weiter, immer weiter.

Der FC Bayern hat allerdings auch einen Sponsoringvertrag mit Qatar Airways, der höchst umstritten ist.

Diese Diskussion wird ja auch im Verein geführt. Das war auf der letzten Jahreshauptversammlung deutlich.

Frau Esken, Sie sind seit 2019 Parteivorsitzende, zunächst für zwei Jahre gemeinsam mit Norbert Walter-Borjans. Was macht Lars Klingbeil besser als sein Vorgänger?

Saskia Esken: Die SPD-Doppelspitze hat sich als Erfolgsmodell bewährt. Sowohl mit Norbert Walter-Borjans als auch jetzt mit Lars Klingbeil. Menschen sind verschieden und im besten Fall ergänzen sie sich. Lars Klingbeil und ich kennen uns nun schon seit Jahren und wir wissen sehr genau, was wir aneinander haben.

Sie sind jetzt 100 Tage zusammen Vorsitzende der SPD. Waren die besser als die ersten 100 Tage der Bundesregierung?

Weder die Regierung noch wir hatten Schonzeiten. Und obwohl wir, teilweise noch vor dem offiziellen Amtsantritt, sofort gefordert waren, funktionieren beide Konstellationen gut. Dass die SPD vieles richtig macht, sieht man auch am fulminanten Wahlerfolg von Anke Rehlinger im Saarland.

Wie dankbar muss die saarländische SPD Oskar Lafontaine sein, der durch seinen Austritt aus der Linkspartei ihren Erfolg mit ermöglicht hat?

Wir sind Anke Rehlinger und allen im Team der Saar-SPD dankbar. Sie haben durch jahrelange erfolgreiche Regierungsarbeit und einen hochengagierten Wahlkampf den Grundstock für diesen großartigen Wahlsieg gelegt.

Zurück zur Bundesebene: Krisenzeiten sind auch Zeiten der Exekutive. Haben Sie es bereut, nicht ins Kabinett gewechselt zu sein?

Klingbeil: Ich bin jeden Tag dankbar, dass ich Parteivorsitzender bin.

Heißt das im Umkehrschluss auch, dass Sie dankbar sind, nicht Minister zu sein?

Nein. Das heißt, dass ich, nachdem Norbert Walter-Borjans seinen Rückzug angekündigt hatte, sofort wusste, dass ich das Amt des Vorsitzenden übernehmen will. Nach dem Wahlsieg im letzten Jahr und der Zeit als Generalsekretär wollte ich an der Spitze meiner Partei weiterarbeiten.

Esken: Wir haben eine ehrenvolle Aufgabe, die nicht ganz einfach ist: Auch als Partei, die den Kanzler stellt, werden wir die SPD als eigenständige Kraft positionieren. Wir wollen auch bei der nächsten Bundestagswahl als stärkste Kraft durchs Ziel.

Seit mehr als einem Monat herrscht Krieg in Europa. Was kann Deutschland überhaupt noch tun, um die Invasion Russlands zu beenden?

Klingbeil: Wir haben gemeinsam mit unseren internationalen Partnern mehrere Sanktionspakete gegen Russland auf den Weg gebracht. Wir liefern Waffen an die Ukraine. Und wir machen auch vieles, das nicht unbedingt öffentlich ist. All das führt dazu, dass der Druck auf Putin steigt und der Rückhalt für ihn auch in Russland bröckelt. Putin hat mit diesem Krieg sein politisches Ende eingeläutet.

Wenn Deutschland so viel leistet, wie Sie sagen: Warum ist dann etwa der Ruf Frankreichs in der Ukraine viel besser als unserer?

Esken: Ich glaube, da haben Sie einen falschen Eindruck. Die Mitgliedstaaten der EU handeln ja gemeinsam und koordiniert.

Die Nato hat zuletzt ihre ABC-Abwehr gegen Massenvernichtungswaffen aktiviert. Allerdings nur für den Fall, dass Nato-Territorium betroffen ist. Sind wir zum Zugucken verdammt, wenn Putin in der Ukraine atomare oder chemische Waffen einsetzt?

Klingbeil: Olaf Scholz und die Bundesregierung sind seit Wochen gemeinsam mit Emmanuel Macron, mit Joe Biden, mit Ursula von der Leyen im 24/7-Modus, machen also rund um die Uhr alles, damit Putin diesen Krieg beendet.

Aber die entscheidende Frage lautet doch: Sind wir im Zweifel bereit, in der Ukraine einzugreifen?

Das ist unser Dilemma. Wenn ich die Bilder aus der Ukraine sehe, zerreißt es mir das Herz. Aber als Politiker müssen wir einen kühlen Kopf bewahren und uns die Konsequenzen solcher Entscheidungen bewusst machen. Wir müssen alles tun, um zu verhindern, dass in Europa der dritte Weltkrieg beginnt. Deshalb können wir die Nato nicht zur Kriegspartei machen, müssen aber an allen Stellen helfen.

Der Druck auf Deutschland wächst, ein Energieembargo gegen Russland zu verhängen. Wie lange kann sich der Kanzler dem noch verwehren?

Esken: Schon jetzt wirken sich die Sanktionen nicht nur in Russland aus, sondern auch bei uns. Das zeigt: Wir sind zu Schritten bereit, die auch für uns schmerzhaft sind. Denn wir wollen diesen Krieg beenden.

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Der UNO zufolge hat der Krieg bereits zehn Millionen Menschen in die Flucht getrieben. Ist Deutschland auf mehrere Millionen Flüchtlinge vorbereitet?

Momentan sind die meisten Menschen noch innerhalb der Ukraine auf der Flucht. Viele, die das Land verlassen, finden Zuflucht in Polen und Rumänien. Für alle, die wegen des Krieges in der Ukraine aus ihrer Heimat vertrieben werden, werden wir in Deutschland und der Europäischen Union einen sicheren Zufluchtsort bieten. Auch andere Länder wie die USA und Kanada haben ihre Bereitschaft zur Aufnahme erklärt.

Heißt das: Wir könnten drei Millionen Flüchtlinge bei uns aufnehmen?

Klingbeil: Ich finde es falsch, mit irgendwelchen Zahlen zu spekulieren.

Das ist ungefähr die Zahl der Menschen, die bei einer Verteilung von zehn Millionen Flüchtlingen innerhalb der EU nach Deutschland käme.

Entscheidend ist doch, was wir jetzt sehen: In unserem Land werden Flüchtlinge mit offenen Armen empfangen. Die Solidarität ist enorm groß. Viele Ukrainerinnen und Ukrainer wollen zurück in ihre Heimat, sobald der Krieg vorbei ist. Doch solange die Menschen hier sind, sollten wir gute Gastgeber sein. Es wäre gut, wenn auch die Union in dieser Situation aus den Fehlern von 2015 gelernt hätte.

Was meinen Sie damit?

Wenn CDU-Chef Friedrich Merz warnt, wir wüssten ja nicht, wer da gerade alles zu uns komme, zündelt er ganz bewusst. Ich kann nur an alle Demokraten appellieren: Lasst uns versuchen, dass dieses Mal kein parteipolitischer Streit auf dem Rücken von geflüchteten Frauen und Kindern ausgetragen wird, die bei uns Schutz vor einem brutalen Krieg suchen.

In der Flüchtlingskrise 2015 lagen zwischen Teddys am Münchner Hauptbahnhof und der Kölner Silvesternacht nur wenige Monate. Bei allen Unterschieden, die es gibt, ist das doch eine Warnung vor zu viel Euphorie, oder?

Esken: Wir erleben angesichts des Krieges in Europa, der Tod und Vertreibung bringt, eine große Hilfsbereitschaft und Solidarität den Schutzbedürftigen dieses Krieges gegenüber. Ich halte es für zynisch, in diesem Zusammenhang von Euphorie zu sprechen, wenn Menschen ehrenamtlich ihre Zeit und Energie dafür aufbringen, um Menschen in Not zu helfen.

Die Ampel hat in der vergangenen Woche ein zweites Entlastungspaket beschlossen, allerdings sind die Maßnahmen auf wenige Monate begrenzt. Was machen wir, wenn im Juli immer noch Krieg in der Ukraine herrscht oder seine Auswirkungen noch spürbar sind?

Nicht alle Maßnahmen sind befristet – beispielsweise wird die EEG-Umlage dauerhaft abgeschafft und auch die Kindergelderhöhung für bedürftige Familien ist auf Dauer angelegt – bis wir die Kindergrundsicherung umgesetzt haben. Nun geht es erst einmal darum, die Beschlüsse des Koalitionsausschusses in konkrete Gesetze und Verordnungen zu fassen. Ein Großteil der Arbeit steht also noch bevor. Es darf nicht so laufen wie beim Digitalpakt. Nachdem Angela Merkel und ich die Aufstockung politisch verhandelt hatten, hat es mehr als ein halbes Jahr gedauert, bis die ersten Tablets in den Schulen ankamen. Es war damals ein zähes Ringen mit der zuständigen CDU-Ministerin. Dieses Problem haben wir seit der Bundestagswahl nicht mehr.

Und dieses Mal? Wann kommt der Tankrabatt, wann kommt die Energiepreispauschale für jeden Steuerzahler?

So schnell wie möglich.

Das heißt zum 1. April? Oder zum 1. Mai?

Klingbeil: Einige Dinge können direkt in den Ministerien umgesetzt werden, andere müssen durchs Parlament. Wir erwarten als Parteichefs von den zuständigen Ministerinnen und Ministern, dass die Entlastungen so schnell wie möglich auf den Weg gebracht werden. Denn die Menschen brauchen jetzt unsere Unterstützung.

Klingt dennoch etwas unkonkret. Wäre es nicht peinlich, wenn die Entlastungen erst so spät ankommen würden wie die Tablets?

Esken: So etwas darf sich nicht wiederholen.

Die Koalition will auch 100 Milliarden Euro zusätzlich für die Bundeswehr mobilisieren und dafür sogar die Verfassung ändern. Oppositionsführer Friedrich Merz hat aber bereits harte Bedingungen gestellt. Würden Sie das Vorhaben im Zweifel auch ohne Grundgesetzänderung und ohne die Union durchziehen?

Klingbeil: Wir wollen es mit Grundgesetzänderung machen, um das Geld abzusichern und die Opposition mit ins Boot zu holen. Und es ist auch ein deutliches Signal an die Bürgerinnen und Bürger, dass für die notwendige Ausrüstung der Bundeswehr keine sozialpolitischen Projekte, keine Fortschrittsprojekte gestoppt werden. Friedrich Merz hat seine generelle Bereitschaft signalisiert, jetzt versucht er, doch ein bisschen parteipolitische Brise mit reinzubringen. Ich bin optimistisch, dass wir eine Lösung finden. Die Union wird sich im Bundestag nicht gegen unsere Soldatinnen und Soldaten stellen.

Aber Herr Merz hat gesagt, dass er dauerhaft mitentscheiden will, wofür diese 100 Milliarden Euro ausgegeben werden.

Esken: Das wird ja ohnehin so sein. Die 100 Milliarden Euro unterliegen genau wie der restliche Verteidigungshaushalt der parlamentarischen Kontrolle. Die Union kann, wie alle anderen Parteien im Bundestag, also auf jeden Fall mitreden.

Und das reicht dem CDU-Chef? Er sprach von einem eigenen Begleitgremium.

Vielleicht war Friedrich Merz einfach zu lange raus aus der aktiven Politik. Denn das parlamentarische Gremium, das er zur Kontrolle des Mitteleinsatzes fordert, gibt es bereits. Es heißt Bundestag. Und der umfasst den wichtigen Verteidigungsausschuss. Dort werden wir die Ausgaben gemeinsam mit der Opposition kontrollieren.

Herr Klingbeil, im Bundestagswahlkampf sind Sie auch gemeinsam mit Ex-Kanzler Gerhard Schröder aufgetreten. Angesichts seiner Tätigkeit für den russischen Energiekonzern Rosneft sprach er auf der Veranstaltung ironisch von "Gerd-Gas". Alle lachten. Bleibt Ihnen das Lachen inzwischen im Halse stecken?

Klingbeil: Ja. Es war ja ein öffentlicher Entfremdungsprozess in den letzten Wochen, der sowohl zwischen Gerhard Schröder und der SPD als auch zwischen ihm und mir stattgefunden hat. Wir haben als Parteispitze gemeinsam mit acht ehemaligen Vorsitzenden deutlich gemacht, dass er sich von Putin distanzieren und seine Ämter bei russischen Staatskonzernen niederlegen muss.

Sie kennen den Ex-Kanzler lange und gut. Warum ist er so stur?

Das kann ich nicht beantworten. Gerhard Schröder hatte immer ein Gespür dafür, was die Menschen umtreibt. Dieses Gespür hat er in der jetzigen Situation völlig verloren. Wir haben ihm deutlich gemacht, dass er komplett isoliert ist – in der SPD, aber auch in der Bevölkerung.

Wann hatten Sie das letzte Mal persönlich mit ihm Kontakt?

Das ist schon lange her.

Esken: Schröder hatte als Kanzler auch stets ein Gespür dafür, wann man außenpolitisch neutral bleiben muss, wie im Irak-Krieg, und wann es notwendig ist, Stellung zu beziehen. Auch hier hat er das Gespür verloren. Er agiert nicht wie ein Altkanzler, sondern wie ein Geschäftsmann.

Anfang März haben Sie ihn in einem Brief aufgefordert, seine Ämter niederzulegen und "zeitnah" eine Antwort verlangt. Haben Sie schon eine bekommen?

Klingbeil: Nein, bisher nicht.

Wie lange wollen Sie noch warten?

Wir haben uns politisch klar distanziert. Derzeit läuft ein Parteiordnungsverfahren gegen ihn. Wir alle hätten uns gewünscht, dass sich Gerhard Schröder spätestens mit Kriegsbeginn auf die richtige Seite der Geschichte stellt. Er hat sich für die falsche Seite entschieden.

Die zweite große Krise neben dem Ukraine-Krieg ist weiterhin die Corona-Pandemie. Haben Sie eigentlich manchmal Mitleid mit Karl Lauterbach?

Esken: Karl Lauterbach ist ein sehr fähiger Gesundheitspolitiker. Ich bin sehr froh, dass er Minister ist ...

... aber?

Kein Aber. Er muss nun eine andere Situation bewältigen als vorher. Die meisten Menschen haben sich an alle Regeln gehalten und alle Impfungen gemacht – und jetzt infiziert man sich trotzdem mit der neuen Omikron-Variante. Das ist schwer zu ertragen. Aber wir müssen nun eben einen neuen Umgang mit diesem Virus finden. Mit dieser Situation geht Karl Lauterbach hochverantwortlich um.

Das sehen viele allerdings anders – auch in der SPD. Am neuen Infektionsschutzgesetz gibt es viel Kritik.

Esken: Auch ich würde mir angesichts der steigenden Infektionszahlen wünschen und habe das auch deutlich gesagt, dass wir etwa bei der Maskenpflicht im Einzelhandel bleiben und Unternehmen ermöglichen, im Sinne des Beschäftigtenschutzes auch weiter strenge Hygieneregeln umzusetzen.

Warum kann die FDP als kleinster Koalitionspartner SPD und Grünen den Corona-Kurs diktieren?

Weil SPD und Grüne in der Koalition zwar die Mehrheit haben, aber nicht im Bundestag.

Die politische Durchsetzungsfähigkeit von Olaf Scholz hängt auch daran, ob noch eine Impfpflicht kommt. Glauben Sie angesichts des Widerstands noch daran?

Esken: Ich bin davon überzeugt, dass wir die Impfpflicht brauchen, weil wir auf anderem Wege nicht die Impfquote erreichen, um gut mit Corona als Realität leben und umgehen zu können.

Die Frage war aber, ob sie auch kommt.

Klingbeil: Ich hoffe es sehr – und bin optimistisch. Immerhin haben sich 16 Ministerpräsidenten parteiübergreifend für eine Impfpflicht ausgesprochen. Da muss man die Union immer wieder mal dran erinnern. Wir müssen doch damit rechnen, dass wir eine neue Virusvariante bekommen können, die sich so schnell wie Omikron verbreitet, aber so gefährlich ist wie Delta. Wenn wir den nächsten Herbst und Winter in Freiheit verbringen wollen, brauchen wir eine Impfpflicht.

Der Bundestag diskutiert verschiedene Vorschläge, darunter auch ein Stufenmodell der Union. Bislang hat kein Gesetzentwurf eine Mehrheit. Wie könnte ein Kompromiss aussehen?

Esken: Eine stufenweise Umsetzung der Impfpflicht ist ein Ansatz, dem man sich annähern kann. Die Verschiebung der Entscheidung über die Impfpflicht in die Mitte der nächsten Welle ist dagegen überhaupt keine gute Idee. Die Unionsforderung nach einem Impfregister ist vernünftig. Aber man darf es nicht zur Voraussetzung machen – denn dafür fehlt uns die Zeit. Man könnte aber parallel zur Umsetzung der Impfpflicht ein Impfregister aufbauen. Insgesamt kann ich mir gut vorstellen, dass wir da zusammenkommen.

In den Umfragen liegen nicht die SPD-Regierungsmitglieder, sondern die grünen Minister Robert Habeck und Annalena Baerbock vorn. In den sozialen Netzwerken werden beide sogar als "Kanzler und Kanzlerin der Herzen" gefeiert. Wurmt Sie das?

Klingbeil: Ich freue mich über jeden Minister und jede Ministerin in der Ampel, der oder die einen guten Job macht. Aber klar ist auch: Die Führungsverantwortung liegt bei Olaf Scholz. Und er bringt eine wahnsinnig starke Leistung gerade.

Aber was machen denn Ihre Ministerinnen und Minister falsch, dass sie nicht ähnlich beliebt sind?

Esken: Auch Karl Lauterbach schneidet in den Umfragen sehr gut ab. Dass unverhältnismäßig viel Kritik an Innenministerin Nancy Faeser und Verteidigungsministerin Christine Lambrecht geäußert wird, hat einen simplen Grund: Die Union hat verabredet, sich auf die Frauen einzuschießen und sie öffentlich – so oft es geht – zu kritisieren.

Klingbeil: Beide Ministerinnen machen einen sehr guten Job. Aber die Union hat ein Problem mit starken Frauen, und das demonstriert sie gerade sehr anschaulich.

Allerdings knirscht es auch innerhalb der Koalition. Bei Union und FDP fing es 2009 ähnlich an, später beschimpften sie sich gegenseitig als "Wildsau" und "Gurkentruppe". Wie weit ist die Ampel davon noch entfernt?

Klingbeil: Ganz weit.

Frau Esken, Herr Klingbeil, wir danken Ihnen für das Gespräch.

Verwendete Quellen
  • Persönliches Gespräch mit Saskia Esken und Lars Klingbeil im Willy-Brandt-Haus.
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