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Partei BSW | Experte zu Sahra Wagenknecht: Die AfD muss sich Sorgen machen


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Experte über Wagenknechts Strategie
"Diese Partei muss sich Sorgen machen"

InterviewVon Tom Schmidtgen

26.10.2023Lesedauer: 5 Min.
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Sahra Wagenknecht auf der Pressekonferenz am Montag: "Sie kann das schaffen", sagt Politikwissenschaftler Constantin Wurthmann. (Quelle: Markus Schreiber/ap)

Sahra Wagenknecht will ihre eigene Partei gründen. Was jetzt folgt? Eine Schlammschlacht – und eine Gefahr für die AfD, sagt der Politikwissenschaftler Constantin Wurthmann.

Erst am Montag stellte die prominente Linke Sahra Wagenknecht ihr neues Projekt vor: Mit mehreren Mitstreitern will sie eine neue "linkskonservative" Partei gründen, das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW). Zunächst handelt es sich dabei noch um einen Verein, der Geld einsammeln soll. Im Januar will Wagenknecht die Partei offiziell gründen und dann zur Europawahl antreten.

Video | Wagenknecht präsentiert Pläne für eigene Partei
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Quelle: reuters

Der Politikwissenschaftler Constantin Wurthmann, der Wagenknecht und die Linken seit Jahren erforscht, rechnet mit einem Erfolg für die neue politische Gruppe – vor allem dank Zulauf von derzeitigen AfD-Sympathisanten. Zudem erklärt er, warum er in Wagenknecht auch den sächsischen Ministerpräsidenten Michael Kretschmer (CDU) erkennt.

t-online: Herr Wurthmann, worauf muss sich Deutschland mit dem Bündnis Sahra Wagenknecht jetzt gefasst machen?

Constantin Wurthmann: Ich erwarte eine Schlammschlacht, aber nicht von Wagenknecht ausgetragen, sondern eher von den ehemaligen Parteifreunden.

Was meinen Sie?

Die Linke hätte nun endlich die Möglichkeit, sich nach der Befreiung aus der politischen Geiselhaft zu überlegen, wohin sie die Partei inhaltlich steuern will. Allerdings herrscht bei vielen Linken Panik – und sie attackieren ihre alte Parteifreundin weiter.


Hier diskutieren der stellvertretende Chefredakteur von t-online, Peter Schink, und die politische Reporterin Annika Leister über die Herausforderungen für das Wagenknecht-Bündnis im t-online-Podcast "Diskussionsstoff":

Wie sollten die Linken jetzt vorgehen?

Wäre ich Parteivorsitzender, hätte ich gesagt: Wir schauen die kommenden drei Monate, wer den Laden verlässt. Danach machen wir einen Programmkongress. Die Linke hat die einmalige Chance, jede ihrer Positionen daraufhin zu überprüfen, ob sie ein Zugeständnis an das Wagenknecht-Lager war – oder nicht. Aktuell sehe ich bei den Linken aber wenig Selbstkritik.

Ist die Sorge der Linken überhaupt berechtigt? Wird Wagenknecht viel im linken Lager fischen?

Nein, Wagenknecht hat in ihren Positionen nicht mehr viel gemein mit den Wählern der Linken, sondern vielmehr mit den Wählern der AfD. Sie spricht sogar von den ehemaligen linken Wählern, die sie erreichen will. Einige davon wählen mittlerweile AfD.

Also wird das BSW eine reale Gefahr für die AfD?

Ja, absolut. Wenn sich jemand Sorgen machen muss, dann die AfD. In einer Studie aus dem Sommer haben meine Kollegin Wagner, mein Kollege Thomeczek und ich herausgefunden, dass mehr als die Hälfte der AfD-Wähler Wagenknecht sympathischer findet als die Linke.

Eine Linke, die von der Mehrheit der AfD-Wähler sympathisch gefunden wird?

Ja, das ist sehr außergewöhnlich. Das gab es bisher noch nie. Wagenknecht macht etwas richtig: Sie redet gar nicht über die AfD als Partei, sondern stellt die Menschen in den Mittelpunkt, die sie wählen.

In der Studie schreiben Sie, "Wagenknechts Positionierung hat das Potenzial, die Kluft zwischen der Linken und der AfD zu überbrücken."

Wagenknecht versteht sich selbst als eine Brückenbauerin für Personen, die sich in der gesellschaftlichen Debatte als Opfer sehen. Wagenknecht will den Menschen wieder eine Perspektive geben. Ich sehe die Wagenknecht-Partei als eine demokratische Exit-Strategie für Menschen, die sehr konservativ ticken und sich aktuell nicht vertreten fühlen und AfD wählen – oder gar nicht mehr wählen. Das Interessante ist: Sie kann das schaffen.

(Quelle: privat)

Constantin Wurthmann lehrt Vergleichende Politikwissenschaft an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg. Er forscht zu Wahlverhalten, Parteien und LGBTQ*. Mit Sahra Wagenknecht beschäftigt er sich seit Jahren. Er hat mit Sarah Wagner und Jan Philipp Thomeczek im Sommer eine Studie zum Potenzial einer Wagenknecht-Partei veröffentlicht.

Die FDP erzielt bei einer INSA-Umfrage mit 24 Prozent Wählerpotenzial einen ähnlichen Wert. Aber nur sechs Prozent würden sie aktuell bei der Bundestagswahl wählen. Wagenknecht hat einen großen Vorteil: Bei der nächsten Wahl, der Europawahl, gibt es keine Prozenthürde. Mit ungefähr 0,5 Prozent der Stimmen erhält ihr Bündnis einen Sitz im Parlament. Die Hürde wird sie locker schaffen. Ob sie die Fünf-Prozent-Hürde bei den anderen Wahlen überspringt, ist offen.

Die Partei ist noch gar nicht gegründet. Das soll zum Jahresanfang passieren, die Europawahl ist im Juni. Schafft sie das noch?

Frau Wagenknecht sagt selbst, sie sei kein großes Organisationstalent. Aber sie hat auch lang genug gewartet, bis sie genug Personen zusammenbekommen hat, mit denen sie das schaffen kann. Erste Gerüchte einer Parteineugründung gab es bereits vor zwei Jahren. Seitdem wird sie daran arbeiten.

Ihre Studie zeigt auch: Besonders im Osten stößt Wagenknecht auf Zustimmung. Wie erklären Sie sich das?

Das hat sicher damit zu tun, dass die AfD im Osten proportional stärker gewählt wird. Aber Wagenknecht spricht auch Menschen an, die mit der Performance unserer Demokratie unzufrieden sind. Das trifft für viele Ostdeutsche zu, aber nicht nur. In der Pfalz und im Ruhrgebiet leben auch viele mit der Demokratie unzufriedene Menschen.

In welche Lücke stößt Wagenknecht mit ihrer neuen Partei?

Bisher sprechen wir in der Öffentlichkeit immer über das Links-Rechts-Schema: Parteien werden – grob gesagt – eingeteilt nach Sozialismus versus Kapitalismus. Allerdings gibt es neben der wirtschaftlichen Konfliktlinie auch eine gesellschaftspolitische: liberal versus konservativ.

Wie sortieren Sie die etablierten Parteien auf dem mehrdimensionalen Spektrum ein?

Linke, SPD und Grüne sind linksliberal. Die FDP ist rechtsliberal. CDU, CSU und AfD bewegen sich im rechtskonservativen Spektrum. Allerdings ist die AfD nicht konservativ, sondern in weiten Teilen eine rechtsextreme Partei.

Es fehlt also eine Partei im linkskonservativen Spektrum?

Ja, momentan ist das offenbar so, es besteht Nachfrage nach so einer Partei. Wagenknecht kann diese Lücke füllen, weil die CDU sich aktuell auf das Konservative und weniger auf das Soziale fokussiert und die SPD auf das Soziale, aber weniger auf das Konservative.

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Wagenknecht ist konservativ? Wirklich?

Es ist absoluter Unsinn, Frau Wagenknecht eine DDR-Nostalgie in wirtschaftspolitischen Fragen anzudichten. Wagenknecht spricht viel von der Mittelschicht. Sie ist inzwischen mehr Ludwig Erhardt als Rosa Luxemburg.

Schauen wir auf mögliche Koalitionen. Wagenknecht will bei den Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg antreten. Im Interview mit der "Zeit" zeigte sich Wagenknecht mit Blick auf die Landtagswahl in Sachsen offen für eine Koalition mit der CDU. Sie sagte: "Im Zweifel ist das vielleicht besser, als wenn Kretschmer mit der AfD regiert." Halten Sie die Koalition für realistisch?

Möglich ist es! Bei der Pressekonferenz am Montag hatte ich das Gefühl: Wenn man die Augen zumacht und die Stimme etwas verzerrt, sitzt Michael Kretschmer da. Wagenknecht teilt Positionen aus der Mitte der Gesellschaft.

Mit wem kann sie sonst noch regieren?

Die Grünen hasst sie, die AfD und Linke auch. Ich kann mir vorstellen, dass sie auch mit der SPD regieren wollen würde. Die Frage ist eher: Schafft sie es in die Parlamente rein? Und: Findet sie genügend Personal für die Parlamentssitze? Deswegen ist die Vorgehensweise mit dem Verein sehr klug. So kann sie bestimmte Leute anlocken und andere aussortieren.

Wagenknechts Ehemann Oskar Lafontaine traf am Rande der Frankfurter Buchmesse Unterstützerinnen von Wagenknecht. Dabei waren die umstrittene Politikwissenschaftlerin Ulrike Guérot und die frühere ARD-Moskau-Korrespondentin Gabriele Krone-Schmalz. Beide fallen immer wieder mit kruden Thesen auf. Wird die BSW auch ein Sammlungsbecken von Querdenkern?

Das kann ich weder ausschließen noch bestätigen. Aber ich glaube, man wird überrascht sein, wen Wagenknecht sicher nicht in ihrer Partei haben will. Manche Charaktere wie etwa Dieter Dehm öffnen zu große Flanken für Angriffe.

Der ehemalige Bundestagsabgeordnete, der als Musikmanager Wolf Biermann für die Stasi ausspionierte.

Ja, genau. Auch wird das BSW kein Sammelbecken für ehemalige AfD-Politiker. Wir sollten Sahra Wagenknecht jetzt daran messen, was sie sagt. Bisher hat sie inhaltlich wenig gesagt. Damit bleibt sie für viele noch eine Projektionsfläche.

Herr Wurthmann, vielen Dank für das Gespräch.

Verwendete Quellen
  • Videogespräch mit Constantin Wurthmann
  • link-springer.com: "Bridging Left and Right? How Sahra Wagenknecht Could Change the German Party Landscape" (Englisch)
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