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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Olaf Scholz und die Ampel Sein alternativloser Coup
Ein Gesundheitsminister Karl Lauterbach, die erste Frau an der Spitze des Innenministeriums – Olaf Scholz hat mit den SPD-Personalien fürs Kabinett viele überrascht. Das war allerdings auch bitter nötig.
Am Sonntag hat die ARD-Talkshow "Anne Will" ein paar mehr Zuschauer aus dem Umfeld der künftigen Bundesregierung als üblich. Karl Lauterbach ist zu Gast, was an sich etwa so außergewöhnlich ist wie die Tatsache, dass Anne Will auch an diesem Abend "Anne Will" moderiert.
Doch im Studio sitzt nicht einfach Karl Lauterbach, der Talkshowdauergast. Es ist ein Karl Lauterbach, der zu diesem Zeitpunkt schon weiß, dass er bald endlich dort angekommen sein wird, wo er schon seit Jahren hinwill: im Gesundheitsministerium, und zwar als Gesundheitsminister.
Rutscht ihm also irgendetwas raus oder kann er sich beherrschen?
Er kann, stellen sie in der SPD zufrieden fest. Und so dauert es tatsächlich bis zum Montagmorgen kurz vor der offiziellen Präsentation der SPD-Ministerriege, bis eine Eilmeldung durch Deutschland schwirrt: "Karl Lauterbach wird Gesundheitsminister".
Es ist, so muss man das sagen, ein Coup von Kanzler Olaf Scholz. Und es ist nicht der einzige, den sein Kabinett bereithält. Allerdings ist es ein Coup, den die Ampelregierung jetzt auch bitter nötig hat, das gehört zur Wahrheit dazu. Ein ziemlich alternativloser Coup.
Ämter werden nicht nach TV-Minuten vergeben
Würden politische Ämter nach Fernsehminuten vergeben, dann wäre Karl Lauterbach von Beginn an fürs Kabinett gesetzt gewesen, mindestens als Gesundheitsminister, wenn nicht gar als Kanzler (der Herzen). Doch darum geht es eben nicht nur, manchmal geht es überhaupt nicht darum. In den vergangenen Wochen wurden einige Genossen nicht müde, das zu betonen.
Der wortkarge Scholz sei kein großer Fan des wortreichen Lauterbach, hieß es dann. Der Karl sei eben ein Einzelgänger, kein guter Organisator obendrein und sowieso nicht sonderlich "ministrabel". Was auch immer das bedeuten sollte.
Noch bis zuletzt schien es so, als würden führende SPD-Politiker argumentativ für die öffentliche Enttäuschung über einen Nicht-Minister Lauterbach vorbauen. Die Chancen schienen schlecht zu stehen, selbst wenn sich niemand festlegte.
Für ihn sei entscheidend, sagte Bald-Parteichef Lars Klingbeil noch am Freitag auf eine Frage nach Lauterbach, dass Olaf Scholz in der Pandemie schon handle, bevor er zum Kanzler gewählt sei. Pandemie ist Chefsache, sollte das heißen. Und Kevin Kühnert, der nun Generalsekretär werden soll, sagte: "Das Gesundheitsministerium ist eben nicht nur ein Corona-Ministerium." Deshalb könne man diese Frage "nicht nur aus dem Moment heraus beantworten".
Finales Personaltableau stand erst Ende der Woche
Es war ganz offensichtlich mehr als nur geschicktes Erwartungsmanagement – also das Antäuschen einer Enttäuschung, um am Ende die Erwartungen zu übertreffen.
Dem Vernehmen nach stand das finale Personaltableau der SPD tatsächlich erst Ende vergangener Woche fest. Nur eine kleine Spitzenrunde soll eingeweiht gewesen sein: Olaf Scholz selbst, Fraktionschef Rolf Mützenich, Generalsekretär Lars Klingbeil und die Parteivorsitzenden Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans.
Olaf Scholz, so ist zu hören, habe seine künftigen Ministerinnen und Minister dann erst am Samstag und am Sonntag angerufen, um ihnen die endgültige gute Botschaft zu überbringen.
Wenn niemand Bescheid weiß, kann sich auch niemand verplappern.
Die meisten Bürgerinnen und Bürger hätten sich gewünscht, sagte Olaf Scholz dann am Montag bei der offiziellen Vorstellung, dass der nächste Gesundheitsminister vom Fach sei und dass er Karl Lauterbach heiße. "Er wird es", schob Scholz bedeutungsschwanger hinterher. Ihr wollt ihn, ihr kriegt ihn.
Und genau das wird am Ende tatsächlich der wesentliche Grund gewesen sein. Die Personalie ist auch deshalb so wichtig für Scholz, weil der bisherige (Früh-)Start seiner Ampelregierung in der Corona-Krise alles andere als glücklich lief: Das schlecht kommunizierte Ende der epidemischen Lage, die gleich zweimal nachgeschärfte Reform des Infektionsschutzgesetzes – und dramatische Zahlen überall.
Jetzt noch eine öffentliche Enttäuschung beim Gesundheitsminister und die erste Krise der Ampel wäre perfekt gewesen.
Ein zumindest ordentlicher Start der Regierung ist aber nicht nur wegen der Pandemie selbst wichtig. Er ist für die SPD auch wegen der nächsten Landtagswahlen im Saarland (März), in Schleswig-Holstein (Mai) und Nordrhein-Westfalen (auch Mai) ganz entscheidend.
Überall dort will die SPD statt der CDU den Regierungschef stellen, nicht zuletzt, damit die Ampel ihre Gesetzesvorhaben besser durch den Bundesrat bekommt. Denn dort hat sie bisher eine große Unionsmehrheit gegen sich, die noch unangenehm werden könnte.
Die erste Innenministerin
Auch deshalb zauberte Olaf Scholz am Montag noch weitere Überraschungen aus seinem nicht vorhandenen Hut. Die bundesweit eher unbekannte Nancy Faeser, die Scholz ganz zu Beginn vorstellte, ist darunter wohl die größte.
Die Chefin der hessischen SPD wird als erste Frau das Bundesinnenministerium führen. Sie ist Juristin, was in dem wichtigen Verfassungsressort sehr hilfreich ist, und sie ist seit langer Zeit Mitglied im Arbeitskreis "Sozialdemokraten in der Polizei", was auch nicht schadet. Genau wie ihre zwölf Jahre als innenpolitische Sprecherin der Landtagsfraktion.
Faeser wurde Ende 2018 schon einmal als Ministerin gehandelt, nämlich als Nachfolgerin von Katarina Barley im Justizressort, die Spitzenkandidatin für die Europawahl wurde. Damals jedoch bekam Christine Lambrecht das Ministeramt, während Faeser erst mal an die Spitze der hessischen SPD vorrückte. Nun wechselt sie doch nach Berlin.
Apropos Christine Lambrecht: Die war selbst lange Zeit als Innenministerin im Gespräch und bezeichnete es bei der Vorstellung selbst als "Überraschung für viele", dass sie nun Verteidigungsministerin werden soll.
Scholz sagte zur Begründung, Lambrecht sei eine erfahrene Politikerin und Ministerin, und die brauche es in diesem "großen Ressort". Er hätte auch sagen können: In diesem Ressort, in dem schon so viele an der Bundeswehr verzweifelt sind. Doch Lambrecht ist in der Tat zuzutrauen, sich gegen die Generäle zu behaupten.
Ob es auch für die verkrusteten Strukturen reicht?
Vom "Schlachtross" und dem "leisen Geschäft"
Svenja Schulze, die bisherige Umweltministerin, hat ebenfalls nicht das Ressort bekommen, das sich manch Mächtiger in der SPD für sie gewünscht hatte. Sie wird nun Entwicklungshilfeministerin, was zwar besser ist als nichts, aber eben längst nicht so gut wie Bauministerin – das Amt, für das sie eigentlich im Gespräch war.
Bauministerin wird nun die Brandenburgerin Klara Geywitz. Vermutlich auch aus Gründen des Regionalproporzes: Denn mit Karl Lauterbach sitzt nun neben Svenja Schulze ein zweiter Minister aus Nordrhein-Westfalen im Kabinett. Und eine einflussreiche ostdeutsche Ministerin war vielen in der SPD wichtig.
Olaf Scholz jedenfalls schien am Montag zufrieden zu sein, mit sich und seinem Kabinett. Bei der Präsentation streute er sogar ein paar Witze ein – offensichtliche und nicht ganz so offensichtliche. Dass er Hubertus Heil, der auch künftig das Arbeitsministerium leiten soll, als "Schlachtross" bezeichnete, war eher Humor der hemdsärmeligen Art.
Vor allem auf die Feinschmecker zielte Scholz wohl, als er sagte, er traue seinem langjährigen Vertrauten Wolfgang Schmidt zu, das "leise Geschäft" als Chef des Bundeskanzleramts zu beherrschen. Das ist lustig, weil Schmidt bei Journalisten vor allem dafür wohlbekannt ist, dass er immer wieder wortreich erklärt, was Olaf Scholz eigentlich meint, wenn der mal wieder zu wenig erklärt.
Nicht ausgeschlossen also, dass es der sprichwörtliche Wink mit dem Zaunpfahl sein sollte. Genau wie bei Karl Lauterbach, dem Scholz bei einer Frage nach Corona nur "zwei Sätze" zugestehen wollte, und der dann schon lossprudelte, bevor Scholz seinen eigenen Satz überhaupt beenden konnte.
Bei beiden hofft nun mancher in der SPD, dass sich ihr Mitteilungsdrang im Ministerrang etwas abschwächt. Allerdings eher mit einem Augenzwinkern, denn so richtig glaubt das dann doch niemand, weil beide anders nur schwer vorstellbar sind.
Und das ist vielleicht der eigentliche Witz.
- Eigene Recherchen