Sommerpressekonferenz Merkel warnt vor besorgniserregender Dynamik
Wieder ein Abschied: Zum letzten Mal gab Kanzlerin Merkel ihre traditionelle Sommerpressekonferenz. Dort sprach sie über die Flutkatastrophe, Corona und die Klimakrise.
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat die Bevölkerung mit Blick auf steigende Infektionszahlen auf eine weiterhin schwierige Zeit eingestimmt. Deutschland habe es "mit einer deutlichen, und wie ich finde auch besorgniserregenden Dynamik" zu tun, sagte die Bundeskanzlerin am Donnerstag bei ihrer voraussichtlich letzten Sommerpressekonferenz in Berlin. Angesichts steigender Infektionszahlen rief sie zu verstärkten Impfbemühungen auf. "Je mehr geimpft sind, umso freier werden wir wieder sein."
Auch die Flutkatastrophe in mehreren Teilen Deutschlands, der Klimaschutz und die Einigung zur Erdgaspipeline Nord Stream 2 waren bestimmende Themen bei der für die Kanzlerin wohl letzten Begegnung dieser Art mit Hauptstadtjournalisten. Merkel tritt bei der Bundestagswahl im September nicht mehr an und zieht sich anschließend aus der Politik zurück.
Merkel: Verdopplung der Inzidenzzahlen ist dramatisch
Die Kanzlerin mahnte erneut, dass die Pandemie nur gemeinsam überwunden werden könne. Deswegen sollten Menschen auch im privaten Umfeld und der Arbeitswelt aktiv für Impfungen werben. "Wir werden bis Ende Juli, Anfang August nicht für jeden ein Impfangebot haben", sagt Merkel. Die derzeit etwa binnen 12 Tagen registrierte Verdoppelung der Inzidenzzahlen bewertete sie als dramatisch. Nötig sei es, auch weiterhin Schutzmaßnahmen zu beachten: Masken, Abstand, Lüften und auch regelmäßiges Testen. Das sei auch mit Blick auf die Öffnung der Schulen im Herbst wichtig.
"Die Überlastung des Gesundheitssystems zu verhindern, bleibt Richtschnur unseres Handelns", sagte Merkel. Es sei auch nicht ausgeschlossen, dass die Pandemie bei der nächsten Ministerpräsidenten-Konferenz zur Katastrophenhilfe eine Rolle spielen werde. "Ich bin offen", sagte Merkel dazu.
Innenpolitische Themen
Hochwasser: Die Kanzlerin schwor das Land auf eine gemeinsame Kraftanstrengung zur Bewältigung der Unwetterkatastrophe im Westen Deutschlands ein. "Wir werden zur Behebung all dieser Schäden einen langen Atem brauchen", sagte Merkel. Es gebe schreckliche Verwüstungen durch das Hochwasser, Deutschland trauere um 170 Tote.
Ziel sei eine gemeinsame Finanzierung der Flutschäden, sagte Merkel. Die Bundesregierung habe einen Betrag von 200 Millionen Euro für Soforthilfe zur Verfügung gestellt. In den nächsten Tagen und Wochen werde mit den Ministerpräsidenten der Bundesländer darüber gesprochen, wie ein gemeinsamer Aufbaufonds organisiert werden kann.
Klimaschutz: Deutschland habe viel gegen die Erderwärmung gemacht, versicherte die Kanzlerin. Ihr politisches Leben sei von Maßnahmen gegen den Klimawandel geprägt gewesen. "Es ist einiges passiert." Nun gehe es darum, das Tempo anzuziehen und den Ausbau erneuerbarer Energien hochzufahren. Vielleicht sei es ein Fehler gewesen, dass sie lange am Kyoto-Protokoll festgehalten habe, sagte Merkel. Es sei ein enttäuschender Prozess gewesen, sie habe viel Kraft dafür eingesetzt, um auf internationaler Bühne Mehrheiten für mehr Klimaschutz zu finden. Darauf komme es in der Klimapolitik auch immer an, erklärte Merkel. "Die wissenschaftliche Evidenz mahnt zu noch mehr Eile. Wir als Politiker und Politikerinnen müssen dafür Mehrheiten finden."
Auch in der Gesellschaft müsse die Akzeptanz etwa für Windenergie im ländlichen Raum erhöht werden, betonte die Kanzlerin. Die Entscheidung, aus der Atomkraft auszusteigen, bezeichnete Merkel im Nachhinein als "richtig".
Digitalisierung: Merkel sieht Deutschland bei der Modernisierung und Zukunftstechnologien vor großen Herausforderungen. Sie verwies dabei auf Erkenntnisse der Corona-Pandemie, aber auch auf das enorme Entwicklungstempo der USA bei Chip-Technologie. "Wir sind ein starkes Land", sagte Merkel. Mit Blick auf die Digitalisierung sagte sie: "Aber wir haben an einigen Stellen wirklich zu tun, um den hohen Standard, den wir haben, auch aufrechtzuerhalten."
Außenpolitische Themen
Nord Stream 2: Die Einigung mit der US-Regierung zur Gaspipeline Nord Stream 2 bezeichnete Merkel als guten Schritt. Sie überwinde aber nicht alle Differenzen, sagte sie. Es sei der Versuch, zwischen den USA und Deutschland bestimmte Konditionen festzulegen, die auch umgesetzt werden müssten. Es sei ganz wichtig, dass die Ukraine ein Gas-Transitland bleibe, und dass Energie nicht dazu benutzt werden könne, dass die Ukraine in eine schwierige Situation komme.
Der Text sei aber abgeschlossen mit der US-Regierung, der Kongress sei eine andere Institution. Im Kongress gibt es viele kritische Stimmen zu der Pipeline, die unter der Umgehung der Ukraine Erdgas von Russland nach Deutschland bringen soll.
Merkel sagte, Russland habe deutlich gemacht, Energie solle nicht als "Waffe eingesetzt werden". Man nehme Russland beim Wort, sei aber nicht völlig wehrlos. Merkel verwies auf die Möglichkeiten von Sanktionen.
EU-Asylpolitik: In der Festlegung auf eine gemeinsame EU-Asylpolitik sieht die Kanzlerin eine Aufgabe, die die Gemeinschaft auch künftig intensiv beschäftigen werde. Merkel sagte, es sei noch nicht gelungen, für die EU eine gemeinsame Asylpolitik festzulegen. Dies sei eine schwere Bürde für die EU und müsse gelöst werden. Es agierten immer noch in einem erheblichen Maße Schlepper und Schleuser.
- Nachrichtenagentur dpa