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Dem AfD-Politiker Höcke die Grundrechte entziehen – wie funktioniert das?


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"Ausreichend gefährlich"
Petition fordert radikalen Schritt gegen Björn Höcke


Aktualisiert am 30.01.2024Lesedauer: 4 Min.
Björn Höcke (Archivbild): Ein Experte hält ein Verfahren zur Grundrechtsverwirkung des AfD-Politikers für möglich.Vergrößern des Bildes
Björn Höcke (Archivbild): Ein Experte hält ein Verfahren zur Grundrechtsverwirkung des AfD-Politikers für möglich. (Quelle: Sascha Fromm/imago-images-bilder)

1,2 Millionen Menschen fordern die Politik auf, einen Antrag zur Grundrechtsverwirkung beim Bundesverfassungsgericht zu stellen. Doch die reagiert zurückhaltend.

Die Rechten und insbesondere die AfD werden in Deutschland zunehmend stärker – aber auch der Protest gegen sie. Seit der Recherche des Investigativmediums "Correctiv" zu dem Treffen von Mitgliedern der AfD, der CDU-nahen Werteunion und Aktivisten der rechtsextremen "Identitären Bewegung" in Potsdam ist in Teilen der Bevölkerung die Empörung groß.

Einige fordern ein Verbot der AfD, andere sehen im Entzug der Grundrechte des Thüringer AfD-Landeschefs Björn Höcke ein Mittel, sich gegen einen Rechtsruck zu wehren. Zu letzterem Vorschlag gibt es mittlerweile eine Petition mit mehr als 1,6 Millionen Unterschriften. Doch welche Erfolgsaussichten hat ein solcher Grundrechtsentzug, und was sagen die anderen Parteien dazu? Ein Überblick.

Worum geht es?

Mehr als 1,6 Millionen Menschen haben bis zum Dienstagmittag (30. Januar) eine Petition unterschrieben, die den Entzug der Grundrechte von Björn Höcke fordert. Höcke darf nach einem Gerichtsurteil als Faschist bezeichnet werden. Die Petition appelliert an die Fraktionsvorsitzenden von SPD, Grünen, FDP sowie den Oppositionsfraktionen CDU/CSU und Linke, die Bundesregierung zu einem entsprechenden Antrag zur Grundrechtsverwirkung beim Bundesverfassungsgericht zu bewegen.

Auf der Petitionsplattform des Kampagnen-Netzwerks Campact ist mit dem Vorstoß die Aufforderung verbunden: "Stoppen Sie den Faschisten Björn Höcke: Veranlassen Sie, dass die Bundesregierung beim Bundesverfassungsgericht einen Antrag auf Grundrechtsverwirkung nach Artikel 18 Grundgesetz stellt". Die Petition samt Begründung finden Sie hier. Campact teilte mit, dass nicht vorgesehen sei, die Unterschriften als offizielle Petition beim Petitionsausschuss des Bundestags einzureichen. "Nichtsdestotrotz entfalten die auf diese Art gesammelten Stimmen immer wieder eine enorme politische Kraft", so Campact.

Was steht im Gesetz?

Die Möglichkeit des Grundrechtsentzugs ist im Grundgesetz in Artikel 18 geregelt. Darin heißt es: Wer die Freiheit der Meinungsäußerung, insbesondere die Pressefreiheit, die Lehrfreiheit, die Versammlungsfreiheit, die Vereinigungsfreiheit, das Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis, das Eigentum oder das Asylrecht "zum Kampfe gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung missbraucht", verwirkt genau diese Grundrechte. "Die Verwirkung und ihr Ausmaß werden durch das Bundesverfassungsgericht ausgesprochen." Dafür ist ein Antrag des Bundestags, der Bundesregierung oder einer Landesregierung nötig.

Nach dem Verfassungsgerichtsgesetz beinhaltet das auch die Möglichkeit, jemandem das Wahlrecht, die Wählbarkeit und die Fähigkeit zur Bekleidung öffentlicher Ämter abzuerkennen. Dabei kann Karlsruhe auch nur einzelne Grundrechte entziehen und dies außerdem zeitlich befristen, jedoch auf mindestens ein Jahr.

Das Gesetz wurde – wie auch das zum Verbotsverfahren für Parteien – zum Schutz der Demokratie erlassen. Nach den Erfahrungen der NS-Zeit sollte mithilfe des Grundgesetzes eine Demokratie geschaffen werden, die sich gegen autoritäre und verfassungsfeindliche Bestrebungen wehren kann.

Wie sind solche Verfahren bisher ausgegangen?

Bisher wurde viermal ein solcher Antrag auf Grundrechtsverwirkung gestellt, allerdings nie erfolgreich.

Im Jahr 1960 scheiterte der Antrag gegen den Rechtsextremisten Otto Ernst Remer. Der Antrag wurde im April 1952 eingereicht, die Sozialistische Reichspartei, in der Remer sich engagiert hatte, im Oktober 1952 verboten. Im Jahr 1960 kam das Bundesverfassungsgericht dann zu dem Ergebnis, dass sich Remer nach der Auflösung seiner Partei "aus dem politischen Leben völlig zurückgezogen hat" und die Anträge der Bundesregierung damit nicht mehr hinreichend begründet seien.

1974 stellte die Bundesregierung einen Antrag auf Grundrechtsverwirkung gegen den Herausgeber der rechtsextremen "National-Zeitung", Gerhard Frey. Das Bundesverfassungsgericht lehnte den Antrag damals ebenfalls ab, weil die "in der Zeitung der Antragsgegner vertretenen und propagierten Auffassungen (...) keine als ernsthafte Gefahr für den Bestand der freiheitlich-demokratischen Grundordnung in Betracht kommende, politisch bedeutsame Resonanz mehr finden", also in der Gesellschaft nicht mehr genügend Bedeutung hatten, um eine Gefahr darzustellen.

In den 1990er-Jahren gab es zwei Anträge gegen die Neonazis Thomas Dienel und Heinz Reisz. Auch diese Anträge wurden abgelehnt. Das Bundesverfassungsgericht erklärte damals, der Antrag der Bundesregierung sei "offensichtlich nicht hinreichend begründet", schrieb die Zeitung "taz" damals. Der endgültige Beschluss sei dann ohne Begründung erfolgt.

Wie stehen die Chancen, dass es nun bei Höcke funktioniert?

Der Verfassungsrechtler Alexander Thiele hält es im Falle eines Verfahrens "nicht für unwahrscheinlich", dass sich das Bundesverfassungsgericht für eine Grundrechtsverwirkung entscheiden würde, sagt er "Zeit online".

"Nach den Maßstäben des Bundesverfassungsgerichts dürfte Höcke als ausreichend gefährlich und relevant für ein mögliches Verfahren gelten", so Thiele. Als Beispiel nennt er, dass der Verfassungsschutz den thüringischen AfD-Landesverband als gesichert rechtsextrem einstuft. Auch die Relevanz für ein solches Verfahren sei gegeben, da die AfD kurz vor den Landtagswahlen in Thüringen in Umfragen teils bei 36 Prozent liegt.

Allerdings wirke die Bundesregierung nicht sonderlich gewillt, ein solches Verfahren gegen Höcke anzustreben, meint Thiele. Er hält die dahinterstehende Vorsicht für richtig, weil die Grundrechtsverwirkung ein "sehr prekäres Instrument" sei.

Zudem wurden die bisherigen vier Anträge auf Grundrechtsverwirkung stets erst nach einer Dauer von mehreren Jahren entschieden. Vor der Landtagswahl in Thüringen im September 2024 würde eine entsprechende Entscheidung laut Thiele daher wahrscheinlich nicht vorliegen.

Unterstützen die anderen Parteien ein solches Verfahren?

Für die Linke erklärte die stellvertretende Parteivorsitzende, Katina Schubert, auf Anfrage von t-online, es mache Mut, dass über eine Million Menschen die Petition unterzeichnet haben. "Offenbar erkennen immer mehr Menschen, was für eine Bedrohung vom rechten Rand ausgeht." Dennoch halte sie es für falsch, sich auf die Person Björn Höcke zu fokussieren, denn "Höcke ist vielleicht der bekannteste, aber nicht der einzige Nazi in der AfD." Wenn der Eindruck entstünde, dass die AfD ohne Höcke harmlos ist, wäre das fatal. "Die AfD ist durch und durch eine braune Partei und bleibt auch ohne Höcke eine Gefahr für die Demokratie."

CDU, FDP und SPD äußerten sich auf t-online-Anfrage nicht, die Grünen teilten mit, sich aus Kapazitätsgründen nicht äußern zu können.

SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert warnt im "Spiegel" jedoch vor zu hohen Erwartungen an einen möglichen Antrag auf Grundrechtsverwirkung gegen den Thüringer AfD-Landeschef Björn Höcke. "Die bisher angestrengten Verfahren gegen Einzelpersonen – immer Rechtsextreme – haben vier bis acht Jahre gedauert", sagte Kühnert. Ein solches Vorgehen trage auch "nichts dazu bei, akut die Situation verbessern zu können", so der SPD-Generalsekretär. Es sei jedoch "gut, dass wir uns gewahr werden, was in unserer Verfassung an Möglichkeiten besteht".

Verwendete Quellen
  • BVerfG, Beschluss vom 02.07.1974 - 2 BvA 1/69
  • BVerfG 11, 282 - Beschluss des Zweiten Senats vom 25. Juli 1960 - 2 BvA 1/56
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