Spitzentreffen der Koalition Die CDU steckt im Merkel-Dilemma
Zum letzten Mal vor der Europawahl treffen sich die Spitzen der großen Koalition in Berlin. Bei Union und SPD tun sich immer mehr Konflikte auf. Doch besonders die CDU ist in einer ungemütlichen Lage.
Gemeinsamkeiten sind in der von Anfang an ungeliebten schwarz-roten Koalition zwei Wochen vor den Wahlen in Europa und in Bremen kaum noch auszumachen. Dennoch wollen die Spitzen von CDU, CSU und SPD zumindest nach außen den Anschein von akuter Krise vermeiden. Aber man muss nicht einmal an der Oberfläche kratzen – auch angesichts schwächer sprudelnder Steuereinnahmen stellen Union und Sozialdemokraten ihre massiv unterschiedlichen Vorstellungen ins Schaufenster. Immer lauter betonen sie die Gegensätze: Sozialstaat nach SPD-Muster kontra Ankurbelung der Konjunktur per Unions-Konzept.
Es ist, als würden sich die Partner längst für die nächste Bundestagswahl warmlaufen. Ganz egal, ob diese schon im Herbst kommt, vielleicht zusammen mit der Landtagswahl in Thüringen am 27. Oktober, oder im nächsten Jahr oder tatsächlich erst am regulären Ende der Legislaturperiode im Herbst 2021.
Ungeklärte Kanzlerinnen-Frage ist Herausforderung für CDU
In der Union ist zur Zeit vor allem die CDU in einer ungemütlichen Lage. Ein Grund: Die nach dem Verzicht von Kanzlerin Angela Merkel auf den Parteivorsitz noch immer ungeklärte Frage zum Übergang der Macht im Kanzleramt an die neue CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer. Auch wenn beide Frauen immer wieder versuchen, das Thema vom Tisch zu wischen, droht die Frage doch den Endspurt im Wahlkampf für die Europawahl, die Bürgerschaftswahl in Bremen und Kommunalwahlen in zehn Ländern am 26. Mai zu überschatten.
Zwar versuchte AKK, wie die Vorsitzende gerne genannt wird, das Thema mit einem Interview vom Tisch zu nehmen, feuerte mit der Formulierung, sie strebe eine Wechsel nicht mutwillig an, die Spekulationen aber eher noch an. Mit dem neuen Kräftedreieck zwischen Partei, Fraktion und Regierung wird offenbar, dass es auch in der CDU konträre Positionen gibt. Siehe Migration, CO2-Steuer, die Haltung zu den Arbeitsbedingungen der Paketbranche oder auch die beim Wirtschaftsflügel umstrittenen Pläne von Bildungsministerin Anja Karliczek (CDU) für eine Mindestvergütung für Auszubildende.
In Kanzleramt und der CDU-Zentrale im Adenauerhaus gibt es gleichermaßen die Sorge, dass der interne inhaltliche Zwist auf die schwierigen Wahlen Ende Mai genauso wie im Spätsommer und Herbst in Sachsen, Brandenburg und Thüringen durchschlägt. Vielstimmigkeit und Streit in der Partei – viele Unionsanhänger schätzen das erfahrungsgemäß gar nicht.
SPD freut sich über Dilemma des Koalitionspartners
Es gibt sogar schon die Warnung davor, sich in der zweieinhalb Monate langen parlamentarischen Pause zwischen Ende Juni und Mitte September ein quälendes Sommertheater zu liefern. Ganz zu schweigen davon, welche verheerende Wirkung eine SPD-interne Debatte über den Fortbestand der großen Koalition haben könnte, die vom GroKo-Feind und Juso-Chef Kevin Kühnert befeuert wird, heißt es in der Union.
Beim kleinen Koalitionspartner SPD freut man sich über das Dilemma in der Union: Auf keinen Fall wollen die Sozialdemokraten Kramp-Karrenbauer vorzeitig ins Kanzleramt verhelfen – hofft man doch auf einen Vizekanzler-Amtsbonus von Olaf Scholz gegenüber der Saarländerin. Dass Scholz sich das Kanzleramt zutraut, hat er schon Anfang des Jahres durchblicken lassen. Bis zum Ende der Legislaturperiode wollen die Sozialdemokraten regieren und sozialdemokratische Kernanliegen voranschieben – teils als Regierungsprojekte, teils als Vorrat an Wahlkampfthemen.
In Zeiten knapper Kassen wird das freilich nicht einfacher, wie die Schwierigkeiten um die Grundrente zeigen. Ohne einen Griff auch in die Sozialkassen wird sich eine Aufstockung von Kleinrenten ohne Bedürftigkeitsprüfung kaum finanzieren lassen, wenn gleichzeitig die schwarze Null eingehalten werden soll. Und selbst dann: Aus CDU und CSU heißt es, eine Grundrente ohne Bedürftigkeitsprüfung werde es mit der Union sowieso nicht geben. Basta.
Ergebnisse könnten Nahles zusätzlich unter Druck setzen
Und ob die Rechnung von Nahles und Scholz aufgeht, steht ohnehin in den Sternen. Müssen die Sozialdemokraten auch nur bei einem Teil der anstehenden Wahlen herbe Verluste einstecken, könnte es für Nahles schwer werden, sich an der Doppelspitze von Partei und Fraktion zu halten. Spätestens beim Parteitag im Dezember könnten die #NoGroko-Sozialdemokraten die Oberhand gewinnen.
Vorerst bemühen sich aber zumindest die Spitzen von CDU und CSU in der Regierung, ein Bild schwarzer Einigkeit zu demonstrieren. Vor der regulären Sitzung der Unionsfraktion präsentieren sich Kramp-Karrenbauer und CSU-Chef Markus Söder sowie der Fraktionsvorsitzende Ralph Brinkhaus (CDU) und CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt einträchtig der Öffentlichkeit. Auf den Zweck des ungewöhnlichen Auftritts angesprochen, hat Dobrindt eine passende Antwort parat: "Ich finde, wir machen ein gutes Bild zu viert. Und das muss man ab und zu auch mal wieder zeigen."
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Es ist eben wie eine Zwischenzeit für alle Teile der großen Koalition: Keiner weiß, wie die Wahlen am 26. Mai ausgehen. Und ob die Ergebnisse tatsächlich politische Beben auslösen, die auch die Regierung in Berlin erschüttern und womöglich sprengen können. Es scheint so, als ob jede Seite nicht unvorbereitet in eine solche Situation schlittern will.
- Nachrichtenagentur dpa