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Der Ampelregierung droht ein Kampf mit den größten Ängsten der Deutschen


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Regierung gefordert
Der Ampel steht ein Kampf mit den Ängsten der Deutschen bevor

Von Michael Freckmann

05.03.2022Lesedauer: 4 Min.
Lindner, Habeck, Scholz: Die Minister und der Kanzler haben sich zur Koalition zusammengerauft – doch es knirscht zwischen den Parteien.Vergrößern des Bildes
Lindner, Habeck, Scholz: Die Minister und der Kanzler haben sich zur Koalition zusammengerauft – doch es knirscht zwischen den Parteien. (Quelle: Fabrizio Bensch/reuters)

Die Ampelregierung verspricht Wandel, muss sich aber gleichzeitig mehreren Großkrisen stellen. Eine Studie zeigt, wie die Pläne der Regierung mit den Sorgen der Bevölkerung kollidieren.

Die Ampelregierung ist mit dem Versprechen von Wandel und Erneuerung gestartet. Doch jetzt überschattet der Ukraine-Krieg alles, auch die anderen Krisen und Probleme warten nicht. Und eine kürzlich veröffentlichte Studie zeigt, dass sich die größten Ängste der Deutschen ohnehin um zentrale Zukunftsfragen drehen.

Es drängt sich die Frage auf: Wie kann den Regierungsparteien bei dieser Ausgangslage der Spagat gelingen?

Der "Sicherheitsreport 2022" des Instituts für Demoskopie Allensbach macht deutlich, dass die Menschen in Deutschland vorsichtig und verunsichert in die Zukunft blicken. Die Befragung fand vor dem russischen Angriffskrieg in der Ukraine statt, der nun mutmaßlich einiges überlagert. Und doch weist das Ergebnis auf einige grundsätzliche Konflikte hin. Ein Überblick:

Inflation: Klimaschutz oder Verbraucherschutz?

Die Folgen der Inflation beunruhigen die Deutschen dem Ergebnis zufolge am stärksten. Auf diesem Gebiet kommen verschiedene Sorgen zusammen: hohe Energie- und Benzinpreise, sowie die coronabedingt geringere Verfügbarkeit mancher Produkte.

Die hohen Energiepreise machen es den Grünen zunehmend schwer, für klimaschützende Projekte zu werben, da diese die Preise wohl noch weiter steigen lassen würden. Die Regierung hat in der vergangenen Woche etwa durch die Abschaffung der EEG-Umlage und die Erhöhung der Pendlerpauschale versucht, diese Entwicklungen durch eigene Maßnahmen etwas abzufedern.


Doch gerade bei der Pendlerpauschale gab es längere Diskussionen unter den Koalitionspartnern. Letztlich setzte sich die FDP mit einer Anhebung um drei Cent durch. Die Grünen hingegen taten sich lange schwer damit, dem zuzustimmen, weil diese Unterstützung der Autofahrer aus ihrer Sicht kein Beitrag zum Klimaschutz darstellt. Das zeigt, wie leicht die Ampelparteien in Spannungssituationen aneinandergeraten können.

Klima: Umwelt, Arbeit oder Wirtschaft?

In der Frage der Bekämpfung des Klimawandels, dem viele Deutsche ebenfalls mit Sorgen entgegenblicken, repräsentieren die drei Koalitionspartner die drei wesentlichen gegensätzlichen Perspektiven auf diesem Gebiet: Umwelt, Arbeit und Wirtschaft.

Die Grünen waren immer die Verfechter der ökologischen Perspektive, die Sozialdemokraten die Partei der Arbeit und die Liberalen haben von allen dreien die größte Gruppe an Selbstständigen und Unternehmern in ihren Reihen. Daher werden die Gegensätze, die es bei der Bekämpfung des Klimawandels gibt, geradezu direkt innerhalb der Koalition ausgetragen.

Corona: Investieren oder Schulden bremsen?

Daneben fürchten sich die Deutschen auch noch vor den Folgen der Corona-Krise für die Wirtschaft. Auch hier droht ein Konflikt zwischen den Koalitionspartnern. Einerseits sollen weitere Gelder ausgegeben werden, um die Wirtschaft zu stützen. Andererseits drängt die FDP unbedingt auf die baldige Einhaltung der Schuldenbremse. Dies war auch eine Kernforderung der Liberalen im Wahlkampf, weshalb sie hier nicht zu Kompromissen bereit sein können.

Soziales: Wie finanzieren ohne Steuererhöhungen?

Auch in den sozialen Themen wie der Entwicklung zwischen "Arm und Reich", der Frage nach bezahlbarem Wohnraum und der Gestaltung des zukünftigen Rentensystems sehen viele Deutsche große, ungelöste Probleme. Gerade dies sind die Kernthemen der Kanzlerpartei SPD. Sie muss sich profilieren, will sie in der linken Mitte wahrgenommen werden.

Sämtlichen Steuererhöhungen zur Abmilderung des sozialen Gefälles wurden in den Koalitionsverhandlungen auf Wunsch der FDP eine Absage erteilt. Zwar sind diese Themen derzeit nicht auf der Tagesordnung oder werden wie die Erhöhung des Mindestlohns einmütig abgeräumt. Doch das kann sich zukünftig ändern.

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Sicherheit: Um welchen Preis?

Spannungen in der Weltpolitik machten den Deutschen auch schon vor der Eskalation in der Ukraine größere Sorgen. Nun dürften sich diese Ängste noch einmal stark erhöht haben. Dies setzt die Regierung unter Handlungsdruck, besonders in der Verteidigungspolitik. Mehrausgaben für die Bundeswehr könnten das Sicherheitsgefühl vieler Menschen in Deutschland erhöhen, müssten aber auch finanziert werden. Die Frage ist, welche anderen Projekte dafür nach hinten geschoben werden.

Die Krise als Katalysator

Der Ukraine-Krieg könnte auch als Katalysator für die Bewältigung anderer Krisen wirken. Klimaschutzminister Habeck erklärte bereits, dass der Angriff Russlands auf die Ukraine dazu führen müsse, sich endgültig von fossilen Energien, also auch russischem Gas, abzuwenden.

So ermöglicht es diese internationale Krise, Widerstände im Inland infolge größerer Bedrohungen aus dem Ausland abschmelzen zu lassen. Dies gilt ebenso für eine Erhöhung der Verteidigungsausgaben, wofür es lange Zeit in der Bevölkerung keine Mehrheit gab. Aus einer bedrohlichen Situation entstehen damit auch neue Möglichkeiten für Krisenbewältigung.

Die Angst vor Veränderung

Bei all den Umbrüchen und Erneuerungsversprechen steht die Regierung aber noch vor einem weiteren Problem: Sie muss auch mit dem Wunsch nach Beständigkeit in der Mitte der Gesellschaft umgehen. Denn nicht nur Krisen verursachen Verunsicherung. Große politische Reformvorhaben tun dies ebenfalls.

Der Politikwissenschaftler Herfried Münkler sprach kürzlich in der Fachzeitschrift "Frankfurter Hefte" von einer "Ära der Ungewissheit". Die Corona-Pandemie habe dabei gerade erst eine wesentliche Gewissheit der Moderne infrage gestellt: "Dass wir die Umstände unserer Lebensführung weitestgehend beherrschen." Der Klimawandel schüre zusätzlich ähnliche Befürchtungen. Dies werde umso deutlicher wahrgenommen, weil bisherige Stabilitätsfaktoren wie Religionen oder Ideologien von den meisten Menschen über Bord geworfen worden seien.

Fülle an Optionen sorgt für Verunsicherung

Zudem beschreibt Münkler ein merkwürdiges Paradox: Die demokratische Gesellschaft biete, verbunden mit dem wissenschaftlichen Fortschritt, so viele unterschiedliche Handlungsoptionen, auf die zahlreichen Umbrüche zu reagieren, wie noch nie. Gerade dieser Umstand jedoch erhöhe die Unsicherheit in der Gesellschaft noch weiter, anstatt sie zu senken. Der Überblick gehe so für viele Menschen weiter verloren.

Die kommenden Veränderungen durch den Klimawandel, um die Zukunft des Sozialstaates und in der Sicherheitspolitik werden wohl die finanziellen Kosten und die Unsicherheit für die Bevölkerung noch weiter erhöhen. Die Sorge vieler Menschen vor weiterer gesellschaftlicher Spaltung könnte sich so noch verstärken.

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Der Handlungsspielraum der Regierenden wird somit immer enger. Wenn die drei ungleichen Parteien in der Ampel ihr zentrales Fortschritts- und Veränderungsversprechen einhalten wollen, benötigen sie umso mehr Autorität und Vertrauen seitens der Bevölkerung in ihre Regierung.

Dabei sollte die allgemeine Impfpflicht als das erste große Projekt, das die Regierung umsetzen wollte, als mahnendes Beispiel dienen. Erst hatte Olaf Scholz sie zugesagt. Nun kommt mutmaßlich nicht einmal mehr ein gemeinsamer Antrag der Bundesregierung zustande. Solche Vorgehensweisen werden auch zukünftig das Vertrauen in die Regierung kaum erhöhen.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherche
  • Centrum für Strategie und Höhere Führung und Institut für Demoskopie Allensbach: Sicherheitsreport 2022
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