AfD-Rechtsaußen in Interview Entsetzen nach Höcke-Äußerungen: "Tabubruch und Skandal"
Björn Höcke forderte im MDR-Interview, das "Ideologieprojekt" Inklusion abzuschaffen. Aus verschiedenen Gesellschaftsbereichen kommt scharfe Kritik.
Äußerungen des Thüringer AfD-Rechtsaußen Björn Höcke haben Entsetzen bei Behindertenvereinen, Gewerkschaften und Sozialverbänden ausgelöst. Höcke hatte am Mittwoch im "Sommerinterview" des MDR gesagt, dass Inklusion, also die Unterrichtung von Kindern mit Behinderungen an Regelschulen, eines von mehreren "Ideologieprojekten" sei. Es gelte, das Bildungssystem davon zu "befreien".
Höcke zählt zum extrem rechten Lager der AfD; Thüringens Verfassungsschutz stuft seinen Landesverband als "gesichert rechtsextremistisch" ein.
Der Politiker sagte wörtlich: "Unter anderem müssen wir das Bildungssystem auch befreien von Ideologieprojekten, beispielsweise der Inklusion, beispielsweise auch dem Gender-Mainstream-Ansatz." Er fügte hinzu: "Alles das sind Projekte, die unsere Schüler nicht weiterbringen, die unsere Kinder nicht leistungsfähiger machen und die nicht dazu führen, dass wir aus unseren Kindern und Jugendlichen die Fachkräfte der Zukunft machen."
"Tabubruch und schlicht Skandal"
Die Bundesvorsitzende der gemeinnützigen Bundesvereinigung Lebenshilfe, Ulla Schmidt, sagte dem "Spiegel": "Wir sind entsetzt über die Auslassungen von Herrn Höcke im MDR-'Sommerinterview' zum Thema Inklusion." Die ehemalige Bundesgesundheitsministerin führte aus: "Dieses Recht infrage zu stellen, erachten wir als Tabubruch und schlicht als Skandal. Angesichts dieser menschenfeindlichen Haltung können wir nur ahnen, wie Herr Höcke mit Menschen mit Behinderung umgehen möchte."
Auch Anja Bensinger-Stolze von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) sagte: "Jedes Kind, jeder Jugendliche hat das Recht, inklusiv – also an einer Regelschule – unterrichtet zu werden." Die GEW wende sich "gegen jegliche Ausgrenzung und Selektion", betonte sie.
"Ein Angriff auf die Menschenwürde"
Die Bereichsleiterin für Kommunikation der Organisation "Aktion Mensch", Christina Marx, sagte dem Magazin: "Inklusion ist kein Ideologieprojekt, Inklusion ist ein Menschenrecht. Sie abzuschaffen, ist ein Angriff auf die Menschenwürde." Gemeinsames Aufwachsen und Lernen von Anfang an befähigten dazu, gesellschaftliche Verantwortung zu übernehmen – genau das brauche eine zukunftsorientierte Gesellschaft zurzeit mehr denn je.
Ähnlich äußerte sich am Donnerstag der Sozialverband VdK: "Inklusion ist ein Menschenrecht und kein 'Ideologieprojekt'", erklärte VdK-Präsidentin Verena Bentele. "Damit zeigt die AfD einmal mehr, welchen Stellenwert sie Menschen mit Behinderungen einräumt."
Ziel der Partei sei offensichtlich nicht, "dass alle Menschen im Land gleiche Chancen auf Teilhabe haben", kritisierte sie. "Heute sind es Migranten und geflüchtete Menschen, Menschen mit Behinderungen und Frauen, denen die AfD dreist und unverhohlen ihre Rechte abspricht, morgen sind es vielleicht schon Seniorinnen und Senioren, Pflegebedürftige und ärmere Menschen."
Deutschland hat 2009 die UN-Behindertenrechtskonvention ratifiziert und sich damit zum Recht auf gleichberechtigte Teilhabe für alle Menschen bekannt.
IW: Menschen mit Behinderung "unverzichtbare Stütze"
Das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) verurteilte die Aussagen des AfD-Rechtsaußen ebenfalls als "menschenfeindlich". Höcke unterstelle, dass Kinder und Jugendliche mit Behinderungen keinen Mehrwert zum Arbeitsmarkt leisteten und Kinder mit Behinderungen ihre Mitschüler am Lernerfolg hinderten – "ein Schlag ins Gesicht für Millionen von Menschen", erklärte das arbeitgebernahe IW am Donnerstag. Menschen mit Behinderungen seien für den Arbeitsmarkt eine "unverzichtbare Stütze". Das sei "unstrittig".
"Ein Blick in die Statistik entlarvt Höckes Aussagen schnell", so das IW. Insgesamt seien deutschlandweit mehr als 1,3 Millionen Menschen mit Schwerbehinderungen bei Unternehmen beschäftigt. Die Tendenz sei – mit kleiner Corona-Lücke – seit Jahren steigend.
Mit Blick auf den Fachkräftemangel gebe es bei schwerbehinderten Menschen noch Potenziale: "Hier haben 49 Prozent der Arbeitslosen eine Ausbildung absolviert, bei denjenigen ohne Behinderung waren es 34 Prozent", stellte das Institut klar. Schwerbehinderte Menschen seien gut qualifiziert und arbeiteten in allen Branchen, besonders häufig im verarbeitenden Gewerbe oder im öffentlichen Dienst.
MDR rechtfertigte sich im Vorfeld für Interview
Der MDR interviewt im August Spitzenpolitiker aller im thüringischen Landtag vertretenen Parteien. Höcke betreffend hatte der Sender bereits im Vorfeld erklärt, warum er auch dem AfD-Rechtsaußen eine Plattform bietet. "Es ist unsere Aufgabe, die Positionen in der Thüringer Politik für die Menschen im Freistaat transparent zu machen und einzuordnen."
Und weiter: "Ein Ausschluss der prägenden Figur der Thüringer AfD, die im Thüringer Landtag die drittgrößte Fraktion stellt, verträgt sich nicht mit unserem journalistischen Auftrag."
- Nachrichtenagenturen AFP, dpa