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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Strategisches Dilemma der AfD Die Schattenseiten der Corona-Opposition
Die AfD lehnt eine allgemeine Impfpflicht ab. Damit steht sie im Parlament ziemlich allein da. Nutzt ihr das langfristig
Nach der vergangenen Bundestagswahl herrschte in der AfD eine eigentümliche Stimmung. Es gab interne Kritik, weil sie 2,3 Prozent verloren hatte – das entsprach einem prozentualen Verlust von 18 Prozent ihres Wähleranteils im Vergleich zur Wahl davor. Gleichzeitig schaffte es die Partei, die erst das vierte Mal bei einer Bundestagswahl antrat, zweistellig zu bleiben. Und dies, obwohl sie fortwährend innere Streitigkeiten prägen und sie derzeit vom Verfassungsschutz als "Prüffall" behandelt wird. Sie wird damit zwar noch nicht nachrichtendienstlich überwacht. Ob dies aber in Zukunft geschehen wird, entscheidet der Verfassungsschutz in diesem Frühjahr.
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Aktuell scheint es so, als könne die AfD mit ihrer Elitenkritik – gegen "Die da oben" – in immer neuen Themen erfolgreich sein. Erst während der Euro-Krise gegen die Rettungspakete für Griechenland, dann gegen Merkels Bundesregierung und alle Vertreter einer weltoffenen Flüchtlingspolitik und nun in der Corona-Krise gegen die Ampelregierung und die Mehrheit der Stimmen aus der Wissenschaft.
Rückzug auf den harten Kern
Die AfD profitiert dabei auch davon, dass die Debatte um Impfungen derzeit weniger als private medizinische Frage, denn als politische Haltungsfrage diskutiert wird. Mit ihrer Ablehnung der Corona-Maßnahmen der Regierung sowie einer allgemeinen Impfpflicht erfüllt die AfD die Wünsche ihrer Anhänger. Denn in Umfragen sind gerade einmal verschwindend geringe zehn Prozent von ihnen für eine allgemeine Impfpflicht.
Doch anders als in der Flüchtlingskrise, in der sich die eigene Position gegen andere zumeist schwächere Personen richtete, müssen die Akteure mit den Folgen ihrer Handlungen in der Impffrage selber leben. Dies spricht dafür, dass sich bei den gegenwärtigen Wählern der AfD ein Rückzug auf den harten Kern vollzogen hat.
Hieraus entsteht für die AfD auch ein Problem: Denn sie hatte in den letzten Jahren, vor allem während der Migrationskrise ab 2015, von enttäuschten CDU-Wählern profitiert. Aber gerade diese stehen überdeutlich zu einer Impfpflicht. Da die AfD in gemäßigten Kreisen zunehmend an Anziehung verliert, kann sich die Partei dann mit diesen Wählern nicht mehr schmücken und so ihr bürgerliches Image pflegen. Der Abgang des bisherigen Co-Vorsitzenden Jörg Meuthen, der nach innen ein Integrator zwischen radikalen und gemäßigten Interessen und nach außen ein bürgerliches Aushängeschild sein wollte, ist hier nur das sichtbarste Zeichen dieser Entwicklung.
Auf ewig nur Protestpartei?
Auf den harten Kern der Wähler ist aber langfristig ebenso wenig Verlass. Denn diese zwischen Partei und politischer Bewegung des Fundamentalprotestes changierenden Wähler garantieren der Partei keinesfalls, dass mit ihnen irgendwann einmal ein Arbeiten an Kompromissen oder gar in Koalitionen möglich sein wird. Das jedoch wäre nötig, wenn die eigenen Vorstellungen politische Realität werden und nicht auf ewig Protest der Straße oder an sich selbst gerichtete Reden auf Oppositionsrängen bleiben sollen.
Der Blick auf die Impfpflicht lenkt dabei von einem anderen Punkt ab. Das für AfD-Wähler wichtigste Thema bei der vergangenen Bundestagswahl war nach wie vor die Zuwanderungspolitik. Dies macht einmal mehr deutlich, dass sich dieses Thema, obwohl migrationspolitische Fragen in der aktuellen politischen Großwetterlage fehlen, noch immer zur Mobilisierung bestimmter Gruppen eignet; es also für AfD-Wähler auch dann äußerst drängend ist, wenn es keine hohen Einwanderungs- und Flüchtlingszahlen in Deutschland gibt. Das verleiht der Partei Stabilität.
Erhebliche Konflikte unter AfD-Wählern möglich
Problematisch daran ist für die AfD, dass sie über diese Klientel hinaus in der Wählerschaft wohl kaum wachsen dürfte, wenn dieses Thema nicht wieder durch äußere Einflüsse aktuell werden sollte.
Gefolgt vom Migrationsthema haben AfD-Wähler ihre Partei auch gewählt, weil sie sich Antworten auf Fragen der sozialen Sicherheit, Wirtschaft und Arbeit versprechen. Besonders stark war die AfD bei Arbeitslosen und Arbeitern. Doch laut einer Studie der Otto-Brenner-Stiftung stehen einer "sozialen Rhetorik" vor allem marktorientierte Positionen gegenüber anstatt Forderungen eines starken Sozialstaates. Solidarität etwa solle demnach nur für "Einheimische" gelten.
Wie die Autoren der Studie Stephan Pühringer, Karl M. Beyer und Dominik Kronberger bemerken, überwiegen Forderungen zur Stärkung von "Leistungsgerechtigkeit" und "Wettbewerbsfähigkeit" deutlich gegenüber Positionen zur "Sicherung des Wohlfahrtsstaates" oder einer "Umverteilungspolitik". Gerade da sich die Partei oft als diejenige der "kleinen Leute" geriert, könnte ihre Programmatik in kommenden Debatten, wenn es etwa um die Reform des Rentensystems oder um andere soziale Fragen geht, zu erheblichen Konflikten innerhalb der eigenen Wählerschaft führen.
Gemäßigte vs. Radikale
Zwar verspricht eine Profilierung der AfD gegen künftige Vorstöße grüner Minister im Kampf gegen den Klimawandel ein gewisses Potenzial. Dann, wenn es um Lebensmittelpreise, Verbote in der Verkehrspolitik und Energiekosten geht. Doch agiert die Partei nun in einem veränderten Umfeld: Die Grünen müssen in der Regierung bereits Kompromisse machen und von ihrem Parteiprogramm teilweise abrücken.
Hinzu kommt, dass die ehemalige Reizfigur Angela Merkel von der politischen Bühne verschwunden ist. Ihr Nachfolger Friedrich Merz dürfte der CDU einen anderen Kurs verpassen. Von seiner Positionierung, etwa in den Fragen von Klima, Verkehr und Landwirtschaft, hängt ab, ob es der CDU wieder stärker gelingt, die bürgerlich-konservativen Wähler zu binden. Dies würde so manchen Wähler aus dem Lager der AfD abziehen.
Dann wird für die AfD aber umso entscheidender sein, wie sich das Verhältnis zwischen Gemäßigten und Radikalen gestaltet und ob das Gleichgewicht zwischen diesen beiden Seiten, das die Partei bisher zum Überleben brauchte, nach dem Abgang von Jörg Meuthen weiterbestehen kann.
So scheint die AfD zwar derzeit nach außen stabil dazustehen. Doch je mehr die ablehnende Haltung zur Corona-Politik der Regierung und zur allgemeinen Impfpflicht die Anhänger der Partei auch zusammenschweißen mag, desto weiter entfernt es sie auch von potenziellen neuen Wählern. Der Abstand von gemäßigten Wählern anderer Parteien hin zur AfD ist zuletzt immer größer geworden.
- Eigene Recherchen
- Forschungsgruppe Wahlen: Politbarometer vom 14. Januar
- Infratest Dimap – Wahlreport Bundestagswahl 2021