Der Gesprächspartner muss auf jede unserer Fragen antworten. Anschließend bekommt er seine Antworten vorgelegt und kann sie autorisieren.
Zum journalistischen Leitbild von t-online.SPD-Politiker Carsten Schneider "Das ist brandgefährlich für unser Land"
Wie lässt sich die Impfquote erhöhen? Indem man den Menschen die Konsequenzen aufzeigt, sagt SPD-Politiker Carsten Schneider. Und er erklärt, wann er das Grauen bekommt.
t-online: Herr Schneider, derzeit gibt es pro Tag so wenige Erstimpfungen wie zuletzt vor Monaten, als kaum Impfstoff da war. Was können wir dagegen tun?
Carsten Schneider: Wir müssen Impfungen so unkompliziert wie möglich machen und den Impfstoff zu den Menschen bringen.
Aber es ist doch schon ziemlich unkompliziert.
Wir können aber noch besser werden, vor allem um die Menschen zu überzeugen. Die Informationskampagne des Gesundheitsministeriums etwa ist noch ausbaufähig. Es ist doch so: Die Gesellschaft hat eine Gesamtverantwortung gegenüber den Kindern und Jugendlichen, die weit mehr als ein Jahr eine große Last getragen haben und nach den Ferien wieder in die Schule wollen. Die einzige Chance, ihnen das zu ermöglichen, ist eine sehr hohe Impfquote. Deshalb ist es die Pflicht eines jeden Erwachsenen, sich impfen zu lassen.
Carsten Schneider, 45, ist Erster Parlamentarischer Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion. Er ist damit der wichtigste Manager der Arbeit der SPD im Deutschen Bundestag. Schneider stammt aus Erfurt.
Sie wählen deutliche Worte, aber viel mehr als gutes Zureden sind die auch nicht. Bräuchte es nicht mehr Druck wie etwa in Frankreich, wo Negativtests fast überall Pflicht werden und bald auch selbst bezahlt werden müssen?
Wir müssen an die Vernunft appellieren. Gleichzeitig sollten wir den Leuten auch die Konsequenzen aufzeigen, wenn sie sich nicht impfen lassen. Erreichen wir die Herdenimmunität nicht, gibt es das alte, normale Leben nicht zurück. Lassen sich viele nicht impfen, drohen vor allem im Herbst und Winter wieder extreme Einschränkungen.
Beim aktuellen Impftempo erreichen wir die Herdenimmunität vielleicht nie. Also noch mal: Brauchen wir nicht mehr Druck, etwa indem Corona-Tests für Nichtgeimpfte kostenpflichtig werden?
Im Moment noch nicht. Aber damit das klar ist: Auf Dauer werden wir uns kostenlose Tests nicht leisten können. Es gibt einen einfachen Weg aus der Pandemie – und das ist die Impfung. Wer da nicht mitmachen will, kann nicht erwarten, dass die Allgemeinheit dauerhaft alles für ihn finanziert. Ausgenommen sind Kinder, Jugendliche und Personen, die sich aus medizinischen Gründen nicht impfen lassen können.
Wie beurteilt es denn der Sozialdemokrat Carsten Schneider, dass bei uns Impfdosen weggeworfen werden, in weiten Teilen des afrikanischen Kontinents aber fast niemand geimpft ist?
Ich habe keine Hinweise darauf, dass bei uns tatsächlich in nennenswertem Umfang Impfdosen weggeworfen werden. Vielmehr bin ich froh, dass wir ausreichend Impfstoff haben, das ist ja noch nicht lange so. Trotzdem sollten wir natürlich alles, was wir nicht brauchen, abgeben. Es hilft uns nichts, wenn die Welt sich weiter infiziert und es neue Mutanten gibt.
Tun wir denn genug dagegen?
Ich möchte dann doch darauf hinweisen, dass die EU im Gegensatz zu den USA und Großbritannien von Anfang an Impfstoff exportiert hat. Deutschland gehört zu den führenden Geberländern bei den internationalen Hilfen.
Warum gibt es eigentlich in Klassenräumen noch immer keine Luftfilteranlagen?
Der Bund hat bereits im letzten Jahr Mittel zur Verfügung gestellt. Die Mittel müssen von Ländern und Kommunen aber auch abgerufen werden. Das sollte so unbürokratisch wie möglich laufen.
Und die Länder sind überrascht, dass nach den Ferien die Schule wieder anfängt?
Mehr als Geld zur Verfügung zu stellen, können wir als Bund jedenfalls derzeit nicht. Und das haben wir erst vor wenigen Tagen wieder gemacht. So wie der Bund den Großteil der Krisenkosten trägt. Das ist in Ordnung, aber dann erwarte ich auch von den Ländern und Kommunen, dass sie die Mittel wirklich nutzen. Wir brauchen deutlich mehr Tempo.
Ist die SPD eigentlich noch Teil der Bundesregierung?
Sie ist sogar der prägende Teil der Bundesregierung.
Das ist angesichts eines deutlich größeren Koalitionspartners eine mutige Feststellung.
Widerspruch: Es ist eine realistische Feststellung. Wenn ich mir die Minister der Union anschaue, bekomme ich wirklich das Grauen. Hinzu kommt, dass Vereinbarungen mit der Kanzlerin von CDU und CSU in der Umsetzung blockiert werden, wie zuletzt die gerechte Aufteilung von den höheren Heizkosten zwischen Mietern und Vermietern. Wenn die Union schon zu diesem sozialen Ausgleich nicht bereit ist, was droht dann den Menschen erst bei einem CO2-Preis von über 100 Euro?
Das klingt jetzt aber ganz schön nach Wahlkampfrhetorik.
Wenn meine Kritik unberechtigt wäre, gäbe es nicht so viele Beispiele. Jens Spahn hat das Pandemiemanagement überhaupt nicht im Griff. Andreas Scheuer hat nicht nur die Maut verbockt, sondern bekommt auch die Ladeinfrastruktur für E-Autos nicht gebacken. Peter Altmaier hat den Strombedarf in Deutschland kleingerechnet, um den Ausbau der erneuerbaren Energien zu blockieren. Die Ministerinnen und Minister von CDU und CSU haben mit ihrer Arbeit das Vertrauen in die Regierung beschädigt.
Armin Laschet könnte es künftig besser machen als die derzeitige Unionsriege.
Der war gut! Armin Laschet weiß ja noch nicht mal, was in seinem Wahlprogramm steht. Will die Union nun Steuersenkungen für Reiche und Konzerne oder nicht? Und wie will er seine Politik eigentlich finanzieren? Der vermeintliche Kassensturz von Laschet und Söder ist dabei die Hintertür aus ihren unhaltbaren Versprechen. Der Union fehlen sowohl der Kompass als auch das Personal. Das ist brandgefährlich für unser Land. Wir alle wären viel besser dran, wenn die Union sich endlich mal in der Opposition erholen würde.
Wenn alles so wäre, wie Sie sagen: Warum liegt die Union dann in Umfragen meilenweit vor der SPD?
Das hat viel damit zu tun, dass Angela Merkel immer noch Kanzlerin ist und die Union von ihrem guten Ruf profitiert. Aber sie tritt eben nicht wieder an. Hinter ihrer Person wird eine große Leere zum Vorschein kommen. Ich bin viel im Land unterwegs und spüre jedenfalls einen Stimmungsumschwung.
FPD-Chef Christian Lindner sagt: "Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit wird Armin Laschet der nächste Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland sein." Kann man das angesichts des großen Vorsprungs der Union in den Umfragen wirklich anders sehen?
Absolut. Denn es kommt ja auch darauf an, wer es nach der Wahl hinbekommt, eine Koalition des Fortschritts zu zimmern. Und darauf, welche Partei die überzeugendste Figur fürs Kanzleramt hat. Das ist definitiv die SPD mit Olaf Scholz.
Welche reale Machtoption hätte die SPD denn dafür? Doch nur ein Bündnis mit Grünen und FDP, oder?
Das ist eine Option. Es sind noch rund zehn Wochen bis zur Entscheidung. Die Wahl ist jedenfalls offen.
Würden Sie auf Steuererhöhungen verzichten, damit Christian Lindner einen Koalitionsvertrag unterschreibt?
Das werden wir sehen. Die FDP weiß ja selbst, dass ihr Programm massiver Steuersenkungen unrealistisch ist. Wenn wir die Steuern reduzieren, dann für Gering- und Normalverdiener. Aber nicht für Spitzeneinkommen, wie es die Liberalen wollen. Ich bin auch deshalb ganz optimistisch, weil die derzeit geltende Einkommenssteuersystematik weitgehend aus den Zeiten Gerhard Schröders stammt. Und sie wurde damals auch mit Unterstützung der FDP verabschiedet. Steuerreformen sind in den letzten acht Jahren jedenfalls nicht an der SPD, sondern an der CDU gescheitert.
Ihr Parteichef Norbert Walter-Borjans hat zuletzt recht deutlich ausgeschlossen, dass die SPD als Juniorpartner für irgendeine Konstellation zur Verfügung steht. Unterschreiben Sie das?
Ich bin gegen eine allgemeine Ausschließeritis. Das einzige, dass ich wirklich ausschließen kann: Die SPD wird in keinster Weise mit der AfD zusammenarbeiten.
Ihr Parteichef liegt also falsch?
Er wollte damit ausdrücken, dass niemand eine weitere große Koalition will. Das sehe ich genauso.
Eine Juniorpartnerschaft unter Annalena Baerbock ist für die SPD also nicht ausgeschlossen?
Annalena Baerbock hat in den vergangenen Wochen im Brennglas einer Kanzlerkandidatur gezeigt, dass ihr das nötige Rüstzeug für das wichtigste politische Amt in der größten Volkswirtschaft Europas fehlt. Ich kämpfe für eine starke SPD und Olaf Scholz als Bundeskanzler. Der kann das.
- Gespräch mit Carsten Schneider per Videoschalte