Debatte um Wiedereinführung "Die Wehrpflicht wird den Herausforderungen nicht gerecht"
Regierungsmitglieder befeuern die Debatte um die 2011 ausgesetzte Wehrpflicht. Vor einer möglichen Wiedereinführung müsse jedoch einiges passieren.
Angesichts des andauernden Ukraine-Kriegs flammt die Diskussion um eine mögliche Wiedereinführung der Wehrpflicht wieder auf. So schließt die FDP-Politikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann den verpflichtenden Dienst nicht aus. "Grundsätzlich gilt das Ende der Dienstpflicht ausschließlich in Friedenszeiten. Im Spannungs- oder Verteidigungsfall kann sie wieder aktiviert werden", sagte die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses der "Süddeutschen Zeitung" am Dienstag.
Noch vor einem Jahr sei sie strikt dagegen gewesen. Mittlerweile findet Strack-Zimmermann: "Ein einfaches Ja oder Nein ist zu kurz gesprungen". Angesichts des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine und der veränderten sicherheitspolitischen Lage für ganz Europa könne man die Aussetzung der Wehrpflicht bedauern, sagte sie.
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Grünen-Politiker Anton Hofreiter widerspricht der Koalitionskollegin Strack-Zimmermann. "Die Wehrpflicht wird den Herausforderungen, vor denen eine moderne Armee steht, nicht gerecht", sagte er t-online. "Nicht zuletzt aufgrund der Komplexität der Waffensysteme halte ich die Wiedereinführung der Wehrpflicht für wenig hilfreich." Und es gebe ohnehin bereits einen freiwilligen Wehrdienst.
SPD-Verteidigungspolitiker für Wiedereinführung
Vergangene Woche hatte der neue Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) die Aussetzung der Wehrpflicht durch die schwarz-gelbe Bundesregierung als Fehler bezeichnet und sich offen für eine Debatte gezeigt. Sein Parteikollege und Verteidigungspolitiker Johannes Arlt positioniert sich deutlich dafür. "Die Wiederaktivierung der Wehrpflicht halte ich für sinnvoll", sagte er t-online. "Ich plädiere allerdings für einen Allgemeinen Gemeinschaftsdienst für Männer und Frauen, der zwölf Monate dauern könnte."
Den Vorstellung des SPD-Politikers zufolge müsste dieser Gemeinschaftsdienst "eine breite Wahl von Dienstmöglichkeiten von Entwicklungszusammenarbeit über das Gesundheitssystem bis hin zum Dienst in den Streitkräften beinhalten". Arlt glaubt, dass ein solcher Dienst zu verbesserter Integration und gesellschaftlichem Zusammenhalt beitragen werde. Der gesellschaftliche Nutzen könne die Kosten wesentlich überwiegen.
Strack-Zimmermann: Bundeswehr muss einiges ändern
Die FDP-Verteidigungspolitikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann sieht im Fall einer Rückkehr zum Wehrdienst weitreichende Folgen für Wirtschaft und Gesellschaft. Die öffentliche Diskussion um diese Frage verlaufe "teilweise nicht seriös", sagte sie am Dienstag der Deutschen Presse-Agentur. Die Verschärfung des Fachkräftemangels sei dabei nur ein Punkt.
Vor einer Wiedereinführung müsse sich in der Bundeswehr einiges ändern. Kasernen müssten neu gebaut oder erweitert werden, es brauche mehr Ausbilder und militärische Ausrüstung. Zudem müsse die Wehrpflicht auch für Frauen gelten und auf zwölf Monate ausgeweitet werden. Der Haken: Das Ganze würde nicht nur sehr viel Zeit kosten, "sondern auch zweistellige Milliardenbeträge, um das System wieder in Gang zu setzen", sagte Strack-Zimmermann.
"Früher saßen eben an jedem zweiten Küchentisch Wehrpflichtige"
Verteidigungsminister Pistorius sagte, er bedauere die Aussetzung der Wehrpflicht gar nicht wegen der heutigen Situation. "Früher saßen eben an jedem zweiten Küchentisch Wehrpflichtige. Auch dadurch gab es immer eine Verbindung zur Zivilgesellschaft." Aber das lasse sich nicht einfach so zurückholen. Jetzt müsse man die Bundeswehr so attraktiv machen, dass sich gute junge Leute für sie interessieren und sich bewerben.
Zugleich habe er ein Problem damit, jüngeren Generationen jetzt eine Pflicht aufzubürden, sagte Pistorius. "Deswegen bin ich zurückhaltend. Aber man sollte mit denen offen darüber diskutieren, die es betrifft, da wir gerade eine Entfremdung zwischen Teilen der Gesellschaft und dem Staat wahrnehmen", ergänzte er unter Verweis auf Angriffe gegen Feuerwehrleute und Polizisten.
Linke kritisiert Diskussion
Unterdessen sprach sich der Reservistenverband für eine Wiedereinführung der Wehrpflicht aus. "Die Bundesrepublik Deutschland ist nicht zu verteidigen, wenn es denn müsste, wenn wir keine Wehrpflicht haben", sagte der Verbandspräsident Patrick Sensburg dem TV-Sender Welt. Rund 200.000 Soldaten und 100.000 Reservisten reichten für den Ernstfall nicht aus.
Die Linke kritisierte derweil die Diskussionen um die Wehrpflicht. "Es vergeht kein Tag, an dem sich nicht irgendein Vertreter von SPD, FDP, Grünen oder Union findet, der mit einem neuen Eskalationsvorschlag um die Ecke kommt: Panzerlieferungen, Kampfjets, jetzt die Wiedereinführung der Wehrpflicht", sagte der Erste Parlamentarische Geschäftsführer der Linke-Fraktion, Jan Korte. Die Wehrpflicht auszusetzen, sei kein Fehler gewesen, sondern ein zivilisatorischer Fortschritt.
- Nachrichtenagentur dpa
- Anfragen an Anton Hofreiter und Johannes Arlt am 31. Januar 2023