CDU nach Kramp-Karrenbauer-Rückzug Kopflos, führungslos, schamlos
Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Annegret Kramp-Karrenbauer hat angekündigt, den CDU-Vorsitz und den Anspruch auf die Kanzlerkandidatur aufzugeben. Das war höchste Zeit. Aber die CDU kommt nur dann wieder auf die Beine, wenn auch andere zu ihrer Verantwortung stehen.
Draußen stürmt "Sabine", drinnen wankt die CDU im politischen Sturm: Die Christdemokratische Union Deutschlands ist in ihre tiefste Krise seit der Parteispendenaffäre 1999 gestürzt. Vor gerade einmal einem guten Jahr sollte der Hamburger Parteitag den großen Aufbruch markieren, die Weichen stellen für die Zeit nach der Merkel-Ära.
Nur knapp holte Annegret Kramp-Karrenbauer damals den Sieg über ihren Rivalen Friedrich Merz. Seither boten sich ihr zahlreiche Gelegenheiten, unter Beweis zu stellen, dass sie die Richtige für den Posten ist. Sie hat sie nicht genutzt. Nicht nur Unionsanhängern bereitete es schier körperliche Schmerzen, mitanzusehen, wie AKK von einem Fettnäpfchen ins nächste tappte. Die unsouveräne Reaktion auf das Rezo-Video, durch die sie in den Verdacht geriet, die Meinungsfreiheit beschneiden zu wollen. Der unabgestimmte Vorstoß für eine Schutzzone in Syrien. Die ungeschickte Kommunikation, von lauen Karnevalswitzchen bis zu missverständlichen Sätzen über Migration, Bundeswehr-Einsätze, den Koalitionspartner SPD. Zuletzt der Verlust ihrer parteiinternen Autorität, den die ganze Republik während des Thüringer Eklats vor Augen geführt bekam.
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Bis auf die letzte wäre jede einzelne ihrer Schwächen verzeihlich gewesen. In dieser Häufung waren sie es nicht. Unterm Strich hat Kramp-Karrenbauer den Eindruck vermittelt, dass sie der Aufgabe nicht gewachsen ist. Der programmatisch ausgedünnten, kommunikativ schlingernden CDU eine klare Linie und neue Schlagkraft zu geben, zugleich der täglichen Aufregung im Berliner Betrieb standzuhalten, das war eine zu große Aufgabe für sie.
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Die CDU braucht eine klare Vision und eine Respekt gebietende Autorität an ihrer Spitze, nur so kann sie vermeiden, dasselbe Schicksal wie die SPD zu erleiden: dass die verschiedenen Parteiflügel auseinanderdriften, womöglich bis zur Abspaltung. In der Werteunion, in der Jungen Union, in den ostdeutschen Landesverbänden, aber auch im Mittelstand und in Unternehmen: Überall gibt es Verselbstständigungstendenzen. Die CDU droht ihren Status als Volkspartei zu verlieren, weil ihr der Kompass fehlt. Spät, zu spät versuchte AKK, am rechten Rand eine klare Grenze zur AfD zu ziehen – aber sie besitzt nicht mehr die Autorität, diese Linie durchzusetzen. Deshalb ist es folgerichtig, dass sie den Parteivorsitz und die Kanzlerkandidatur anderen überlässt.
Die CDU wäre nun aber schlecht beraten, schöbe sie ihre Probleme allein Annegret Kramp-Karrenbauer in die Schuhe. Nicht nur die Vorsitzende hat Fehler gemacht, auch ihre Stellvertreter im Präsidium und weitere Spitzenpolitiker der Partei sind ihren Aufgaben nicht gerecht geworden. Sie ließen AKK in entscheidenden Momenten allein im Regen stehen, sie stichelten in Interviews, sie zogen in Hinterzimmerzirkeln an den berühmten Strippen und machten ihrer Chefin so das Leben schwer. An manchen Tagen ähnelte das Erscheinungsbild der CDU dem der SPD: kopflos, führungslos, schamlos.
Die Truppe zu einen, die auseinanderstrebenden Parteifraktionen auf eine gemeinsame Linie einzuschwören, die nur in der demokratischen Mitte der Gesellschaft liegen kann, jene Kräfte auszusperren, die offen oder insgeheim mit der AfD paktieren wollen – und dann mit einer klaren Botschaft in den nächsten Bundestagswahlkampf zu gehen: Das werden nun die Aufgaben für einen neuen Hoffnungsträger in der CDU sein. Er oder sie muss dabei nicht nur Kramp-Karrenbauers Scherben aufkehren, er oder sie profitiert auch von ihrer Arbeit; sie hat das Konrad-Adenauer-Haus in den vergangenen Monaten neu organisiert und schlagkräftiger aufgestellt.
Er oder sie?
Nach Stand der Dinge wohl eher ein Er. Friedrich Merz läuft sich seit einigen Wochen zum zweiten Mal warm, gut möglich, dass er nun nach der Macht in der Partei greift. Das wird nicht einfach für ihn. Zwar genießt er bei vielen Unionsanhängern großes Ansehen und zudem in der Bevölkerung breite Bekanntheit. Aber er hat nicht den berühmten "Stallgeruch", den man in einer Volkspartei eben auch braucht, nicht wenige Landesverbände fremdeln mit dem "Manager" und empfinden sein Auftreten als zu forsch.
Als Vorsitzender des stärksten Landesverbands Nordrhein-Westfalen wird keine Entscheidung ohne Armin Laschet getroffen. Auch er könnte seinen Hut nun in den Ring werfen, doch gilt er nicht nur als Zauderer, sondern vielen auch als Vertreter des Merkelschen Weiter-so.
Jens Spahn ist der Jüngste im Bunde, er gilt als dynamisch, ist in der Partei gut vernetzt. Viele rechnen ihm seinen Mut hoch an, dass er vor einem Jahr schon einmal für den Vorsitz kandidierte und nach seiner Niederlage konstruktiv weiterarbeitete. Sein Profil in der Bevölkerung ist allerdings noch blass.
Und dann ist da noch Daniel Günther, Ministerpräsident von Schleswig-Holstein. Sein Name wird nur selten genannt, wenn es um den Topjob in der CDU geht – dabei verfügt er nicht nur über Regierungserfahrung, sondern hat auch gezeigt, wie die CDU trotz schwieriger Mehrheitsverhältnisse regierungsfähig bleiben kann. Seine schwarz-gelb-grüne Koalition führt er nach einem pragmatischen Teile-und-herrsche-Prinzip: Statt bei jedem Thema den kleinsten gemeinsamen Konsens zu suchen, setzt jede Partei ihre Herzensanliegen um. Dieser Pragmatismus könnte der neuen CDU-Führung in der jetzigen Krise helfen – solang er sich auf das demokratische Lager bezieht. Eine AfD, die Rechtsextremisten in ihren Reihen duldet, gehört nicht dazu.