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Nato-Gipfel in London: "Ein Alleingang wird für die USA nicht funktionieren"


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Nato-Gipfel in London
"Ein Alleingang wird für die USA nicht funktionieren"

  • David Ruch
InterviewVon David Ruch

Aktualisiert am 03.12.2019Lesedauer: 7 Min.
Donald Trump und Emmanuel Macron: Der US-Präsident will die Zahlungen an das Verteidigungsbündnis verringern.Vergrößern des Bildes
Donald Trump und Emmanuel Macron: Der US-Präsident will die Zahlungen an das Verteidigungsbündnis verringern. (Quelle: Montage/reuters)

Die Nato feiert ihren 70. Geburtstag – und wird stark kritisiert. Emmanuel Macron attestiert ihr etwa den Hirntod. Experte Ekkehard Brose analysiert Kritik, Verdienst und Möglichkeiten der Allianz.

Sie beschützte den Westen im Kalten Krieg, erweiterte sich nach dem Fall des Eisernen Vorhangs gen Osteuropa und gilt heute als Organisation ohne Mission. Beim anstehenden Jubiläumsgipfel in London werden die anreisenden Staats- und Regierungschefs viel zu besprechen haben.

Auch darüber hinaus reiht sich Krise an Krise: Der Nato-Partner Türkei marschierte in Nordsyrien ein, die USA wollen weniger an das Verteidigungsbündnis bezahlen und Russlands und Chinas außenpolitische Ambitionen würden eine entsprechende Sicherheitspolitik erfordern. Im Gespräch erklärt Experte Ekkehard Brose unter anderem, warum man das Verteidigungsbündnis noch lange nicht abschreiben sollte. Und weshalb die transatlantische Partnerschaft auch unter Donald Trump mit den USA stabiler ist, als oft dargestellt.

t-online.de: Herr Brose, was steht beim Nato-Gipfel auf dem Spiel?

Ekkehard Brose: Die Nato war in den 70 Jahren ihres Bestehens ein sehr erfolgreiches Bündnis, das sich derzeit allerdings in schwierigem Fahrwasser befindet. Sehr erfolgreich gerade aus deutscher Perspektive, weil die Nato ein wesentlicher Garant für die Integration Deutschlands in die Staatengemeinschaft war und auch zur deutschen Wiedervereinigung beitrug. Aber es ist richtig, dass das bevorstehende Treffen schwierige Diskussionen mit sich bringen wird.

Was meinen Sie mit schwierig?

Dazu muss ich kurz etwas ausholen. Die Arbeit der Nato hat mehrere Dimensionen. Es gibt die militärisch-technische Zusammenarbeit, die politische Konsultation und das Bündnis als Wertegemeinschaft. Aktuell hakt es am meisten bei der zweiten Dimension, also der politischen, bei der es insbesondere um den transatlantischen Austausch geht.

Was heißt das?

Emmanuel Macron sprach von der Nato als hirntoter Organisation. Ich denke, er wollte damit zum Ausdruck bringen, dass die Nato ihre Funktion als Raum des Austauschs zwischen den Bündnispartnern nicht erfüllt. Nehmen wir den Einmarsch der Türkei in den Norden Syriens, der nicht abgestimmt war. Oder die einseitige Entscheidung der USA, das Atomabkommen mit dem Iran aufzukündigen, das Deutschland mit ausgehandelt hatte. Auch da gab es vor der Aufkündigung durch die USA wenig bis keine Konsultationen. Dafür ist die Nato jedoch da, dass in diesem Rahmen transatlantisch und vertraulich gesprochen werden kann. Aber das passiert derzeit nicht ausreichend.

Ekkehard Brose, 1958 geboren, ist seit Oktober 2019 Präsident der Bundesakademie für Sicherheitspolitik. Der Volkswirtschaftler war Zeitsoldat bei der Bundesmarine, es folgten zahlreiche Stationen im Auswärtigen Amt, unter anderem als Referatsleiter Sicherheitspolitik in der Politischen Abteilung sowie als Beauftragter für Zivile Krisenprävention und Stabilisierung. Brose war Gesandter der Ständigen Vertretung der Bundesrepublik bei der Nato und arbeitete drei Jahre für die deutsche Botschaft in Moskau. Von 2014 bis 2016 war er Botschafter der Bundesrepublik im Irak.

Hat Macron mit seiner Kritik also recht?

Seine Einschätzung ist bewusst provokant. Wenn er damit auf die Konsultationsfunktion der Nato abzielte, dann hat er recht. Wenn er mehr damit sagen wollte, dann wird es problematisch.

Sie sprachen den Einmarsch der Türkei in Nordsyrien an. Nehmen wir dazu noch US-Präsident Trump, der bekanntermaßen kein großer Freund der Nato ist. Ist dieses Verteidigungsbündnis ein Auslaufmodell?

Wir sollten das Treffen in London abwarten. Es mögen zwar keine großen Entscheidungen anstehen. Doch es wird wichtig sein, welche Atmosphäre dort herrscht, ob man zurückfindet zu einer gemeinsamen Sprache und zu der Überzeugung, dass man zusammenstehen muss in einer schwierigen Welt. Das kann heute keiner allein schaffen. Dazu brauchen wir die USA. Aber wir brauchen auch ein starkes Europa.

Was muss geschehen, um die gemeinsame Sprache wiederzufinden?

Man könnte sagen: Es muss ein Ruck durch die Nato gehen. Ich habe sehr viel Erfahrung in Krisenherden rund um die Welt sammeln können. Und ich habe immer wieder feststellen können: Es ist die Zusammenarbeit mit Partnern, die zum Erfolg führt, sofern man in diesen schwierigen Zusammenhängen von Erfolg sprechen kann. Ein Alleingang wird für die Türkei, aber auch die USA nicht funktionieren.

Aber ist in Ankara oder in Washington aktuell das Bewusstsein für ein gemeinsames Handeln noch vorhanden?

Die USA sind wie die Türkei ein großes Land. Die Verengung auf eine handelnde Person, also hier den Präsidenten, ist problematisch.

Aber Donald Trump gibt in den USA nun einmal den Ton an.

Ja, das tut er. Ein Problem für uns ist, dass er in seiner Weltsicht nicht viel Wert legt auf multilaterale Institutionen und Zusammenarbeit. Aber ich habe erst in der vergangenen Woche zahlreiche Gespräche in den USA geführt. Und dort kommen viele zu ganz anderen Schlüssen als ihr Präsident. Deshalb sollten wir die Hoffnung nicht aufgeben, dass auch Trump fähig ist, aus guten Beispielen zu lernen.

Funktionieren denn auf Arbeitsebene im Austausch mit den Amerikanern die Dinge besser?

Ich habe viele Jahre lang sehr eng mit den Amerikanern zu Irak und Syrien und im Kampf gegen den IS zusammengearbeitet. Auch in den USA fällt es vielen schwer, den sprunghaften Änderungen der politischen Linie, die Trump noch dazu meist über Twitter verkündet, zu folgen. Da sind wir in einer Art Betroffenheitsgemeinschaft. Aber auch auf amerikanischer Seite wird versucht, die Zusammenarbeit zu retten.

Wir erleben den Aufstieg Chinas als Militärmacht. Wir sehen, wie Russland entschlossener und auch aggressiver seine geostrategischen Interessen durchzusetzen versucht. Ist die westliche Sicherheitsarchitektur in Auflösung?

Man muss nicht gleich von Auflösung sprechen, aber es werden Gewichte neu austariert. Der große Staat, der die liberale Weltordnung nach dem Zweiten Weltkrieg entscheidend geformt hat, die USA, zieht sich als Garant dieser Ordnung Schritt für Schritt zurück. Sie hinterlassen damit Lücken, die von anderen gefüllt werden. Man sieht, wie Russland in Syrien gemeinsam mit der Türkei und mit der Führung in Damaskus eine immer stärkere Rolle übernommen hat. Man sieht auch, wie China etwa mit der Seidenstraßen-Initiative in Bereiche vorstößt, die von den USA weniger als bisher für eigene Interessen in Anspruch genommen werden.

Bereitet Ihnen diese Entwicklung Sorge?

Man muss das zunächst nüchtern analysieren. Und Deutschland muss sich fragen, wie es damit umgeht. Die Hauptantwort, die jetzt immer wieder gegeben wird, lautet: Europa muss stärker werden. Ich halte die Antwort grundsätzlich für richtig. Aber das Problem ist, dass europäische sicherheitspolitische Rhetorik und Realität doch weit auseinanderklaffen. Mit anderen Worten: Europa ist nicht so stark wie es sein müsste, um diese Rolle zu spielen.

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Woran fehlt es auf europäischer Seite?

Es sind in den vergangenen Jahren durchaus einige Dinge vorangetrieben worden. Zum einen wurde die politische Handlungsfähigkeit im Bereich der Verteidigung durch die sogenannte Ständige Strukturierte Zusammenarbeit, kurz Pesco, gestärkt. Das andere ist der Versuch, Waffensysteme zu standardisieren, damit wir für das viele Geld, das in Europa ausgegeben wird, funktionstüchtige Fahrzeuge, Flugzeuge und Schiffe bekommen, die gemeinsam eingesetzt werden können. Das ist gut und wichtig. Aber das alles braucht Zeit. Demgegenüber verändern sich die politischen Realitäten in der Welt sehr schnell. Damit Schritt zu halten, fällt der EU nicht leicht.

Warum?

Das Engagement ist ja vorhanden, gerade in Deutschland aber auch in anderen Ländern. Allerdings fehlt das Gefühl für die aktuelle Bedrohung der europäischen Position in der Welt. Ich denke, dass uns Macron mit seiner drastischen Äußerung genau das sagen wollte. Nach dem Motto: Passt auf, sonst ist Europa bald weg vom Tisch derer, die mitbestimmen, wo es lang geht in der Welt.

Fehlt es auch in Deutschland an Bewusstsein für die Bedrohung, von der Sie sprechen?

Unsere Politik zielt in die richtige Richtung. Wenn wir nicht so schnell vorwärts kommen, wie wir uns das vorstellen, dann liegt das nicht nur an Deutschland. Wichtig ist, dass sich zumindest einige Staaten in Europa zusammentun, die weiter gehen wollen und die entschlossen sind. Da muss man in erster Linie an Deutschland und Frankreich denken, zusammen mit kleineren und mittleren Staaten. Ich bin überzeugt davon, dass wir uns nicht so weit zurückfallen lassen dürfen, nur weil wir alles einstimmig beschließen müssen, dass wir am Ende ein kaum handlungsfähiges Europa haben. Das ist ein zu großes Risiko.

Vergangene Woche haben die USA angekündigt, ihren Anteil am Gemeinschaftsbudget der Nato von etwa zwei Milliarden Euro deutlich zu senken. Deutschland wird seinen Anteil dafür erhöhen und ab 2021 ebenso viel in den Topf einzahlen wie die USA. Wie wird die Rolle Deutschlands in der Nato in Zukunft aussehen?

Dieser Schritt ist ein politisch-symbolischer, der zeigen soll, dass Deutschland bereit ist, mehr Gewicht in der Nato zu tragen. Er war auch wichtig vor dem Hintergrund der Diskussion über die Verteidigungsausgaben und das Zwei-Prozent-Ziel. Aber diese Diskussion ist ohnehin zu eng. Sicherheit ist ein komplexes Produkt und Bedarf des Blicks aus verschiedenen Perspektiven. Wenn man mal auf den Output schaut, dann ist es beachtlich, was Deutschland etwa zur Rückversicherung unseres Partners Litauen aktuell leistet.

Also müssen wir gar nicht tiefer in die Tasche greifen?

Es bleibt richtig, dass Deutschland mehr für seine Verteidigung ausgibt. Im Übrigen tut es das auch. 2014 betrugen die Ausgaben 35 Milliarden Euro, 2019 etwa 47 Milliarden. Das ist ein Plus von einem Drittel innerhalb von fünf Jahren. Das sind noch keine zwei Prozent, aber es zeigt: Die Message, dass es notwendig ist, mehr auszugeben, ist angekommen. Wir sollten dabei auch nicht vergessen, was Deutschland im nichtmilitärischen Bereich überall in der Welt für Sicherheit und Stabilität leistet, von der Entwicklungspolitik bis hin zu Stabilisierungsoperationen.

Sie haben die Leistungen Deutschlands und der Europäer erwähnt. Glauben Sie, dass diese ausreichen würden, um etwa im Baltikum einer russischen Aggression zu begegnen, wenn die USA keinen Schutz mehr gewähren wollen?

Die Nato hat ja gerade im Baltikum sowie in Polen in den letzten Jahren ihre Präsenz erfolgreich erhöht. Das ist eine begrenzte und zugleich entschlossene Maßnahme, die Wirkung zeigt. Vertreter aus diesen drei Staaten werden Ihnen sagen, dass die Sicherheitslage ihrer Länder dadurch deutlich verbessert worden ist.

Wie wird sich das Bündnis Nato weiterentwickeln müssen?

Noch einmal: Das Bündnis Nato war in den 70 Jahren seines Bestehens erfolgreich. Bevor man etwas über Bord wirft, auch nur rhetorisch, sollte man sich immer bewusst sein, was bis heute erreicht wurde. Ich sehe jeden Anlass, dass wir die Nato nach wie vor brauchen. Aber wir brauchen eine Nato, die im Innern lebendig ist! Das setzt einen echten Dialog zwischen den Mitgliedstaaten voraus, und zwar nicht erst nachdem wichtige Entscheidungen getroffen wurden. Ich glaube, dass die europäischen Stimmen in der Nato in Zukunft deutlicher, präziser und besser abgestimmt werden müssen. Die Floskel vom europäischen Pfeiler der Nato muss durch mehr Anstrengungen mit Inhalt und Substanz gefüllt werden. Nur so kann daraus eine Stimme von Gewicht entstehen.

Herr Brose, vielen Dank für das Gespräch.

Verwendete Quellen
  • Telefonisches Interview mit Ekkehard Brose
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