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Christian Lindner gegen Robert Habeck: Die Rivalität der Schattenkanzler


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Lindner und Habeck
Es flogen die Fetzen


Aktualisiert am 12.07.2022Lesedauer: 7 Min.
Christian Lindner und Robert Habeck: Zwei Männer drängen nach vorn – und belasten die Ampel.Vergrößern des Bildes
Christian Lindner und Robert Habeck: Zwei Männer drängen nach vorn – und belasten die Ampel. (Quelle: imago-images-bilder)

Robert Habeck und Christian Lindner müssen Deutschland gemeinsam durch die Krise führen. Doch ihre Rivalität kommt ihnen immer wieder dazwischen.

Im Oktober 2018 trug sich eine Szene zu, an die mancher in der Ampelkoalition jetzt zurückdenkt. In einer "Anne Will"-Sendung unterhielten sich damals Christian Lindner und Robert Habeck. Es flogen, um es vorsichtig auszudrücken, die Fetzen.

"Ihr seid Klima-Nationalisten", schleuderte Lindner damals Habeck entgegen. Habeck fragte später: "Bin ich taub?" Lindner antwortete ironisch: "Vielleicht hast du eine interessengeleitete Erinnerung – das ist etwas anderes als Taubheit." Der FDP-Chef deutete ins Plenum und setzte nach: "Da oben sind deine drei Fans." Es ging ruppig hin und her. Nur einer schaute ruhig zu: Olaf Scholz, der damals ebenfalls im Studio saß.

Habeck und Lindner waren zu dieser Zeit mit ihren Parteien noch in der Opposition, Scholz war Finanzminister der Großen Koalition. Der Grund, warum die Szene nun durchs politische Berlin geistert, ist: Plötzlich benehmen sich Habeck und Lindner wieder ähnlich. Zwar nicht in der gleichen Tonlage wie damals, doch die Reibereien nehmen zu. Und jetzt sitzen beide in der Regierung, Habeck als Wirtschaftsminister und Lindner als Finanzminister.

Das ist schon deshalb bemerkenswert, weil die Ampel als "Fortschrittskoalition" gestartet war. Alles sollte harmonisch sein, alles anders werden nach den Reibereien der Großen Koalition. Gekrönt wurde dieser Anspruch von einem weichgezeichneten Selfie der Grünen-Spitze mit den Verhandlungsführern der FDP in den Sondierungen. Doch ein halbes Jahr nach Regierungsantritt ist von der Harmonie wenig übrig geblieben.

Zwei Modelle von Politik

Die aktuelle Streitlust der Ampel findet ihre Zuspitzung gewissermaßen im Konflikt zwischen Robert Habeck und Christian Lindner. Habeck als Wirtschaftsminister und Vizekanzler hat eine grundsätzlich andere Vorstellung von Politik als sein liberaler Kabinettskollege. Lindner wiederum pflegt nicht nur einen anderen Stil als der Grüne, sondern verfolgt auch völlig andere Ziele.

Es ist ein Kampf um die grundsätzliche Ausrichtung der Koalition: auf der einen Seite die Vorstellung von einem starken Staat und einer tiefgreifenden Regulierung der Wirtschaft – und auf der anderen Seite der Anspruch des schlanken Staates und mehr Macht für die Wirtschaft.

Die Rivalität der beiden Modelle von Politik wird zunehmend zur Belastung für die Ampelregierung. Olaf Scholz kann nun, anders als in der "Anne Will"-Sendung vor dreieinhalb Jahren, nicht mehr nur schweigend danebensitzen. Er muss moderieren, den Ausgleich zwischen seinen beiden Schattenkanzlern suchen. Und das wird immer schwerer. Intern überlegt mancher, ob die Koalition langfristig an den Reibereien zerbrechen könnte.

Schon Anfang Mai zeigte sich auf öffentlicher Bühne, dass es mit der Selfie-Harmonie in der Ampelkoalition nun vorläufig vorbei ist. Nach einer Koalitionsklausur im idyllischen Schloss Meseberg, von der sich viele ein Zusammenrücken erhofft hatten, widersprachen sich Habeck und Lindner ganz öffentlich. Und vielsagend.

Wirtschaftsminister Habeck, keine Krawatte und windschiefe Frisur, erklärte auf der Pressekonferenz vor dem Schloss, warum "die Abschöpfung von Übergewinnen" bei Ölkonzernen in dieser Krise für ihn noch "immer ein wichtiges Thema" sei und deshalb "noch auf der Agenda". Die Botschaft: Jetzt geht's den Ölkonzernen an den Kragen.

Lindner hingegen, mit Krawatte und windfester Frisur, widersprach nicht nur, sondern stellte auch klar, wer das Sagen hat: "Als für die Steuergesetzgebung zuständiger Finanzminister", betonte er, "möchte ich vor einer sogenannten Übergewinnsteuer warnen." Die Botschaft: Den Kragen der Ölkonzerne und der freien Märkte beschützt der Finanzminister persönlich. Liebe Grüße an den Robert.

Jeder erzählt für sich allein

Es war ein Vorgeschmack auf das, was nach den Landtagswahlen in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen die neue Strategie der FDP werden sollte. Eine Strategie, die den Grünen zunehmend Sorgen bereitet.

Die Klage darüber, die man dort derzeit auf allen Ebenen in Hintergrundgesprächen anstimmt, lässt sich in etwa so zusammenfassen: Eine bei den Wahlen abgestrafte und auch bundesweit schwache Partei kämpfe ums politische Überleben – und versuche sich nun nicht nur gegen die Ampelpartner zu profilieren, sondern im Zweifel auch auf deren Kosten.

Statt wie vereinbart an einer "gemeinsamen Erzählung" der Ampel zu arbeiten, um sie zum Erfolg für alle Partner zu machen, erzähle die FDP nun vor allem für sich allein. Gemeinsame Selfies – das war einmal.

Wie soll das nur weitergehen?

Dabei gibt es offenbar gerade zwei Sorten von Streit: den, der in der Öffentlichkeit größer wirkt, als er intern wirklich ist. Und den, der intern gewaltig ist, von dem aber kaum etwas nach außen dringt. Das Problem: Beide können für die Koalition gefährlich werden.

Ein Streit fürs Schaufenster, der öffentlich groß und intern eher klein ist, war der ums Verbrenner-Aus für Autos. Trotz öffentlichen Widerspruchs noch am Tag des EU-Gipfels wurde am Ende einfach die Formulierung beschlossen, die in der Ampel schon vorher abgesprochen war. Viel Wind um nichts.

Auch bei der Atomkraft akzeptiere Christian Lindner intern das Nein des grünen Koalitionspartners, während er die Debatte öffentlich immer wieder befeuere, schildern Grüne. Es wirkt, als würde Lindner nach außen hin das Theater des widerborstigen Liberalen aufführen und hinter verschlossenen Türen teilweise aber sehr kompromissbereit sein. Der Finanzminister als Streit-Schauspieler.

Von der Öffentlichkeit eher unbemerkt zofften sich Grüne und FDP zuletzt hingegen beim Energiepaket, das vergangene Woche beschlossen wurde. Nächtelang soll es heftige Diskussionen gegeben haben. Und die FDP habe besonders bei der Windkraft die Verbindlichkeit für die Bundesländer verwässern wollen – letztlich ohne Erfolg. So jedenfalls stellen es Grüne dar.

Und weil die Liberalen beim Energiepaket angeblich mehrmals schon erzielte Kompromisse wieder neu diskutieren wollten, zweifelt mancher Grüne nun hinter vorgehaltener Hand, wie man so auf Dauer eigentlich erfolgreich zusammenarbeiten wolle.

Zwei grundverschiedene Typen

Es sind die Risse in der Ampelharmonie, die nun für alle erkennbar werden. Sie offenbaren, was für grundverschiedene Ansichten die beiden Spitzenpolitiker Habeck und Lindner haben. Und auch, was für grundverschiedene Typen sie sind.

Habeck hat, das versichern Ampelpolitiker aus allen Parteien, den schwierigsten Job in der Krise. Er muss den Deutschen erklären, warum sie vielleicht im Winter ihre Heizung runterdrehen müssen, er muss Gründe für die extremen Preissteigerungen finden – und vor allem soll er die Krise möglichst effektiv bekämpfen. Sogar in der FDP raunt mancher: Mit dem will man nicht tauschen.

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Robert Habeck nimmt bei Terminen mit Journalisten schon mal in Kauf, seine löchrigen Socken zu präsentieren. Ein Kommunikationsgenie nennen ihn seine Fans in der eigenen Partei mittlerweile, darunter machen sie es nicht mehr. Um Energiekrise und Preissteigerungen zu erklären, lässt er sich von seinem Social-Media-Team filmen. Die kleinen Clips wirken wie mit dem Handy gedreht, Kommunikation auf Augenhöhe, das ist die Idee.

Mit sonorer Stimme stellt Habeck dabei seinen Zweifel zur Schau. Wenn er beispielsweise gerade in der Golfregion unterwegs ist, um mit Politikern, die sich im Zweifel nicht um Menschenrechte scheren, einen Gasdeal abzuschließen. Der Tenor: Es ist moralisch nicht einwandfrei, aber wir müssen da jetzt leider durch.

Die Strategie dahinter geht so: lieber die eigene Zerrissenheit zeigen, als von einem hohen Berg eine vermeintliche Allwissenheit präsentieren. Habeck, so glaubt mancher in der Ampel, will den Menschen in einer Weltkrise nicht permanent mit Antworten kommen, sondern lieber eine Frage mehr stellen. Es ist eine Art Politik zum Mitzweifeln. Dahinter steckt natürlich kühle Machttaktik. Habeck glaubt, dass er so viele Deutsche überzeugen kann. Viele Wähler.

Gegenmodell Lindner

Christian Lindner ist, wenn man so will, das diametrale Gegenmodell. Ihm würden abwägende Selfie-Filmchen im Traum nicht einfallen. Seine Social-Media-Kanäle bespielt in der Regel sein Team und wenn er sich doch mal selbst äußert, sind seine Posts klare Botschaften. "Wir werden unser Land moderner, digitaler und nachhaltiger machen" oder "Die Abschaffung der EEG-Umlage ist schon lange eines unserer liberalen Anliegen gewesen", heißt es da beispielsweise auf Instagram.

Wo Robert Habeck versucht, mit Fragen zu punkten, will Christian Lindner klare Antworten geben. Die FDP ist unter gewaltigem Druck, die drei letzten Landtagswahlen im Saarland, in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen liefen miserabel für die Liberalen. Die Antwort von Lindner darauf ist: Wir stehen für unsere Überzeugungen – und zweifeln nicht an ihnen. Krise hin, Krise her.

Eine solche Überzeugung ist beispielsweise die Einhaltung der Schuldenbremse, also dass die Nettokreditaufnahme des Staates begrenzt wird. Lindner betont seit Wochen und Monaten in diversen Interviews, daran sei nicht zu rütteln für den kommenden Bundeshaushalt. Ähnlich sieht es in der Corona-Politik aus, wo die FDP darauf drängt, die Einschränkungen im Herbst nicht zu sehr auszuweiten. Das war fast seit Beginn der Pandemie die Linie der Liberalen und sie soll es bleiben.

Der 9. Oktober gilt in der FDP derzeit als magische Marke, bis dahin soll die Politik der Überzeugungen auf jeden Fall beibehalten werden. Selbst wenn Putin in wenigen Tagen beschließen sollte, dass auch dauerhaft kein russisches Gas mehr nach Deutschland fließt.

Denn am 9. Oktober wird in Niedersachen ein neuer Landtag gewählt. Und es soll für die FDP nicht die vierte Klatsche in Folge in einem Bundesland sein. Bis zu diesem Zeitpunkt lässt die FDP es darauf ankommen. Wenn ein zusätzlicher Krach in der Koalition sein muss, werde man den schon mitnehmen, wenn er der eigenen Profilierung dient, sagt mancher in Hintergrundgesprächen.

Dann war's der Robert

Bei den Grünen registrieren sie sehr genau, dass die Angriffe gegen Habeck härter werden. Viele sind sich sicher, dass nicht nur die Union, sondern auch die FDP öffentlich deshalb so gern über die Laufzeitverlängerung der Atomkraftwerke diskutiert, damit sie am Ende fein raus sind, wenn das Gas im Winter tatsächlich nicht mehr reicht. Um gewissermaßen die Schuldfrage schon mal zu klären: Wenn's schiefgeht, dann war's der Robert.

Noch schaden die vielen Krisen den Grünen nicht, ebenso wenig der Umstand, dass sie lang gepflegte Überzeugungen zumindest zeitweise über Bord werfen müssen. Im Gegenteil: Anders als die FDP gewinnen sie bei Landtagswahlen und in den Umfragen sogar dazu. Habecks Fans sagen: gerade wegen Robert und seines Versuchs, die Widersprüche zwischen Wunsch und Wirklichkeit der grünen Politik mit Instagram-Videos aufzulösen.

Doch reicht das im Ernstfall aus als grüne Strategie für den Herbst? Wenn mit den Preisen auch die Wut auf die Bundesregierung weiter steigt? Da sind sich nicht alle ganz so sicher. Auch Habeck selbst nicht. Erst kürzlich sagte er, er rechne mit heftigen Debatten, "auch über mein Ministerium, über meine Person".

Diese Debatten stößt Lindner schon jetzt indirekt an und seine Parteifreunde setzen auf ihren Chef. Er soll es richten, bloß nicht die Angriffe auf Habeck einstellen, heißt es intern. Innerhalb der Grünen hofft mancher, dass sich alle über die Sommerpause etwas beruhigen. In Wahrheit dürfte es von der Dramatik der Krise abhängen, ob die beiden Kontrahenten sich aufeinander zubewegen. Oder ob die Linie der FDP, "das bisschen Streit halten wir schon aus", weiter gilt.

Verwendete Quellen
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