Wechsel an SPD-Spitze Immer mehr Landesverbände kritisieren Hauruck-Verfahren
Die SPD-Spitze will Andrea Nahles zur kommissarischen Parteichefin machen. Doch der Widerstand gegen das Verfahren ist groß – und wird sogar von Juristen vorgetragen.
Die Pläne der SPD-Spitze zur raschen Übergabe des Parteivorsitzes an Andrea Nahles stoßen intern zunehmend auf Widerstand. Nach den Landesverbänden in Schleswig-Holstein und Berlin ist auch die SPD in Sachsen-Anhalt dagegen, dass Andrea Nahles die kommissarische Führung der Bundespartei übernimmt. Für die Übergangszeit bis zur regulären Wahl eines Nachfolgers von Martin Schulz solle einer der Stellvertreter übernehmen, sagte Landesverband-Sprecher Martin Krems-Möbbeck. "Es gibt sechs Stellvertreter, die genau dafür da sind."
Krems-Möbbeck verwies darauf, dass Nahles nicht Mitglied des Parteivorstands sei. Die Satzung sehe vor, dass beim Rückzug eines Vorsitzenden zunächst einer der Stellvertreter kommissarisch übernimmt. Gerade angesichts mehrerer Bewerber für den SPD-Vorsitz, sei es geboten, sich an dieses Verfahren zu halten. "Es geht um eine kurze Übergangszeit", sagte Krems-Möbbeck.
Überraschende Gegenkandidatur aus Flensburg
Zuvor hatte die Parteilinke eine Urwahl zum SPD-Bundesvorsitz gefordert und die Flensburger Oberbürgermeisterin Simone Lange überraschend ihre Kandidatur angekündigt. "Ich werbe für eine Basiskandidatur und möchte den Mitgliedern wieder eine Stimme geben und sie an diesem Entscheidungsprozess ernsthaft beteiligen", begründete die 41-Jährige ihren Schritt in einem Schreiben an den Bundesvorstand. Sie wolle den Mitgliedern wieder das Gefühl geben, "dass sie es sind, die die Stimmung und die Richtung der Partei bestimmen", schrieb Lange, die seit 2003 SPD-Mitglied und seit Januar 2017 Oberbürgermeisterin in Flensburg ist.
Präsidium und Vorstand der Sozialdemokraten wollen am Nachmittag über das weitere Vorgehen beraten. Erwartet wird, dass der bisherige Vorsitzende Martin Schulz dort seinen sofortigen Rückzug verkünden wird. Die Spitzengremien könnten dann beschließen, Nahles zur kommissarischen Parteichefin zu ernennen. Sie müsste dann binnen drei Monaten formal bei einem Parteitag gewählt werden. Die Bundestagsfraktionschefin wäre die erste Frau an der SPD-Spitze.
Juristen in der SPD kritisieren Verfahren
Dieser Plan stößt aber auch rechtlich auf Bedenken. Der Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokratischer Juristinnen und Juristen in der SPD zeigte sich irritiert. Es wundere ihn, dass Nahles "sofort, wenn auch nur kommissarisch, den Parteivorsitz übernehmen will", sagte Harald Baumann-Hasske der "Welt". "Dafür gibt es satzungsmäßig keine Grundlage, dies ist in unseren Statuten nicht vorgesehen."
Nahles könnte "Entscheidungen von großer Tragweite", etwa zu den Parteifinanzen, "auf dieser Basis keinesfalls treffen". Der Rechtsanwalt sagte weiter: "Die SPD-Führung will jetzt Geschlossenheit erzeugen und dabei auf die üblichen Vertretungsregelungen für den Vorsitzenden verzichten, obwohl es sechs stellvertretende Vorsitzende gibt."
Unterstützung von Dreyer, Schwesig und Schneider
Schulz hatte zunächst angepeilt, sich erst nach dem SPD-Mitgliederentscheid über den Eintritt in eine weitere große Koalition von der Parteispitze zurückzuziehen und an Nahles zu übergeben. Nötig wird der schnellere Wechsel, weil die Personalquerelen um Schulz drohen, die Befragung zu überlagern. Schulz hatte nach dem Abschluss der Koalitionsverhandlungen mit der Union – entgegen vorheriger Aussagen – angekündigt, er wolle Außenminister in einem schwarz-roten Kabinett werden und den Parteivorsitz abgeben. Auf großen Druck hin erklärte er aber kurz darauf seinen Verzicht auf den Ministerposten.
Die stellvertretende SPD-Vorsitzende Malu Dreyer unterstützte die mögliche Ernennung von Nahles. "Die SPD kann nicht führungslos bleiben. Es war deshalb richtig, dass Martin Schulz den Vorschlag gemacht hat, dass Andrea Nahles kommissarisch die Parteiführung übernimmt", sagte Dreyer der dpa. "Für ihre Bereitschaft, die SPD in dieser schwierigen Zeit zu leiten, bin ich ihr dankbar, und ich bin sicher, dass sie diese Aufgabe gut meistern wird." Die Parteitagsdelegierten würden dann entscheiden, wer den SPD-Vorsitz dauerhaft übernimmt. Auch SPD-Vize-Chefin Manuela Schwesig und der parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion, Carsten Schneider, äußerten Zustimmung zu Nahles.
Wagenknecht ätzt gegen Nahles
Linken-Co-Fraktionschefin Sahra Wagenknecht sprach angesichts der Personalie Andrea Nahles von einem "Offenbarungseid". Sie kritisierte, die SPD brauche keine "Weiter-so-Verwalterin, sondern eine inhaltliche Erneuerung". Nahles habe die faulen Kompromisse in den Koalitionsgesprächen mit ausgehandelt. In der letzten Regierung habe sie als Ministerin zudem unter anderem dem Boom von Leiharbeit und unsicheren Jobs zugesehen, sagte Wagenknecht der "Neuen Osnabrücker Zeitung". Sie hielt Nahles zudem vor: "An den jüngsten Personalchaostagen war sie an führender Stelle beteiligt."
- dpa