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Zum journalistischen Leitbild von t-online.FDP-Politikerin Strack-Zimmermann Frau Großkaliber
Niemand in der Ampelkoalition tritt so forsch auf wie Marie-Agnes Strack-Zimmermann. Sie treibt sogar den Kanzler vor sich her. Unterwegs mit einer Grenzgängerin.
Wer mit Marie-Agnes Strack-Zimmermann durch Düsseldorf spaziert, könnte glauben, mit einem politischen Popstar unterwegs zu sein. Alle paar Minuten schallt es ihr im rheinischen Dialekt entgegen: "Frau Strack-Zimmermann, gut, dass es Leute wie Sie gibt!", "Frau Strack-Zimmermann, lösen Sie den Lindner ab!", "Frau Strack-Zimmermann, werden Sie doch Bundespräsidentin!"
Strack-Zimmermann grüßt freundlich zurück, grinst und sagt dann: "Dass hier kein falscher Eindruck entsteht, ich habe keine Fans gebucht. Das kommt vermutlich durch die Bandbreite der unterschiedlichen TV-Sendungen: Mal 'Tagesschau', mal 'heute-show'. Irgendwann kennen einen viele Menschen."
Marie-Agnes Strack-Zimmermann, schneeweiße Haare, 64 Jahre alt, macht seit über 18 Jahren Politik. Zunächst in ihrer Heimatstadt Düsseldorf als Stellvertreterin des Oberbürgermeisters, im Jahr 2017 wurde sie in den Bundestag gewählt. Im Herbst 2021 trat die FDP in die Ampelregierung ein, sie wurde Vorsitzende des Verteidigungsausschusses. Politische Insider kannten sie, aber sonst?
So läuft das oft: Mit einer Metapher Schlagzeilen machen
Dann kam der Ukraine-Krieg. Und plötzlich ist Marie-Agnes Strack-Zimmermann berühmt. Als Außenministerin Annalena Baerbock und SPD-Chefin Saskia Esken kürzlich bei "Anne Will" die langen Linien der Krise erläuterten, saß bei ihnen nicht FDP-Chef Christian Lindner. Sondern Strack-Zimmermann.
Sie ist auch deshalb so bekannt, weil sie nicht wie andere Politiker spricht. Wo Innenministerin Nancy Faeser noch erklärte: "Es ist Putins Angriffskrieg", sagte sie bereits: "Das ist Massenmord". Als Berlins Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey die Bundeswehr um Hilfe bat, weil die Hauptstadt mit den ukrainischen Flüchtlingen überfordert schien, bezeichnete Strack-Zimmermann das als "Gemütlichkeit". Und als Olaf Scholz verkündete, niemand dürfe bei der Lieferung von Waffen "vorpreschen", da sagte sie über den Kanzler: "Ich würde ja gerne auf Granit beißen. Aber es ist ja mehr Watte, in die man beißt." Das Zitat verbreitete sich rasend schnell.
So läuft das oft bei ihr: Eine griffige Metapher wählen, sich vor die Fernsehkameras stellen und damit Schlagzeilen machen. Es ist eine Art Autoscooter-Politikstil, bei dem es regelmäßig kracht und scheppert. Strack-Zimmermann findet das gut so. Sie ist damit nicht nur das Gegenmodell zu all den Politikern, die vielleicht mal Ecken und Kanten hatten, aber jetzt jede scharfe Formulierung vermeiden. Sondern sie ist in diesen Zeiten vor allem das Gegenmodell zu Olaf Scholz, der wie seine Vorgängerin Angela Merkel ein Freund der Worthülsen ist.
Die Beliebtheit des Kanzlers hat im Ukraine-Krieg nachgelassen, Strack-Zimmermann wird dagegen immer populärer. Das sagt etwas darüber aus, wie groß das Bedürfnis nach klarer Kommunikation gerade in Krisenzeiten ist. Und wie sich dadurch die Art verändert, wie Politik gemacht wird.
"Wir Deutschen sind kein tiefenentspanntes Volk"
An einem Montagmorgen im Mai steigt Strack-Zimmermann in ein Düsseldorfer Taxi. Am Revers ihres Sakkos glitzert eine kleine Ukraine-Flagge, sie muss zu einer Schule für eine Diskussion mit Jugendlichen. Das Taxi fährt los, draußen fliegt die Stadt vorbei, ihr Blick schweift aus dem Fenster. Sofort ist Strack-Zimmermann bei den großen Themen, den Umwälzungen der Zeit. Nachdenklich sagt sie: "Putin hat diese ganze Welt angezündet." Sie glaubt nicht, dass die aktuelle Krise bald vorbei sein wird. Im Gegenteil.
Vor anderthalb Jahren, in der Pandemie, sagte sie mal, dass die freiheitsliebende FDP es schwer habe, weil die Deutschen eben Regeln und Ansagen von der Regierung lieben würden. Und jetzt? "Heute ist das ganz ähnlich", sagt sie und rückt das Sakko zurecht, "dieses Mal ist es aber nicht Corona, sondern der Krieg. Aber wieder geht es um die Freiheit. Wir Deutschen sind kein tiefenentspanntes Volk, obwohl wir es sein könnten." Manche in der Bundesrepublik hätten wenig Lust, sich mit dem Krieg auseinanderzusetzen, glaubt sie. Nicht alle hätten Interesse an Sicherheitspolitik: "Viele von uns sind weich geworden, weil wir auch bequem geworden sind."
Je schlechter es für Lambrecht läuft, desto besser für sie
In der FDP herrscht eine Art unausgesprochene Rollenaufteilung. Die Regierungsmitglieder um den Parteichef und Finanzminister Christian Lindner halten die Füße still, um den Frieden in der Ampel nicht zu gefährden. Dafür können Liberale wie Strack-Zimmermann umso deutlicher auftreten. Sie ist zwar Chefin des Verteidigungsausschusses, doch sie ist nicht in die Kabinettsdisziplin eingebunden. So kann sie für sich mehr Freiheit in Anspruch nehmen. Und je schwächer ein Thema in der Ministerriege vertreten ist, desto größer sind die Chancen für die eigene Profilierung. Dass die Verteidigungsministerin Christine Lambrecht sogar bei manchen in der SPD als Totalausfall gilt, kann Strack-Zimmermann nur recht sein.
Sie ist nun an der Schule angekommen, steigt aus dem Taxi und geht geradewegs über den Schulhof. Die Teenager drängen herein, kichernd, Strack-Zimmermann legt los: "Seid ihr gut drauf? Wehe, hier schläft einer ein." Sie lehnt sich an einen Stehtisch und erzählt, wie sie der Ukraine-Krieg überrascht habe, spricht über die Inflation und den Klimawandel.
Ein Schüler will wissen, weshalb sie so sicher sei, dass Putin nicht auch Deutschland bombardieren werde. Wie erklärt man einem Heranwachsenden die Konsequenz eines Atomkriegs? "Weil er nicht bescheuert ist", sagt sie. Vorsichtig schiebt sie nach: "Und ich hoffe natürlich, dass ich recht habe."
Strack-Zimmermann weiß, wie gefährlich die Lage ist. Seit Monaten drängt sie darauf, dass Deutschland auch schwere Waffen an die Ukraine liefern müsse. Nur so, glaubt sie, lasse sich eine Ausweitung des Konflikts verhindern. Und dass Deutschland jetzt doch Waffen liefern will, das liegt auch an ihr. Es war ihr größter politischer Erfolg in den vergangenen Monaten.
Plötzlich stellte sie die Autorität des Kanzlers infrage
Alles begann damit, dass sie Mitte April gemeinsam mit dem Chef des Auswärtigen Ausschusses, Michael Roth, und dem Vorsitzenden des Europaausschusses, Anton Hofreiter, in die Ukraine fuhr. Damals waren solche Reisen unter westlichen Politikern noch die Ausnahme, die mediale Aufmerksamkeit war entsprechend groß. Strack-Zimmermann forderte damals: Waffenlieferungen, jetzt.
Es geschah nichts. Also stellte sie sich mal wieder vor eine Fernsehkamera. Dem ZDF sagte sie über die neue Rolle Deutschlands, die Kanzler Scholz prägen sollte: "Für die, die diese Rolle nicht annehmen wollen, sage ich: Dann sitzen sie womöglicherweise im falschen Moment am falschen Platz." Es war politisches Harakiri: Sie stellte die Autorität des Kanzlers infrage – als Mitglied der Regierungskoalition. An so etwas kann schnell mal die eigene Karriere zerschellen. Doch es passierte: wieder nichts. Kein Schaden für Strack-Zimmermann, aber auch keine Waffenlieferungen.
Also machte sie weiter, bat den Kanzler zu sich in den Verteidigungsausschuss. In einem Brief schrieb sie an Scholz, sie "erlaube sich", den Kanzler "herzlich" einzuladen. Schnell wurde die Einladung publik, das ganze Land sprach mittlerweile über den zaudernden Scholz. Gleichzeitig war da diese Ausschusschefin, die nicht lockerließ und den Kanzler mehr oder weniger vorlud. Und plötzlich verkündete Scholz: Die Waffen werden nun geliefert. Sein Auftritt vom dem Verteidigungsausschuss war dann eher eine Formsache, Strack-Zimmermann hatte ihr Ziel erreicht.
Am Dienstag wurde nun bekannt: Einige Panzerhaubitzen 2000 sind in der Ukraine eingetroffen, die ersten schweren Waffen aus Deutschland sind da. Strack-Zimmermann fordert jetzt, man müsse "den Schützenpanzer Marder zur Unterstützung direkt an die Ukraine liefern." Und sie findet: "Deutschland darf sich nicht hinter den Nato- und europäischen Partnern verstecken, sondern sollte mit gutem Beispiel endlich vorangehen." Eigentlich glaubt sie schon, dass noch mehr Waffen geliefert werden. Aber sicher ist sicher.
Natürlich hat nicht sie allein den Kanzler überzeugt. Doch sie sorgte mit dafür, dass er im öffentlichen Fokus stand, sodass Scholz am Ende nachgab. Ihre rhetorischen Treffer sind deshalb mehr als knackige Sprüche. Sie schaffen Aufmerksamkeit, erhöhen den Druck, verändern die Politik.
"Was ist mit der Protagonistin gerade passiert?"
Ein lauer Frühsommertag in Berlin, ein paar Tage nach ihrem Auftritt an der Düsseldorfer Schule. An diesem Abend findet in der dänischen Botschaft eine exklusive Vorführung der Polit-Serie "Borgen" statt. Etwa 250 Menschen sind gekommen, anschließend soll es eine Podiumsdiskussion geben. Doch Strack-Zimmermann verspätet sich. Sie kennt also den Inhalt der eben vorgeführten Folge noch nicht. Die Moderatorin würde jetzt gern mit ihr und dem Macher der Serie über die Tücken des Politbetriebs sprechen. Strack-Zimmermann denkt nicht daran.
Stattdessen lehnt sie sich zurück und beginnt erst mal, den Filmemacher über seine eigene Serie auszufragen: "Was ist mit der Protagonistin gerade passiert? Angelt die sich wenigstens einen 20 Jahre jüngeren Mann?" Das Publikum johlt und applaudiert donnernd. Kurz könnte man glauben, bei einem Comedy-Abend gelandet zu sein.
In der Serie, erzählt der Produzent, gehe es auch um die Einsamkeit von Politikern. Strack-Zimmermann wird plötzlich ernst und sagt: "Das stimmt. Wissen Sie, als Berufspolitiker brauchen Sie Freunde, bei denen sie nach 30 Jahren einfach so an der Tür klingeln können." Der Tag habe oft 18 Stunden, ihr fehle die Zeit, Freundschaften intensiv zu pflegen. Sie sagt: "Es ist gefährlich, wenn man kein Privatleben mehr hat. Wenn man sich völlig in diesem Job verliert, dann ist man irgendwann ganz allein."
Die Moderatorin sagt dann noch, dass Strack-Zimmermann aktuell sehr erfolgreich sei. Und fragt, wie sie das finde. Die 64-Jährige antwortet: "Mit dem Erfolg ist es wie mit einer Tüte Chips. Wenn Sie die aufreißen und anfangen zu essen, hören Sie nicht auf, bis die Tüte leer ist." Und, räumt sie ein, sie sei sich bewusst, wie fragil ihre aktuelle Popularität sei. "Wichtig ist, dass man dann aufhört, wenn man sich selbst dazu entscheidet es zu tun. Und dass man nicht rausgeworfen wird." Ihr selbst soll das keineswegs passieren, so die Botschaft. Der Dialog ist ein Sammelsurium von ehrlichen Einblicken. Kurze, helle Schlaglichter auf einen Teil der politischen Bühne, der sonst im Dunkeln liegt.
"Wenn du ein paar knackige Sätze brauchst, ruf die Strack-Zimmermann an."
Strack-Zimmermann kam spät in die Politik. Sie studierte Publizistik, Politikwissenschaft und Germanistik, arbeitete lange für den Tessloff-Verlag, der die "Was ist was?"-Bücher herausgibt. Sie durchlief im Gegensatz zu vielen ihrer Bundestagskollegen nicht die sogenannte "Ochsentour", wo der politische Nachwuchs in den Jugendorganisationen gedrillt wird und das politische Geschäft lernt.
Wegen eines fehlenden Zebrastreifens vor einem Kindergarten engagierte sie sich in der Kommunalpolitik und fühlte sich bei der FDP wohl. Als sie 2008 Stellvertreterin des Düsseldorfer Oberbürgermeisters wurde, hieß es in den Lokalredaktionen der Zeitungen: "Wenn du ein paar knackige Sätze brauchst, ruf die Strack-Zimmermann an."
Und mit diesen knackigen Sätzen wurde Strack-Zimmermann regelrecht in die Bundespolitik katapultiert. Christian Lindner machte sie 2013 für etliche Jahre zu seiner Stellvertreterin als Parteichef, eine Klartext-Rhetorikerin kam für die am Boden liegende FDP gerade recht. Und Strack-Zimmermann behielt ihre geradlinige Ausdrucksweise bei. Sie reduzierte die Lautstärke nicht, im Gegenteil, sie machte einfach weiter.
Bekannt, beliebt – und doch keine Gewinnerin
Trotzdem ist die weißhaarige Politikerin heute nicht Ministerin. Warum? Zum einen müssen Politiker, so sehr sie im Zweifel sogar den Kanzler treiben können, Wahlen gewinnen. Das ist die Währung, in der gemessen wird. Und Strack-Zimmermann verlor letztes Jahr eine Wahl. Da wollte sie noch einmal in die Düsseldorfer Kommunalpolitik zurückkehren, dieses Mal als Oberbürgermeisterin, doch nur 12,5 Prozent machten in ihrer Heimat das Kreuz bei ihr. Sympathien sind am Ende eben noch längst keine Stimmen. Am Ende wollten die Düsseldorfer ihr die Stadt nicht anvertrauen, es war ein Rückschlag für die sonst so erfolgreiche Politikerin.
Dass Strack-Zimmermann nicht Ministerin wurde, liegt aber auch an der Machtarithmetik ihrer Partei. Seit Jahren macht sie Verteidigungspolitik, doch Lindner wollte das Ressort nicht für die FDP. Das Verteidigungsministerium galt als Schleudersitz, schon viele Minister hatten vergeblich versucht, das Bundeswehrchaos in den Griff zu bekommen. Angesichts der schlechten Erfahrungen, die die Liberalen beim Regieren zwischen 2009 und 2013 gemacht hatten, hieß es vor den Koalitionsverhandlungen für die Ampel: keine Experimente.
"Ich bin gut für den Volkssturm"
Nun ist die Rhetorik von Strack-Zimmermann an sich schon ein gewisses Experiment. Manchmal, wenn sie die "heute show" auflaufen lässt zum Beispiel. Die "heute show" ist für Politiker eine gefährliche Sendung. Oft sind die Witze schon vorbereitet, die Abgeordneten können sich dann nur noch ein Lächeln abringen, wenn sie daneben stehen müssen. Nur Strack-Zimmermann nicht. Einmal antwortete sie auf die Frage nach der Wehrpflicht: "Ich bin gut für den Volkssturm. Wenn nichts mehr reicht, kommen Frauen 60 plus. Und dann, Leute – vor allem Russen – passt auf, was Sache ist!" Das war lange vor dem Ukraine-Krieg. Würde sie heute nicht mehr so sagen, räumt sie ein.
Kann jemand wie sie trotzdem an den Kabinettstisch kommen? Strack-Zimmermann hat bereits angekündigt, in der nächsten Legislaturperiode erneut für den Bundestag zu kandidieren.
Und sie weiß natürlich: Nur mit Krawall geht es auch nicht. Ein Dienstag im Juni, Strack-Zimmermann sitzt in einem Hotel in Finnland und erzählt via Video-Konferenz, wie es ihr geht. Gerade hat sie anderthalb Tage mit den anderen Vorsitzenden der Verteidigungsausschüsse in den europäischen Parlamenten verhandelt. Es seien gute Gespräche gewesen, findet sie.
Ihre Jacke ist blau, der weiße Kragen gestärkt, die Hotellampen hinter ihr strahlen im gold-gelben Licht. Wie tritt sie dort eigentlich auf, wenn sie mit den andern Europäern verhandelt? "Gemäßigt", sagt Strack-Zimmermann und schaut in die Kamera ihres iPhones. "Ich muss hier ja nicht die innenpolitischen Raufereien durchführen, die ich in Deutschland so erlebe."
Sie vertrat gerade die Bundesrepublik, erzählt sie. Es wirkt, als wäre sie für anderthalb Tage Ministerin gewesen. Strack-Zimmermann lächelt, sie sieht sehr glücklich aus.
- Persönliche Beobachtungen bei Begegnungen und Interviews mit Strack-Zimmermann in den letzten Wochen