Der Gesprächspartner muss auf jede unserer Fragen antworten. Anschließend bekommt er seine Antworten vorgelegt und kann sie autorisieren.
Zum journalistischen Leitbild von t-online.SPD-General Klingbeil "Die Union versteckt sich seit Jahren hinter Angela Merkel"
Wohin will die SPD mit ihrem Wahlprogramm? Generalsekretär Lars Klingbeil erklärt, was die Partei beim Klimaschutz besser mache als die Grünen – und warum der Staat stärker werden müsse.
Herr Klingbeil, die SPD zieht unter anderem mit einem Vorstoß zum Tempolimit auf Autobahnen in den Wahlkampf. Sie legen es nicht gerade darauf an, sich bei allen nur beliebt zu machen, oder?
Die SPD zeigt früh, dass sie einen Plan für die Zukunft des Landes hat. Für uns sind die drei Begriffe Respekt, Zukunft, Europa zentral. Das war maßgeblich in den letzten Monaten, in denen wir das Programm mit vielen Tausend Mitgliedern erarbeitet haben. Und natürlich äußern wir uns im Programm zu relevanten Fragen. Wie wir Mobilität sicherer machen und das Klima schützen können, das gehört unbedingt dazu. Aber alle Einzelmaßnahmen, ergeben ein großes Ganzes.
Die Union wütet schon, die SPD entwickle sich zur "Verbotspartei 2.0". CDU-Staatssekretär Thomas Bareiß hält ein generelles Tempolimit für "weder durch Verkehrssicherheit noch klimapolitisch begründbar". Was entgegnen Sie?
Das ist inhaltlich schlicht falsch. Aber dass die Konservativen sich jetzt aufregen, war zu erwarten. Die Union versteckt sich seit Jahren hinter Angela Merkel, das ist ihr einziger Programmpunkt. Sie hat keine Ideen für die Zukunft. Wir grenzen uns mit unserem Programm klar ab: von der Ideenlosigkeit der Union, aber auch von der Zukunftsangst der Grünen. In den 2020er Jahren entscheidet sich, welche Rolle Deutschland und Europa in der Welt künftig spielen werden. Wir wollen diesen Weg aktiv mitgestalten.
Der Klimaschutz ist neben Mobilität, Digitalisierung und Gesundheit eines der Zukunftsthemen, die die SPD formuliert hat. Bis 2050 wollen Sie Deutschland klimaneutral machen. Schon bis 2040 soll der Strom vollständig aus erneuerbaren Energien kommen. Bislang ist das Ziel der Bundesregierung 65 Prozent Erneuerbare bis 2030. Wie sollen in zehn Jahren die restlichen 35 Prozent erneuerbar werden?
Wir wollen eine Klimapolitik machen, die die Chancen betont und so international Vorreiter bei neuen Technologien werden. Da wollen wir ambitionierter sein, als das in der Regierung mit der Union gerade geht. Wir müssen beim Ausbau der erneuerbaren Energien viel schneller vorankommen. Dazu wollen wir die EEG-Umlage abschaffen, damit die Belastungen wegfallen. Und wir setzen stark auf Wasserstoff. Bei der Elektromobilität hat Deutschland die Entwicklung verschlafen, da sind Silicon Valley und China vorangegangen und wir laufen jetzt hinterher. Beim Wasserstoff wollen wir vorangehen.
Beim Klimaschutz sehen allerdings viele traditionell bei den Grünen die größte Kompetenz. Womit will die SPD Menschen, denen Klimaschutz wichtig ist, davon überzeugen, lieber SPD zu wählen?
Die Grünen predigen vor allem Verbot und Verzicht, um das Klima zu schützen. Da soll dann möglichst nicht mehr geflogen oder Fleisch gegessen werden. Wir verbinden Klimaschutz mit Zukunftsoptimismus. Wir bringen neue Technologien, Wirtschaftswachstum und neue Jobs mit dem Klimaschutz zusammen. Wir zeigen bessere Alternativen auf, statt den Menschen etwas wegzunehmen.
Ist das nicht eine etwas überkommene Sicht auf die Klimapolitik der Grünen?
Nein. Wir haben doch genau das erlebt vor einigen Tagen. Da meinten die Grünen, den Menschen vorschreiben zu müssen, wie sie zu wohnen haben. Nämlich nicht mehr in Einfamilienhäusern, weil das schlecht fürs Klima sei. Das erzeugt Angst vor Veränderungen.
Der Begriff Hartz IV kommt im Wahlprogramm gar nicht mehr vor. Ist das jetzt die finale Abkehr von der Schröder-Ära?
Wir haben ein Zukunftsprogramm auf Höhe der Zeit entworfen und wir entwickeln uns weiter. Was 2003 richtig gewesen sein mag, das gilt im Jahr 2021 nicht mehr. Damals war zum Beispiel die Arbeitslosigkeit viel höher als heute. Die Corona-Pandemie hat gezeigt, dass der Sozialstaat wichtig ist – und wie er sich heute verändern muss. Der Staat muss die Menschen auffangen und ihnen Halt geben. Er wächst in seiner Bedeutung und muss deshalb besser ausgestattet werden.
Apropos Staat: In “angespannten Wohnlagen” wollen Sie ein “zeitlich befristetes Mietenmoratorium” einführen. Was ist der Unterschied zu einem Mietendeckel wie ihn die SPD-geführte Regierung in Berlin hat?
Mieten und wohnen ist die soziale Frage dieses Jahrzehnts. Die Mieten dürfen in angespannten Gegenden nicht mehr so exponentiell steigen, wie das in der Vergangenheit der Fall war. Wir sagen: Die Mieten werden auf dem aktuellen Stand eingefroren und dürfen dann nur noch im Rahmen der Inflation steigen. Der Mietendeckel ist schlicht ein etwas anderes Instrument.
Ein etwas schärferes Instrument, weil er auch Mietsenkungen ermöglicht. Kritiker sprechen beim geforderten Mietenmoratorium nun trotzdem von “stiller Enteignung der Wohnungseigentümer” und fürchten, dass so Investitionen verhindert würden. Haben sie recht?
Nein. Wir müssen uns doch Gedanken machen, wie Menschen sich 2021 noch eine Wohnung leisten können. Es ist eine Frage des Respekts, dass auch der Auszubildende noch in der Metropole wohnen kann und nicht nur der Investmentbanker. Dafür wollen wir den sozialen Wohnungsbau ausweiten, damit es insgesamt mehr Wohnungen gibt. Aber die übertriebenen Mietsteigerungen müssen eben auch verhindert werden – durch ein Moratorium.
Die SPD will außerdem noch beitragsfreie Kitas, Kindergrundsicherung, staatliche Gigabit-Garantie, Vermögenssteuer, Entlastung kleiner und mittlerer Einkommen, keine schwarze Null mehr. Täuscht es, oder ist dieses SPD-Programm linker als die Programme bei vergangenen Wahlen?
Es ist ein Programm auf der Höhe der Zeit. Es spiegelt das wider, was die Gesellschaft gerade braucht: Einen Staat, der investiert, Verantwortung übernimmt und die Zukunft gestaltet. Wenn man das als links bezeichnet, dann ist das ein linkes Programm. Aber Digitalisierung, Mobilität und Gesundheit sind für mich keine linken Projekte…
…die Steuerpolitik zum Beispiel aber doch schon recht klar.
Es geht darum, dass der Staat Verantwortung übernimmt. Marktradikalität funktioniert heute nicht mehr. Wir brauchen eine Abkehr vom politischen, neoliberalen Mainstream der letzten Jahre. Über Jahrzehnte hat die Politik alles dem Markt überlassen. Wir sehen während der Corona-Pandemie im Gesundheitssystem, dass das genau der falsche Weg ist. Plötzlich stehen wir da und haben nämlich keine Vorräte an medizinischer Ausrüstung mehr. Der Sozialstaat muss robuster werden, damit die Gesellschaft widerstandsfähiger wird. Es muss wieder mehr um das Gemeinwohl, als nur um Profit gehen.
Und Olaf Scholz, der Hartz IV mit verhandelt und lange selbst die schwarze Null verteidigt hat, kann so ein linkes Programm als Kanzlerkandidat gut vertreten?
Nicht nur Tausende Mitglieder, auch Olaf Scholz hat das Programm mitgeschrieben. Er hat mit Saskia Esken, Norbert Walter-Borjans, Rolf Mützenich, mir und der gesamten Programmkommission fast an jedem der letzten Wochenenden darüber diskutiert. Es ist ein Gemeinschaftsprodukt.
Und das ist anders als früher?
Ja, da haben wir aus den Wahlkämpfen der Vergangenheit gelernt. Bei den letzten Malen sind wir in die Kandidatenkür hineingestolpert und hatten schon ein Programm, bevor wir einen Kandidaten hatten. Diesmal sind wir geschlossen und klar aufgestellt. Und das Programm passt deshalb eins zu eins auf Olaf Scholz und auf unsere Partei.
Welche Wählerschichten, die nicht oder nicht mehr SPD wählen, wollen Sie damit für sich gewinnen?
Wir wollen unseren Stammwählern zeigen, dass sich die SPD für sie einsetzt. Und wir wollen diejenigen gewinnen, die in der Vergangenheit nur die Union gewählt haben, weil sie Angela Merkel vertrauen. Die harten Machtkämpfe in der Union um ihre Nachfolge, die breitbeinig auftretenden Männer – das schreckt viele Menschen ab. Die Union offenbart außerdem gerade, dass sie nicht in der Lage ist, ordentlich zu regieren: Jens Spahn kriegt weder das Testen noch das Impfen hin, Peter Altmaier schafft es nicht, die Novemberhilfen auszuzahlen. Olaf Scholz hingegen trifft in dieser Krise genau die richtigen Entscheidungen.
Und er wird auch mehr Merkel-Wähler von sich überzeugen können als die Grünen?
Die Grünen sind nett und sympathisch. Aber ob man denen wirklich zutraut, das Land durch eine Krise zu führen, ist eine ganz andere Frage. Robert Habeck lässt sich mit Pferden fotografieren, während Olaf Scholz harte Entscheidungen in der Corona-Politik treffen muss. Scholz hat die viel größere Erfahrung, und das wird sich bei der Wahl auszahlen.
- Videotelefonat mit Lars Klingbeil am 1. März 2021