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Thüringen-Wahl Analyse: CDU-Kämpfe – eine Gefahr weniger für AKK


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Kämpfe in der CDU
Eine Gefahr weniger für Kramp-Karrenbauer

Eine Analyse von Jonas Schaible

Aktualisiert am 28.10.2019Lesedauer: 6 Min.
Kramp-Karrenbauer und der Thüringer Landeschef Mike Mohring: Er will offen mit der Linken reden, ihr ist das nicht recht.Vergrößern des Bildes
Kramp-Karrenbauer und der Thüringer Landeschef Mike Mohring: Er will offen mit der Linken reden, ihr ist das nicht recht. (Quelle: Michael Kappeler/dpa)
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Die CDU muss entscheiden, ob sie mit der Linken kooperiert. Für die Parteichefin Annegret Kramp-Karrenbauer wird es wieder einmal heikel. Zumindest eine Gefahr ist sie los.

Zu den allzu menschlichen Eigenschaften zählt vermutlich der Unwille, sich mit Fragen zu beschäftigen, auf die es keine angenehme Antwort gibt. Anstatt nüchtern Vorbereitungen für den Ernstfall zu treffen, hofft man gern, dass er nicht eintreten wird. Wäre es anders, hätten mehr Menschen eine Patientenverfügung, der CO2-Ausstoß würde längst sinken und die CDU wüsste, wie sie sich verhalten soll, wenn sie entscheiden muss, ob sie eher mit der Linken kooperiert oder der AfD.

Aber nicht einmal die Hälfte der Deutschen hat eine Patientenverfügung, der CO2-Ausstoß wächst weltweit immer noch und die CDU weiß nach der Landtagswahl in Thüringen immer noch nicht, was sie tun soll, jetzt, wo sie wirklich entscheiden muss.

Im Gegenteil: Sie hat sich eine Situation gebracht, in der sie nur verlieren kann. Was einige auszunutzen versuchen, um die ungeliebte Parteivorsitzende zu beschädigen.

Zwangslage mit Ansage

Seit mindestens anderthalb Jahren war abzusehen, dass unter den Bedingungen eines neuen gesamtdeutschen Sechsparteiensystems irgendwann die Situation eintreten wird, in der ohne die Linke oder die AfD keine Mehrheit zu formen ist, und in der die CDU sich deshalb für eine Seite entscheiden muss, oder eben gegen die Möglichkeit, eine Mehrheit zu formen.

Dass die Christdemokratie also gegen mindestens einen tiefen Glaubenssatz verstoßen muss: nicht mit Rechtsextremen kooperieren. Nicht mit der sehr Linken kooperieren. Immer für Stabilität und Regierungsfähigkeit sorgen.

Aber diese Entscheidung wollte niemand treffen, vor allem die Parteispitze um Annegret Kramp-Karrenbauer nicht. Sie schien der Basis nicht vermittelbar, und viele wissen wahrscheinlich auch immer noch nicht, wofür sie sich entscheiden wollen, weshalb die Partei gemeinschaftlich die Augen vor der Realität verschloss und auf dem Parteitag im Dezember 2018 noch entschied, weder mit der AfD noch der Linken zu koalieren oder ernsthaft zusammenzuarbeiten. Woraufhin die Partei, auch im Thüringer Wahlkampf, unter Verweis auf den Parteitagsbeschluss ankündigte, mit beiden Parteien auf keinen Fall zusammenzuarbeiten.

Zwei Kämpfe überlagern sich

Jetzt wird die Partei also nicht nur unweigerlich gegen einen der drei erwähnten Glaubenssätze verstoßen müssen, sondern, sollte sie sich für irgendeine Kooperation entscheiden, auch noch ihr Wort brechen, und sich obendrein zerstreiten, weil im Zweifel Bund und Land, Berlin und Erfurt, andere Ziele haben.

In den Worten des Thüringer CDU-Chefs Mike Mohring klingt das so: "Ich brauche nicht Berlin, um zu wissen, was für Thüringen nützlich ist." So klingt es, wenn eine Partei mit sich selbst vollkommen im Unreinen ist.

Dabei scheinen sich gerade zwei Kämpfe zu überlagern: der um die Seele der Partei und der um die Kanzlerkandidatur.

Der erste Kampf wird wirklich in und um Thüringen ausgetragen. Er wird jetzt ohne Vorbereitung ausgefochten werden, weil auch nach den Anregungen des Ministerpräsidenten von Schleswig-Holstein, Daniel Günther, und des damaligen Brandenburger Landeschefs Ingo Senftleben die Union eben nicht darüber zu diskutieren begann, wie sie es mit Linker und AfD hält, wenn es zum Schwur kommt.

Man ließ die Gelegenheit verstreichen. Auch Kramp-Karrenbauer als Generalsekretärin regte die Diskussion nicht mehr an, als sie einige Monate später die Partei übernahm.

Wie anders sind Linke und AfD?

Im Kern dreht sie sich um konkurrierende Deutungen der deutschen Parteienlandschaft. Die erste Gruppe in dieser Debatte sieht da eine demokratische Mitte aus Union, SPD, FDP und Grünen, und daneben mit der Linken und der AfD zwei Parteien am Rand, die sich sehr vom Rest unterscheiden, aber nicht kategorial, nicht grundsätzlich. Unter ihnen finden sich vor allem die Befürworter einer Zusammenarbeit mit der AfD.

Die zweite Gruppe sieht die Lage ähnlich, aber hält Linke und AfD für radikal oder extremistisch, beide für kategorial, also absolut verschieden von den Parteien der demokratischen Mitte. Vertreter dieser Gruppe lehnen jede organisierte Zusammenarbeit mit der Linken und der AfD ab.

Die dritte Gruppe sieht zwar riesige Unterschiede zwischen Union und der Linken, sieht aber ein demokratisches Lager von Linker bis CSU, und die AfD, die sich kategorial von diesem demokratischen Lager unterscheidet. Die Vertreter dieser Gruppe sind im Fall der Fälle eher für ein Bündnis mit der Linken, wie sie in den Gemeinden schon lange existieren.

Wie die Verteilung innerhalb der Union wirklich aussieht, lässt sich aktuell schwer sagen. Weder am Wahlabend in Gesprächen noch im Parteivorstand, so ist zu erfahren, gab es Einigkeit.

Mohring will verhandeln können

Mike Mohring forderte am Morgen nach der Wahl öffentlich die Freiheit für Verhandlungen ein. Aus seinem Umfeld war zu hören, dass er keine linke Regierung dulden will, sondern wenn überhaupt, dann als Koalitionspartner mit Ministerien und Gestaltungsmacht in eine Koalition eintreten würde. Zunächst wolle er aber vor allem mit Ramelow reden, von Mann zu Mann. Unterstützung bekam er von Daniel Günther, ansonsten stieß er auf große Vorbehalte. Am Abend nahm er dann alles zurück. In einer Pressemitteilung mit dem Titel "keine Koalition mit Linke oder AfD" schloss Mohring plötzlich jede Zusammenarbeit aus. "Ich kann mir keine Situation vorstellen, dass die abgewählte rot-rot-grüne Landesregierung durch die Unterstützung der CDU in eine neue Regierungsverantwortung gehoben wird."

Damit fügte er sich der Linie, die Parteichefin Annegret Kramp-Karrenbauer am Nachmittag vorgegeben hatte. Sie hält am Parteitagsbeschluss fest. Andernfalls, so ein Argument, könne man auch schwer begründen, warum man den Beschluss gegenüber der AfD durchsetzen müsse. Man nehme zur Kenntnis, dass Mohring offen reden wolle, hatte Kramp-Karrenbauer auf einer Pressekonferenz gesagt. Aus ihrem Umfeld heißt es, sie habe nichts gegen Gespräche, wolle aber zuvor eine Koalition ausgeschlossen wissen.

Im Parteivorstand sprachen sich einige Teilnehmer noch grundsätzlicher gegen Gespräche aus, andere sehen darin einen Akt der Höflichkeit gegenüber Ramelow, der auch in der CDU mehr Respekt genießt als seine Partei. Ein solches Gespräch dürfte aber faktisch zu nichts führen – was wiederum Mohring zunächst ablehnte, mittlerweile aber angenommen zu haben scheint.

Für eine Annäherung an die AfD unter Björn Höcke plädierte am Montag offenbar niemand in den Gremien. Nur aus Thüringen, vom bisherigen stellvertretenden Fraktionschef, war der Vorschlag zu vernehmen.

Unklare Haltung der Basis

Unklar ist und blieb dem Vernehmen nach auch im Vorstand, was genau der Parteitagsbeschluss eigentlich erlauben würde und was er verbietet. Er untersagt "Koalitionen und ähnliche Formen der Zusammenarbeit", aber ob eine Duldung, eine Duldung ohne Vertrag oder ob situative Zusammenarbeit mit einer Minderheitsregierung "ähnliche Formen der Zusammenarbeit" wären, ist offen. Etwas Spielraum ist also, aber nicht für eine Koalition. Mohrings Pressemitteilung vom Abend klingt ohnehin nach Verweigerung jeder Zusammenarbeit.

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Die Haltung der CDU-Basis ist schwer einzuschätzen. In einer ARD-Umfrage sagten 68 Prozent der CDU-Wähler in Thüringen, man solle das Verhältnis zur Linken zumindest neu bewerten. In einer Civey-Umfrage für t-online.de sagten dagegen vor der Wahl bundesweit fast zwei Drittel der Unionsanhänger, die CDU solle eine Koalition mit der Linken weiter ausschließen.

Diese ohnehin quälende Auseinandersetzung darum, welchen Grundsatz man am ehesten zu verletzen bereit ist, wird außerdem überlagert vom Machtkampf in der Partei, der mittlerweile von einigen offen geführt wird.

JU-Chef stellt die Führungsfrage

Kramp-Karrenbauer ist angeschlagen, ihre Beliebtheitswerte sind schlecht, die zuletzt leicht steigenden Umfragewerte im Bund werden nicht ihr angerechnet, die Kritik und die offen formulierte Enttäuschung über sie nehmen zu, ein Teil derjenigen, die Friedrich Merz oder Jens Spahn unterstützt hatten, mögen sie sowieso nicht – und die Angriffe von einigen werden auch heftiger. Natürlich auch jetzt, nach einem enttäuschenden Landtagswahlergebnis.

Die WerteUnion, die weniger als ein Prozent der CDU-Mitglieder vertritt, attackiert sie verlässlich. Friedrich Merz, der plötzlich auf dem JU-Deutschlandtag sprechen durfte und immer wieder in Interviews und Gastbeiträgen anklingen lässt, dass der CDU-Kurs falsch sei. Carsten Linnemann, der Vorsitzende der Mittelstandsvereinigung. Und Tilman Kuban, der JU-Chef, der selbst kein Amt hat und in seiner Organisation in der Kritik steht, der auf dem Deutschlandtag der Unions-Nachwuchsorganisation über eine Urwahl zum Kanzlerkandidaten abstimmen ließ und der jetzt, wie es Kramp-Karrenbauer selbst in bemerkenswerter Offenheit sagte, die Führungsfrage stellte.

Wer glaube, dass man jetzt die Kanzlerfrage beantworten müsse, könne das auf dem Parteitag tun, entgegnete sie kühl, erst intern im Vorstand, dann öffentlich auf einer Pressekonferenz.


Intern bekam sie dafür großen Applaus. Was nicht heißt, dass sie nicht doch jemand herausfordern könnte. Jens Spahn, der sich ansonsten mit Kritik zurückhält und einfach seine Arbeit als Gesundheitsminister macht, soll allerdings nicht geklatscht haben. Und von Armin Laschet, dem Ministerpräsidenten Nordrhein-Westfalens, sind aus der Vorstandssitzung keine starken Stellungnahmen überliefert. Wer auf seinen Moment wartet, muss nicht sprechen.

Zumindest eine Sorge hat Kramp-Karrenbauer seit dem Abend nicht mehr: einen Alleingang von Mohring muss sie nicht mehr fürchten.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherchen
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