Mehr als 150 Journalistinnen und Journalisten berichten rund um die Uhr für Sie über das Geschehen in Deutschland und der Welt.
Zum journalistischen Leitbild von t-online.CDU Die riskante Zockerei von Spahn um seine Kanzlerkandidatur
Jens Spahn möchte Kanzlerkandidat der Union werden. Doch das wird nicht leicht. Denn er steht in der Corona-Krise mehr denn je unter Druck – und sieht sich mit einem alten Vorurteil konfrontiert.
Es ist der 14. Dezember 2020, als der Karriereplan von Jens Spahn ins Schlingern kommt. An diesem Tag entscheidet die CDU-Spitze, dass der Parteitag, an dem ein neuer Vorsitzender gewählt werden soll, definitiv Mitte Januar stattfinden wird. Jens Spahn spricht sich an diesem Tag nach Angaben von ranghohen CDU-Abgeordneten eher für eine erneute Verschiebung aus – doch sitzt er in Quarantäne fest. Er muss also am heimischen Bildschirm mit ansehen, wie seine Parteikollegen den 15. und 16. Januar endgültig als Stichtag festlegen.
Daraufhin beschließt Jens Spahn, selbst aktiv zu werden: Nach Berichten des "Spiegel" und der "Bild"-Zeitung, die t-online aus der Partei bestätigt wurden, führt Spahn Ende Dezember diverse Gespräche: Er lotet im Dialog mit Bundes- und Landespolitikern aus, ob er nicht selbst die Kanzlerkandidatur im Jahr 2021 anstreben soll. Eigentlich kandidiert Spahn für den Stellvertreterposten von Armin Laschet. Entsprechend hätte der nordrhein-westfälische Ministerpräsident wohl das Erstzugriffsrecht auf die Kanzlerkandidatur.
Spahn galt als Vorzeige-Krisenmanager
Doch Spahn möchte selbst Kanzler werden. Bei einer Verschiebung des Parteitags irgendwann ins Frühjahr wäre das wohl leichter gewesen. Denn nun sind die Umstände für ihn alles andere als günstig. Und das gleich aus mehreren Gründen.
Da ist zum einen das Dauerthema Corona. Spahn galt als Vorzeige-Krisenmanager der CDU. Doch angesichts des verpatzten Starts der Impfkampagne mehren sich die Zweifel. Es werden Erinnerungen wach an andere Dinge, die in der Pandemie nicht gut gelaufen sind: Gab es im Frühjahr nicht viel zu wenig Masken und Schutzkleidung? Und sind im Moment nicht gerade die Alten- und Pflegeheime von Corona betroffen, obwohl der Minister versprochen hatte, diese besonders zu schützen?
Seine steile Karriere schien sich fortzusetzen
Soweit der inhaltliche Aspekt. Es gibt bei Spahn aber auch immer die persönliche Seite. Dass nun seine Sondierungen in eigener Sache öffentlich wurden, dürfte das Bild nähren, dass nicht nur in der Union viele haben: Da ist ein im Grunde sehr begabter Politiker, der es mit dem Ehrgeiz aber hin und wieder übertreibt und zu oft mehr darauf achtet, was ihm nützt und nicht dem Land. Kurzum: Der rücksichtslose Ehrgeizling, der im Zweifel die eigene Karriere über Loyalität stellt.
Jens Spahn ist einer der zielstrebigsten Politiker der Union. Fast niemand hat so schnell wie er Karriere gemacht: Er wurde bereits mit 22 Jahren Bundestagsabgeordneter, dann förderte ihn Wolfgang Schäuble, unter ihm wurde er Parlamentarischer Staatssekretär im Finanzministerium, eigentlich ein politischer Abschiebeposten, den Spahn aber zur Mehrung seines Rufs nutzen konnte. Mit 37 Jahren wurde Spahn schließlich Bundesgesundheitsminister.
Diese Karriere im Zeitraffer schien sich fortzusetzen, als er im Februar vergangenen Jahres seine Kandidatur gemeinsam mit Armin Laschet für den CDU-Vorsitz verkündete. Der eher mittige Laschet als Chef, der eher konservative Spahn als sein Stellvertreter, das war der Plan.
Doch dann geriet Laschet in der Corona-Krise immer weiter unter Druck. Er stand beim Ausbruch in Heinsberg und im Tönnies-Skandal als Landesvater ohne klaren Kurs da. "Aus Laschets Amtsbonus ist längst ein Amtsmalus geworden", sagt jemand aus dem CDU-Führungszirkel t-online. Laut einer Umfrage des Instituts Forsa sind nur 43 Prozent der Menschen in Nordrhein-Westfalen zufrieden mit dem Krisenmanagement der Landesregierung – so wenige wie in keinem anderen Bundesland.
Der Ehrgeizling, der die eigene Karriere über alles stellt
Das Duo trat kaum noch gemeinsam auf, abgesehen von wenigen Fotos, die am Bodensee im Sommer gemacht wurden. Spahn erkannte in der Schwäche des Partners wohl auch eine Chance: Selbst wenn Laschet gewählt werden sollte – wieso sollte Spahn mit seinen guten Beliebtheitswerten nicht selbst die Kanzlerkandidatur der Union anstreben?
Eigentlich galt als sicher, dass Spahn im Falle einer Wahl Laschets nach der nächsten Bundestagswahl Fraktionschef der Union werden will. Nun schienen sich für ihn plötzlich noch größere Möglichkeiten zu eröffnen. Wenn Spahn gleich zig CDU-Funktionäre abtelefoniert, weiß er natürlich, dass seine Kanzler-Ambitionen früher oder später publik werden. Sicher ist: Er schadet damit seinem Tandempartner. Armin Laschet dürften jetzt in der CDU noch weniger Delegierte die Kanzlerkandidatur antragen, wenn dessen eigener Verbündeter ihm sie schon nicht wirklich zutraut.
"Auch andere Kandidaten sind denkbar"
Die Lage verkompliziert zusätzlich, dass noch völlig offen ist, wer das Rennen am 16. Januar gewinnt. Und es ist nicht ausgeschlossen, dass Armin Laschet noch nicht einmal in die Stichwahl kommt, sondern Norbert Röttgen und Friedrich Merz das unter sich ausmachen. Dafür will sich Spahn bereits rüsten. Auch deshalb versucht er seine eigenen Ambitionen klarzumachen. Andererseits könnte Armin Laschet auch neuer Vorsitzender werden. Spahn soll intern gesagt haben, wenn seine Umfragewerte im März immer noch viel besser seien als die von Laschet, würde er wohl versuchen, Kanzlerkandidat der Union zu werden. Norbert Röttgen hat indes schon versichert, dass Spahn unter ihm als Vorsitzendem eine große Rolle spielen werde. In Bezug auf Friedrich Merz gilt das wohl nicht.
Die stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Union, Katja Leikert, sagte t-online mit Bezug auf die Kanzlerkandidatur: "Die Parteivorsitzenden gehören selbstverständlich zum natürlichen Kreis potenzieller Bewerber, gleichwohl sind auch andere Kandidaten denkbar. Jens Spahn genießt hohes Ansehen in der Bevölkerung, das er sich mit guter Regierungsarbeit erarbeitet hat." Anders gesagt: Leikert schließt einen CDU-Kanzlerkandidaten Jens Spahn nicht aus, im Gegenteil.
Ganz anders klingt der Hamburger CDU-Chef Christoph Ploß. Er warnt: "Vor einem Parteitag mit mehreren Kandidaten ist die Atmosphäre natürlich auch etwas angespannt. Das ist ganz normal. Wichtig ist aber: Nach der Abstimmung muss die unterlegene Seite das demokratische Votum des Parteitags anerkennen, denn unsere politischen Wettbewerber sind bei den Grünen und der SPD zu suchen – und nicht in den eigenen Reihen."
"Shakespeare hätte es sich nicht schöner ausdenken können"
Es brodelt in der Partei. In der sonst so präsidial auftretenden Union ist plötzlich alles möglich, und Machtansprüche werden kaum noch kaschiert. Ein Landesvorsitzender erklärt im Gespräch mit t-online: "William Shakespeare hätte sich einige der letzten Entwicklungen in der CDU nicht schöner ausdenken können."
Jens Spahn dürfte aber auch deshalb jetzt gehandelt haben, weil längst nicht mehr nur sein sogenannter Partner Armin Laschet unter Druck steht. Mittlerweile ist er selbst in die Kritik geraten. Der vermasselte Start der Corona-Impfungen schadet seinem Image, auch parteiintern sehen viele sein Management kritisch.
Insgesamt gibt es zu wenig Impfstoff, obwohl Jens Spahn schon vollmundig versprach, dass bis zum Sommer es wohl für den Großteil der deutschen Bevölkerung ein Impfangebot geben werde. Doch bislang sind nur die Impfstoffe von Biontech und Moderna zugelassen – für Spahns optimistische Rechnung müssten auch Impfstoffe von anderen Unternehmen verabreicht werden. Allerdings ist unklar, ob sie überhaupt zugelassen werden.
Die Werte, auf denen Spahn sein Selbstbewusstsein begründet, sind wackelig
Dabei müssten bis Juni etwa 120 Millionen Impfdosen verabreicht werden, damit Spahn am Ende nicht ein falsches Versprechen abgegeben hat. Wie sich diese zusammensetzen, sagte er bislang nicht. Präventiv erklärte Spahn jedoch bereits, dass es beim Impfen "an der ein oder anderen Stelle ruckeln" werde.
Was vor allem ruckelt, und zwar abwärts, sind inzwischen jedoch seine Umfragewerte. Ende Dezember war Spahn der beliebteste Politiker in Deutschland – mit 64 Prozent Zustimmung sogar vor der Bundeskanzlerin. Das hat sich jetzt geändert. Im "Deutschlandtrend" kommt Spahn nur noch auf 56 Prozent, das ist die niedrigste Zahl für ihn seit dem Mai vergangenen Jahres. Nun sind Umfragen immer mit Vorsicht zu bewerten, doch der "Deutschlandtrend" legte schonungslos offen, wie wackelig die Werte sind, mit denen Spahn sein Selbstbewusstsein begründet.
"Ende Dezember bekam die silberne Rüstung des strahlenden Helden Spahn erste Kratzer, mittlerweile ist das Silber schon schwarz angelaufen", sagt jemand aus der Fraktionsführung t-online. Das Bundesgesundheitsministerium verkündet in diesen Tagen auch kleinere Fortschritte bei der Bestellung des Impfstoffs – während andere Nachbarländer schon viel schneller impfen. Es ist nicht ausgeschlossen, dass Spahn weiter unter Druck gerät.
Spahn ist aber gleichzeitig noch jung, das ist sein Vorteil: Für seine Konkurrenten Merz und Laschet dürfte es wahrscheinlich die letzte Chance sein, um nach einer Kanzlerschaft zu greifen.
Für Spahn, so erzählt man es sich in der CDU, ist es die erste Chance. Dann kommt noch eine zweite, und vielleicht noch eine dritte. In der Fraktion kann er noch auf großen Rückhalt setzen. Der stellvertretende Fraktionsvorsitzende Thorsten Frei sagte t-online: "Jens Spahn macht nicht nur derzeit einen super Job als Gesundheitsminister. Er hat auch in der Vergangenheit gezeigt, dass er zu den stärksten Politikern in Berlin gehört. Insofern ist er für alle höchsten Aufgaben geeignet."
- Eigene Recherche
- Gespräche mit diverse CDU-Politikern