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Zum journalistischen Leitbild von t-online.SPD und Grüne Jetzt haben sie ein Spitzenproblem
SPD und Grüne streben in die Regierung. In den Parteien werden dadurch die höchsten Posten frei. Können sie die Nachfolge ohne größere Rangeleien regeln?
Erfolg macht glücklich, aber Erfolg schafft oft auch neue Probleme. Luxusprobleme zumeist, aber auch die können unangenehm sein. Das ist in der Politik nicht anders als im Privatleben. Auf SPD und Grüne zum Beispiel wartet nach der Bundestagswahl ein Spitzenproblem, das sie bei all der aufwändigen Regierungsbildung nun auch noch lösen müssen: Wer ist eigentlich künftig der Boss?
Die Grünen brauchen zwei neue Vorsitzende, weil Annalena Baerbock und Robert Habeck nicht mehr dürfen, wenn sie Minister werden. Und die SPD braucht neue Chefs, weil Norbert Walter-Borjans nicht mehr will und damit plötzlich auch Saskia Esken infrage gestellt wird.
Die SPD und die Frage: Wer, weil nicht Scholz?
"Jetzt sollen mal Jüngere ran." Mit diesen Worten hat Noch-SPD-Chef Norbert Walter-Borjans, 69 Jahre, Ende vergangener Woche seinen Rückzug öffentlich gemacht. Der war zwar gemeinhin erwartet worden, aber die offizielle Ankündigung löste trotzdem eine Dynamik aus, die schon jetzt die künftigen Optionen einschränkt.
Olaf Scholz winkte sofort ab, so wie er das auch schon vor der Wahl getan hatte. Als Bald-Kanzler bestimmt er den Kurs der SPD faktisch ohnehin so sehr, dass er den Parteivorsitz gar nicht mehr braucht. Er würde ihm und der SPD sehr wahrscheinlich sogar zusätzliche Probleme bereiten.
Denn der linke Flügel sähe eine solche Machtfülle in der Hand des Ultrapragmatikers Scholz gar nicht gern. Zumal die Linken in der SPD gerade erst ihr Ziel erreicht hatten: Eine ausreichende Repräsentation im Bundesvorstand. Durch Esken und Walter-Borjans, aber eben auch durch Vizechefs wie Kevin Kühnert.
Nur wer macht es dann?
Bei einem der zwei Plätze in der Doppelspitze läuft jetzt alles auf Generalsekretär Lars Klingbeil zu. Er hat die erfolgreiche Wahlkampagne organisiert und viel dazu beigetragen, den komplizierten Laden SPD zusammenzuhalten. Klingbeil, 43 Jahre, ist selbst ein Seeheimer, also auf der eher konservativ-pragmatischen Seite der SPD angesiedelt. Er genießt aber auch bei vielen Linken großen Respekt für seine vermittelnde Art.
Zuletzt wurden ihm zwar auch Ambitionen auf ein Ministeramt in der Ampelregierung nachgesagt. Auch das hätte er wohl haben können. In einem Interview mit dem Redaktionsnetzwerk Deutschland macht er nun aber den Eindruck, als sei die Entscheidung gefallen: "Der Vorsitz ist ein sehr wichtiges, traditionsträchtiges und reizvolles Amt, in dem man viel bewegen kann."
Beides zugleich, ein Amt in der Bundesregierung und den Parteivorsitz, will die SPD auch für die neue Doppelspitze nicht. Das machte Klingbeil erneut deutlich, nachdem auch Fraktionschef Rolf Mützenich es zuletzt gesagt hatte. Aus Sicht der SPD hat das Modell bisher gut funktioniert: Vorsitzende, die nicht an eine Kabinettsdisziplin gebunden sind und eigene Akzente setzen können.
Mützenich hatte seine Aussage zuletzt vor allem auf Co-Chefin Saskia Esken gemünzt – und so den Druck auf sie erhöht, was nicht allen gefiel. Esken, 60 Jahre alt, ist in weiten Teilen der Bundestagsfraktion zwar weniger beliebt als Walter-Borjans. Aber auch sie hat natürlich den Wahlerfolg von Olaf Scholz ermöglicht. Macht sie weiter? Vor der Wahl wollte sie das. Da war aber auch noch nicht absehbar, dass sie vermutlich ein Ministeramt haben könnte. Jetzt muss sie sich entscheiden.
Eine Alternative wäre mit Manuela Schwesig die Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern. Sie hat ihre dortige Landtagswahl gerade erst mit fulminanten 39,6 Prozent gewonnen. Und schon vorher galt die 47 Jahre alte Schwesig als große Hoffnungsträgerin der SPD, über die es hieß: Gewinnt sie diese Wahl, kann sie alles werden.
Für sie und ihr Regierungsamt in Mecklenburg-Vorpommern scheint übrigens nicht zu gelten, was für andere und ihre Posten in der Bundesregierung gilt: Ministerpräsidentin und Parteichefin gleichzeitig – dagegen hat bisher niemand etwas gesagt.
Für einen anderen Hoffnungsträger, der mancherorts auch schon herbeigeschrieben wird, dürfte der Schritt an die Parteispitze übrigens zu früh kommen: Kevin Kühnert. Er hat mit seinen 32 Jahren noch Zeit und weiß das auch. Der Posten des Generalsekretärs wird ihm von manchen jedoch durchaus schon jetzt zugetraut.
Die Grünen und die Frage: Was, wenn wirklich die beiden?
Bei den Grünen ist die Trennung von Regierungsamt und Parteispitze nicht nur wünschenswert, sondern ein festgeschriebenes Parteigesetz. Annalena Baerbock und Robert Habeck haben sich deshalb schon lange darauf eingestellt, ihre Chefposten am Jahresende abzugeben. Entweder, weil sie Ministerin und Minister werden. Oder aber, weil sie ihr Ziel verfehlen, die Grünen in eine Regierung zu führen – und abgewählt werden.
Alles deutet nun auf die für sie angenehmere Variante hin, mit der sie als wichtigste Regierungsvertreter natürlich auch in der Partei wichtig bleiben. Allerdings wären die Grünen nicht die Grünen, wenn die Sache mit der Nachfolge ganz simpel wäre.
Für den Frauenplatz der Doppelspitze scheint Ricarda Lang inzwischen fast gesetzt. Sie taucht seit Wochen in allen Gesprächen mit Parteivertretern auf. Lang war mit ihren erst 27 Jahren schon Parteivize und frauenpolitische Sprecherin. Gerade bildet sie in der zehnköpfigen Hauptverhandlungsgruppe der Grünen die Ampelregierung mit. Die frühere Chefin der Grünen Jugend ist eine Parteilinke mit ausgeprägtem Redetalent. Bei dieser Wahl ist sie erstmals in den Bundestag eingezogen.
Für den Platz an ihrer Seite gilt derzeit Omid Nouripour als Favorit. Er sitzt schon seit 2006 im Bundestag, ist bei den Grünen ein Realo und einer der profiliertesten Außenpolitiker überhaupt. Nouripour, 46 Jahre, brächte also die Erfahrung ein, die Lang noch fehlt. Und weil er im Iran geboren ist, wäre sein Aufstieg ein sichtbares Zeichen, dass die Grünen es ernst meinen mit ihrem Anspruch, die Vielfalt der Gesellschaft abzubilden.
Als Alternative für Nouripour wird mitunter auch Sven Giegold, 51 Jahre, genannt. Er ist langjähriger Europapolitiker und war bei den beiden vergangenen Wahlen Europa-Spitzenkandidat.
Alle drei jedoch haben ein spezielles Grünen-Problem: Sie sind Mitglieder des Bundestages oder des Europaparlaments. Würden sie das bleiben und an die Parteispitze rücken, hätte das gravierende Auswirkungen auf die vier restlichen Plätze des Bundesvorstands. Denn nur ein Drittel der Mitglieder dieses höchsten Grünen-Gremiums dürfen Parlamentarier sein.
Das hieße für den Politischen Bundesgeschäftsführer Michael Kellner und die Vizechefin Jamila Schäfer, dass sie raus wären. Denn beide sind gerade erstmals in den Bundestag eingezogen. Schäfer sogar mit dem ersten grünen Direktmandat überhaupt in Bayern. Sie hat mit ihren 28 Jahren noch viel Zeit, Karriere zu machen. Auch wenn sie nicht sofort eines der höchsten Ämter bekommt.
Kellner, 44 Jahre alt, war hingegen bisher hinter Baerbock und Habeck die Nummer drei. Er gilt vielen in der Partei als einer der klügsten Strategen. Allerdings verantwortet er auch den diesmal sehr rumpeligen Wahlkampf – und hat sich damit aus Sicht mancher Grünen nicht gerade für hohe Posten in Fraktion oder Regierung qualifiziert.
Das grüne Spitzenproblem könnte ihn zwingen, erst einmal zurückzustecken.
- Eigene Recherchen und Gespräche
- "RND": Interview mit Lars Klingbeil
- Deutschlandfunk: Interview der Woche mit Rolf Mützenich