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LTW in Baden-Württemberg: Wird die Klimaliste zur Gefahr für die Grünen?


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Klimaliste kontra Grüne
Wird diese neue Partei Kretschmann gefährlich?

Von L. Wölm, t-online, und S. Heinrich, watson

Aktualisiert am 11.03.2021Lesedauer: 7 Min.
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In den Umfragen klar vorne: So stehen die Chancen für die Grünen und Winfried Kretschmann kurz vor den Landtagswahlen in Baden-Württemberg. (Quelle: reuters)
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Ministerpräsident Winfried Kretschmann zeigt sich besorgt über eine neue Partei – denn die will grüner als die Grünen sein. Wie groß sind die Chancen der Klimaliste bei der Landtagswahl in Baden-Württemberg wirklich? t-online und watson gehen der Frage nach.

Winfried Kretschmann bietet gerne Spektakel. Bei seinen regelmäßigen Auftritten in der Landespressekonferenz in Stuttgart steigert sich der grüne baden-württembergische Ministerpräsident durchaus in Themen hinein. Der ruhig dahinschwäbelnde Ton seiner Stimme wechselt dann ins Krächzende, er wird laut. So wie am 6. Oktober 2020.

"Das ist eine ernste Angelegenheit", sagte er zunächst. Dann, lauter: "Es kann gravierende Folgen haben – zum Beispiel, dass es nicht für eine Regierung reicht, weil es sich zersplittert." Und schließlich: "Dann haben diese Leute mit Zitronen gehandelt und man bekommt noch weniger, als man glaubte." Das "noch weniger" schrie Kretschmann fast ins Mikrofon. Ein paar Hundert junge Menschen hatten den ersten und bisher einzigen grünen Ministerpräsidenten Deutschlands so in Rage gebracht: Sie nennen sich Klimaliste Baden-Württemberg.

Eine wichtige Zahl: 1,5

Im September 2020 hat sich die neue Bewegung gegründet. Klimalisten gibt es auch in anderen Bundesländern, sowohl in Rheinland-Pfalz als auch in Baden-Württemberg treten regionale Klimalisten für die Landtagswahlen am 14. März an. Für Nervosität bei den Grünen sorgt die Partei aber vor allem in Baden-Württemberg. In 67 der 70 Wahlkreise nehmen Kandidatinnen und Kandidaten der Klimaliste nun den Kampf auf, eine Landesliste gibt es hier wegen des besonderen Wahlrechts im Bundesland nicht.

Dieser Artikel ist in Zusammenarbeit mit dem Nachrichtenportal watson entstanden.

Das Programm der Klimaliste hat sich einer Zahl verschrieben: 1,5. Das 1,5-Grad-Ziel soll zum Zentrum des politischen Handelns werden: Das Ziel also, die Erderhitzung auf höchstens 1,5 Grad im Vergleich zum vorindustriellen Zeitalter zu begrenzen. Die Staaten der Erde haben es sich selbst auferlegt, als sie im Jahr 2015 das Pariser Klimaschutzabkommen unterzeichneten. Diesem Ziel haben sich in Deutschland alle größeren Parteien außer der AfD verschrieben. Die Vertreter der Klimaliste Baden-Württemberg aber sind überzeugt, dass das längst nicht reicht.

Grüne sind nicht mehr grün genug

Seit 2011 ist der Grüne Kretschmann hier Ministerpräsident, seit 2016 führt er eine Koalition mit der CDU an. Sogar führende CDU-Politiker haben anerkannt, dass die Ökorebellen von gestern zwischen Bodensee und Kurpfalz heute die größte Volkspartei sind. Die Grünen verweisen darauf, dass unter Kretschmanns Führung der Windenergie-Ausbau angezogen hat, dass Bus- und Bahnfahrten heute komfortabler sind und es im Südwesten besonders viele Ladepunkte für Elektroautos gibt, dass der Landtag ein ambitioniertes Gesetz zum Bienenschutz verabschiedet hat. Vertretern der Klimaliste sind die Grünen trotzdem nicht mehr grün genug.

Alexander Grevel sagt es t-online so: "Trotz grüner Landesregierung ist zu wenig passiert." Der Freiburger Grevel ist 32 Jahre alt, Landtagskandidat für die Klimaliste – und eines ihrer bekanntesten Gesichter. Grevel meint, die Grünen hätten in ihrer Regierungszeit ein "Vakuum" entstehen lassen. Gerade für junge Menschen, die für die Klimaschutzbewegung auf die Straße gehen, sei die Klimaliste deshalb attraktiv. "Wir haben ein großes Potenzial, Menschen zu mobilisieren, die ansonsten nicht zur Wahl gehen würden", sagt er.

Baden-Württemberg soll bis 2030 CO2-neutral sein

Zur Windenergie – deren Ausbau seit 2018 nach einer Änderung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes ins Stocken geraten ist – erklärt Grevel: "Wir werfen den Grünen vor, dass sie den Menschen den Bau von Windrädern vor Ort nicht genug schmackhaft gemacht haben." Auf allen Neubauten in Baden-Württemberg müssten Fotovoltaikanlagen verpflichtend werden. Schließlich sei viel Strom nötig, um alle Bereiche der Wirtschaft zu elektrifizieren, sagt Grevel: von der Mobilität bis zum Beheizen und Kühlen von Gebäuden.

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Geht es nach ihm und seinen Mitstreitern, dann soll das mit der Elektrifizierung atemberaubend schnell passieren. Bis 2030, so lautet das Ziel der Klimaliste, soll Baden-Württemberg CO2-neutral sein, also nicht mehr Treibhausgase in die Atmosphäre ausstoßen, als ihr entzogen werden können.

Im aktuellen Klimaschutzgesetz des Landes ist das deutlich vorsichtiger formuliert: Dort steht, dass der CO2-Ausstoß um 90 Prozent sinken soll – bis 2050. Die Grünen versprechen in ihrem Wahlprogramm zwar, dass sie es verschärfen und die Klimaneutralität bis 2050 als Ziel verankern wollen. Die Klimaliste aber will 20 Jahre schneller sein als die Grünen. Die Partei um Ministerpräsident Kretschmann hält solche Pläne für Fantasterei.

"Mit Forderungen alleine kann das Klima nicht geschützt werden"

"In den Parlamenten gibt es nur eine Partei, die für ambitionierten und wirksamen Klimaschutz steht: Bündnis 90/Die Grünen", heißt es in einem Statement der Landesvorsitzenden von Baden-Württemberg, Sandra Detzer und Oliver Hildenbrand, an t-online. Sie schließen sich den Aussagen von Ministerpräsident Kretschmann an: "Klimaschutz muss politisch konkret gestaltet werden, um wirksam zu sein. Dies geschieht nur durch harte politische Arbeit und durch die Suche nach politischen Mehrheiten. Mit Forderungen alleine kann das Klima nicht geschützt werden", sagen die beiden Grünen-Politiker.

Zwischen den Zeilen liest man also: Die Klimaliste hat aus Sicht der Grünen keine Chance, Ziele durchzusetzen – zumindest nicht im Alleingang. Klimaschützer müssten zusammenstehen. "Eine Stimme, die nicht an uns geht, ist eine verlorene Stimme für den Klimaschutz", meinen Detzer und Hildenbrand. Das unterstützt die Befürchtung Kretschmanns, dass die Gründung der Klimaliste seine Partei wichtige Stimmen kosten könnte. Detzer und Hildenbrand vertrauen auf die langjährige Erfahrung ihrer Partei: "Wir stellen uns selbstbewusst dem politischen Wettbewerb", sagen sie.

Der frühere Landessprecher der Grünen Jugend Baden-Württemberg und der Sprecher der LAG Demokratie, Recht und innere Sicherheit, Marcel Emmerich, hinterfragt das Vorhaben der Klimaliste ebenso kritisch: Letztlich spiele das Wahlergebnis die entscheidende Rolle. "Wer da für den Klimaschutz auf die Klimaliste setzt, dem kann ich nur sagen: Gut gemeint ist hier nicht gut geholfen", sagt Emmerich zu t-online. Zudem rechnet Emmerich ohnehin nicht mit einem großen Erfolg für die neue Bewegung: "Die Klimaliste ist mit Blick auf die Wahlumfragen weit entfernt vom Einzug in den Landtag", meint der Grünen-Politiker.

"Eher unwahrscheinlich"

Marc Debus, Professor für Politikwissenschaft und vergleichende Regierungslehre an der Universität Mannheim, ist auch eher skeptisch. Im Gespräch mit t-online meint er, es sei "eher unwahrscheinlich, dass eine realistische Chance für die Klimaliste besteht, in den Stuttgarter Landtag einzuziehen". Zwar sei Klimaschutz "von großer Bedeutung für weite Teile der Wählerschaft", doch zum einen überlagerten momentan die Covid-19-Pandemie und ihre Folgen das Thema – zum anderen wiesen die Wähler in Baden-Württemberg den Grünen nach wie vor eine "hohe Problemlösungskompetenz" bei Umwelt-, Energie-, Verkehrs- und Klimapolitik zu.

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Klimalisten-Kandidat Alexander Grevel sagt aber, selbst ein Ergebnis von 2,5 bis drei Prozent wäre schon ein "starkes Signal". Unzufrieden am Wahlabend wäre er nur, erklärt Grevel t-online, wenn die Klimaliste weniger als ein Prozent der abgegebenen Stimmen bekäme. Ein Prozent, das ist die Schwelle, ab der Parteien Geld aus der öffentlichen Parteienfinanzierung zusteht – wodurch sie eine deutlich größere Chance bekommen, sich zu etablieren.

Wie realistisch ist der Grünen-Albtraum?

Selbst solche Prozentzahlen für die Klimaliste könnten den Grünen wehtun. Es gibt schließlich mehrere zumindest halbwegs realistische Szenarien, wie es nach der Landtagswahl in Baden-Württemberg weitergeht. Eines davon ist eine sogenannte "Deutschland-Koalition", ein schwarz-rot-gelbes Bündnis aus CDU, SPD und FDP – ohne die Grünen. Was, wenn die Klimaliste mit ihrem Stimmenanteil dafür sorgt, dass das Realität wird? Wie realistisch ist also der Grünen-Albtraum, den Ministerpräsident Kretschmann im Oktober beschrieben hat?

Politologe Debus hält die möglichen Schäden für die Grünen für begrenzt: "Selbst wenn die Klimaliste zwei bis drei Prozent der Stimmen gewinnen würde und diese Wählerinnen und Wähler ansonsten die Grünen gewählt hätten, würde – wenn die momentanen Umfragen richtig liegen – der Vorsprung der Grünen vor der CDU zwar kleiner werden, aber nicht dazu führen, dass die CDU vor den Grünen liegt."

Vier von sechs Vorstandsmitgliedern traten zurück

Klimalisten-Kandidat Grevel wiegelt ab: Dort, wo Klimalisten bei Kommunalwahlen angetreten seien, hätten sowohl die Grünen als auch die Klimaliste profitiert, meint er. Und selbst, wenn es am Ende zu einer CDU-geführten Landesregierung käme, hielte er das nicht für ein allzu großes Problem: In Hessen und Bayern, wo die Union stärkste Regierungspartei ist, gehe der Ausbau erneuerbarer Energie schließlich schneller voran als in Baden-Württemberg.


Es gibt Mitbegründer der Klimaliste Baden-Württemberg, die das deutlich weniger entspannt sehen. Genauer gesagt sind das vier von sechs Mitgliedern des Vorstands der neuen Partei, die die Klimaliste im Januar verlassen haben. Eine von ihnen, Sandra Overlack, erklärte danach gegenüber den "Badischen Neuesten Nachrichten", dass sie nicht mehr zur Landtagswahl antrete, um Grünen, SPD und Linken keine wertvollen Stimmen abzunehmen. Die drei Parteien hätten sich klar zum Pariser Klimaschutzabkommen bekannt, die Klimaliste habe dadurch ihr "Alleinstellungsmerkmal" verloren.

Fridays for Future baut Druck auf

Kandidat Grevel sieht das anders. Die Wahlprogramme mit dem Bekenntnis zum 1,5-Grad-Ziel seien nur "Absichtserklärungen", meint er zu t-online. Und von einer Spaltung der Klimaliste könne wegen des Abgangs der vier Vorstandsmitglieder keine Rede sein. Man habe eine "einstellige Zahl an Mitgliedern" verloren, das Ganze sei "aufgebauscht" worden. 440 Mitglieder habe die Klimaliste heute insgesamt in Baden-Württemberg.

Druck hat die Klimaliste Baden-Württemberg inzwischen aber auch von einer anderen Seite bekommen: von Fridays for Future. Die regionale Sektion der Klimaschutzbewegung hat sich Ende Februar in einer Mitteilung scharf von der neuen Partei distanziert. Darin heißt es unter anderem: "Wir tolerieren es nicht, dass die KlimalisteBW immer noch mit Fridays for Future Wahlkampf auf der Straße und im Netz betreibt und Plattformen unserer Bewegung (zum Beispiel Whatsapp-Gruppen) übergriffig für gezielte Parteiwerbung instrumentalisiert." Am Ende des Statements steht: "Wir unterstützen keine Partei, sondern das Klima."

"Kleinstparteien wie die Klimaliste dürfen diese Mehrheit nicht aufs Spiel setzen"

Fridays-for-Future-Sprecherin Line Niedeggen sagte im Gespräch mit t-online: "Progressive demokratische Mehrheiten sind essenziell, um in den nächsten fünf Jahren den notwendigen Wandel zu tragen. Das müssen wir von den großen Parteien und Fraktionen als Gesellschaft einfordern und im Wahlkampf für gemeinsame Veränderung stehen. Kleinstparteien wie die Klimaliste dürfen diese Mehrheit nicht aufs Spiel setzen."

Eines gesteht Fridays for Future der Klimaliste allerdings zu: Den Druck, den die Neulinge auf die etablierten Parteien ausgeübt haben, hält die Bewegung für wertvoll. Sprecherin Niedeggen erklärt dazu: "Die Klimaliste hat dabei als neue Partei eins klar gezeigt: Die etablierten Parteien müssen einen großen Zahn zulegen, um der Klimakrise gerecht zu werden. Keine Partei hat bis heute einen Plan, wie 1,5 Grad Erderhitzung eingehalten werden können. Die Klimaliste hat dafür gesorgt, dass einige Parteien ihre Forderungen entsprechend angepasst haben."

Verwendete Quellen
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