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AKK-Rücktritt und CDU-Drama: Die Rekonstruktion des historischen Tages


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Das CDU-Beben und die Groko
Die eine wirkt befreit, die andere ist sprachlos

  • Johannes Bebermeier
Von Tim Kummert und Johannes Bebermeier, Berlin

Aktualisiert am 11.02.2020Lesedauer: 6 Min.
Annegret Kramp-Karrenbauer, Norbert Walter-Borjans, Angela Merkel und Saskia Esken: Die CDU-Chefin zieht sich zurück – und auch die große Koalition und die SPD beben.Vergrößern des Bildes
Annegret Kramp-Karrenbauer, Norbert Walter-Borjans, Angela Merkel und Saskia Esken: Die CDU-Chefin zieht sich zurück – und auch die große Koalition und die SPD beben. (Quelle: Montage: t-online.de/imago-images-bilder)

Annegret Kramp-Karrenbauer zieht sich zurück. Bei CDU und SPD bricht Unruhe aus. Was heißt das für die große Koalition? Rekonstruktion eines dramatischen Tages in Berlin.

Es ist 14.14 Uhr an diesem Montag, als eine Frau vor die Hauptstadtpresse tritt, die wie befreit wirkt. Annegret Kramp-Karrenbauer sagt in der CDU-Parteizentrale: "Ich werde mich nicht um eine Kanzleramtskandidatur bewerben." Den Parteivorsitz wolle sie zudem abgeben, sobald ein geeigneter Kanzlerkandidat gefunden sei. Für sie sei "ganz klar", dass sie den Prozess der Kandidatenkür "mit dem Verzicht auf eine eigene Kandidatur sehr viel freier gestalten" könne. Und nun könne ihr niemand mehr unterstellen, dass sie dies "aus eigenem Interesse" tue.

Kramp-Karrenbauer lächelt zwar nicht, doch sie ist gelöst, das kann sie nicht verbergen. Kein einziges Mal verspricht sie sich, wirkt besonnen. Mit sicheren Schritten geht sie nach ihrem Statement von der Bühne. Bald ist sie wirklich frei: frei von der Anforderung, die unionsinternen Fliehkräfte zu einen, frei von den Unkenrufern aus den eigenen Reihen, die ihr keine Kanzlerkandidatur zutrauen, frei von dem Druck, der auf Parteivorsitzenden lastet.

Doch der Satz, der Kramp-Karrenbauer befreit, löst gleichzeitig ein politisches Erdbeben aus. Das Epizentrum liegt im Konrad-Adenauer-Haus in Berlin, der CDU-Parteizentrale. Die Erschütterungen spürt auch die SPD im Willy-Brandt-Haus, einige Kilometer entfernt. Und ganz Deutschland zittert mit. Denn dieser Montag, der 10. Februar 2020, hat natürlich auch Auswirkungen auf die große Koalition – nur vielleicht andere, als man zunächst denken würde.

Das Beben hatte sich in der CDU angekündigt: Das Debakel um Thüringen, wo Kramp-Karrenbauer als eine Parteivorsitzende dastand, die sich nicht mehr durchsetzen konnte. Sie hatte die verschiedenen Flügel in ihrer eigenen Partei nicht mehr im Griff. Kramp-Karrenbauer forderte Neuwahlen, doch der CDU-Landeschef Mike Mohring widersetzte sich. Die Parteichefin beschließt daraufhin: So geht es nicht weiter, der Rücktritt ist unumgänglich. Am Montagmorgen sickert die Entscheidung langsam an die Medien durch, Kramp-Karrenbauer beginnt intern, ihren Abschied zu kommunizieren.


Um 10.29 Uhr trifft Peter Altmaier im Konrad-Adenauer-Haus ein. Der Wirtschaftsminister steigt aus seiner Regierungslimousine und sieht ernst aus. Dies sei eine "ungewöhnlich ernste Situation für die CDU", sagt er. Es folgen weitere Parteifunktionäre wie der ehemalige Europaabgeordnete Elmar Brok. Gemeinsam soll im Parteivorstand über den Rückzug beraten werden.

Was genau dort diskutiert wird, dazu gibt es keine offiziellen Aussagen. Die "Bild"-Zeitung will erfahren haben, dass Wolfgang Schäuble losdonnerte: "Wenn wir so weitermachen, dann wird niemand von uns Kanzler." Anders sieht das Elmar Brok, als er um 13.07 Uhr aus der Sitzung kommt. Er beschreibt die Atmosphäre im Präsidium als ernst, aber produktiv. Man werde sich jetzt nicht treiben lassen. Die Botschaft: Bloß kein übermäßiger Stress bei der Suche nach dem Nachfolger.

Video – So kam es zum Rückzug von Kramp-Karrenbauer:

Trotzdem beginnen bereits am Nachmittag die Sondierungen. Es sind die bereits gehandelten Kandidaten, die sich in Stellung bringen. Friedrich Merz, Armin Laschet, Jens Spahn. Doch auch Namen wie Daniel Günther und Markus Söder werden kolportiert. Jeder der Kandidaten hat nun sein eigenes Lager, und sie versuchen, sich abzusprechen. Noch ist nicht ganz klar, welche Teile der CDU sich für wen einsetzen werden.

CDU-intern gilt vielen Merz schon als sicherer Nachfolger von Kramp-Karrenbauer. Doch der wartet an diesem Montag erst einmal ab. Aus seinem Umfeld erfuhr t-online.de, dass er nun mit allen wichtigen Akteuren sprechen will. Über einen Tweet ließ er sein Team mitteilen: Die Entscheidung Kramp-Karrenbauers verdiene Respekt, er gebe ihr "jede Unterstützung dabei, den Prozess ihrer Nachfolge und der Kanzlerkandidatur als gewählte Parteivorsitzende von vorn zu führen".

Merz bringt sich in Position. Vor vier Tagen hatte er bereits gesagt: "Ich werde mich in den nächsten Wochen und Monaten noch stärker für dieses Land engagieren." Da nahm gerade das Thüringen-Drama seinen Lauf. Für jemanden wie Merz, der im Moment jedes seiner Worte sorgsam wählt, war es eine Kampfansage.

Die SPD-Chefin hat ihre Stimme verloren

2,5 Kilometer Luftlinie vom Konrad-Adenauer-Haus entfernt ist SPD-Chefin Saskia Esken sprachlos. Als sie um 14.25 Uhr mit ihrem Co-Vorsitzenden Norbert Walter-Borjans in der SPD-Zentrale vor die Presse tritt, bringt sie kein Wort heraus. "Sie hat leider ihre Stimme verloren", erklärt ihre Sprecherin.

Der Koalitionspartner SPD hat sich diesen Montag in Berlin etwas anders vorgestellt. Eigentlich wollte der Parteivorstand in Ruhe die Zukunft der SPD diskutieren, deshalb sitzen die Funktionäre seit dem Wochenende zusammen. Am heutigen Montag sollte eigentlich Europa das Thema sein. Nicolas Schmit wurde eingeladen, ein luxemburgischer Sozialdemokrat, der unter Ursula von der Leyen in Brüssel Kommissar für Beschäftigung, Soziales und Integration ist.

Doch wegen des Sturms kann Schmit gar nicht erst anreisen. "Sabine" wirbelt das Programm durcheinander. Und dann wirbelt auch noch Annegret in Berlin. Um 09.28 Uhr bricht die Eilmeldung vom angekündigten Rücktritt Kramp-Karrenbauers in die laufende Sitzung des Parteivorstands. Die eigentlich für 12 Uhr angesetzte Pressekonferenz der SPD zur Klausur wird erst mal auf unbestimmte Zeit verschoben, später auf 14 Uhr angesetzt, letztlich dauert es noch länger.

Videoanalyse – Merkel ist mitgescheitert:

Die SPD will sich sortieren – und abwarten, was Kramp-Karrenbauer denn eigentlich sagt. Als die Klausur des Parteivorstands beendet ist, setzen sich deshalb die führenden Köpfe der SPD noch im engeren Kreis des Präsidiums zusammen. Die Partei will geschlossen auftreten, bloß keine unterschiedlichen Botschaften, mit denen sie sich sonst gerne mal den Auftritt vermiest. Für genug Aufruhr hatte am Vormittag ohnehin bereits Sigmar Gabriel von der Seitenlinie gesorgt. "Ich vermute, es dauert nicht mehr lange, dann gibt es Neuwahlen", sagte der frühere Parteichef der "Bild".

Die noch aktiven SPD-Politiker nehmen sich derweil eher ein Beispiel an Saskia Eskens Sprachlosigkeit: Familienministerin Franziska Giffey will um kurz vor 13 Uhr nichts sagen. Nur, dass es eigentlich eine gute Jahresauftaktklausur gewesen sei. Fraktionschef Rolf Mützenich verlässt kurze Zeit später das Willy-Brandt-Haus, ohne bei den Journalisten vorbeizuschauen. Die Ex-Vorsitzkandidatin Klara Geywitz spricht in ihr Telefon, aber nicht zu den Reportern. Und der Parlamentarische Geschäftsführer Carsten Schneider will nichts sagen, solange die Chefs noch nichts gesagt haben.

SPD behauptet, es sei ein Problem der Union

Das übernimmt dann um 14.25 Uhr gezwungenermaßen der Parteivorsitzende Norbert Walter-Borjans allein. Und setzt zwischen die Zeilen vor allem zwei Botschaften: Die Union habe ein Problem – nicht die SPD. Und: Wenn die Union jetzt nicht auseinanderfällt, wird die SPD in der großen Koalition weitermachen. So wie geplant.

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Bei ihm hört sich das so an: "Die CDU befindet sich in einem Richtungsstreit, und sie ist seit Längerem erkennbar führungslos", sagt der Walter-Borjans. "Jetzt muss die CDU ihr Verhältnis zu Rechtsextremisten klären." Er nennt Kramp-Karrenbauers Rücktritt einen "konsequenten Schritt" und wirft ihr vor, "dass ihr Taktieren den rechten Kräften in der Partei erst den Raum gelassen hat, der die akute Krise der CDU heraufbeschworen hat".

Doch als er auf die große Koalition zu sprechen kommt, erklärt Walter-Borjans vor allem, wie die Arbeit weitergehen könne. Trotz aller Umwälzungen. Die SPD habe ja gerade erst gezeigt, sagt er, dass ein innerparteilicher Wahlkampf mit einer stabilen Arbeit in der großen Koalition zu vereinbaren sei. Man wünsche sich, dass das auch in der CDU geht. Und es gebe ja auch noch eine Kanzlerin, die in der vergangenen Woche dazu beigetragen habe, dass sich der Koalitionsausschuss so klar von den Ereignissen in Thüringen distanziert hat. "Die große Koalition arbeitet. Die große Koalition muss die Aufgaben erledigen, die sie hat."

Und die Groko?

Geht nach dem großen Knall also einfach alles weiter wie bisher? Wieder einmal? Nichts ist sicher dieser Tage, das hat Thüringen gezeigt. Und doch scheint es an diesem Montag so, als sei genau das das Ziel. Und zwar nicht trotz, sondern gerade wegen des Bebens in der CDU.

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In der CDU sind viele Funktionäre verunsichert. Die Partei ist im Vergleich zu 2017 um fast sechs Prozent abgesackt. Einen Kanzlerkandidaten hat man noch lange nicht, nicht mal einen Prozess, den Kramp-Karrenbauer ja nun organisieren will. Überstürzte Neuwahlen kann hier niemand gebrauchen.

Auch die SPD ist noch lange nicht bereit. Die neue Parteispitze und die Fraktion sind immer noch dabei, einen Modus der Zusammenarbeit zu finden, der besser funktioniert als: die Parteispitze sagt das eine, Fraktion und Minister hören interessiert zu und machen weiter wie gehabt. Von einem Kanzlerkandidaten, der von allen Lagern getragen würde, ist man weit entfernt.

Und so ist es sicherlich nicht die Liebe der Koalitionäre zueinander, die SPD und Union zumindest noch in den nächsten Monaten zusammenhält. Sondern die Angst vor dem Ende.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherchen im Konrad-Adenauer-Haus und im Willy-Brandt-Haus
  • Mit Informationen der Nachrichtenagenturen dpa, AFP
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