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Oberbürgermeister von Calw: "Wir suchen Personen in der Quarantäne auf"


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Bürgermeister von Calw
"Sonst macht sich der Staat unglaubwürdig"

InterviewVon Tim Kummert

21.10.2020Lesedauer: 4 Min.
Florian Kling: "Wir schlossen sofort das Gymnasium, obwohl dort 800 Schüler sind."Vergrößern des Bildes
Florian Kling: "Wir schlossen sofort das Gymnasium, obwohl dort 800 Schüler sind." (Quelle: Lukas, h7photo)

Im baden-württembergischen Calw steigen die Corona-Zahlen langsamer als an vielen anderen Orten in Deutschland. Wie hält man die Pandemie unter Kontrolle? Ein Anruf beim dortigen Oberbürgermeister.

Florian Kling leitet seine Stadt aktuell aus dem Homeoffice: Der Oberbürgermeister von Calw hat sich in Quarantäne begeben, nachdem er einen Corona-Test gemacht hat. Zuvor zeigte er grippeähnliche Symptome. Doch Kling selbst ist einer der wenigen Fälle in Calw, die möglicherweise Corona haben.

Die Calwer Fallzahlen in der Pandemie waren lange unter dem Wert von 50 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohnern in sieben Tagen. Calw ist eine der Städte in Deutschland, wo das Coronavirus sich langsamer verbreitet als anderswo. Wie funktioniert das? Im Interview erklärt Kling, wie er die Pandemie bekämpft – und ob trotzdem ein Lockdown droht.

t-online: Herr Kling, heute hat der Landkreis Calw auch die Grenze von 50 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohnern erreicht. Versagt Ihre Strategie zur Pandemiebekämpfung vor Ort?

Florian Kling: Aber nein, im ganzen Land steigen doch die Zahlen – und Calw liegt ja nicht auf einem anderen Planeten, sondern in Baden-Württemberg. Da war es nur logisch, dass auch irgendwann, trotz starkem Gegensteuern, bei uns die Zahlen langsam wieder steigen. Richtig ist, dass die Pandemie bei uns im Landkreis den betroffeneren Gebieten in Deutschland hinterherhinkt. In Baden-Württemberg wurde bereits Pandemiestufe 3 am Wochenende ausgerufen, mit dieser Reaktion ist das Land uns damit zuvorgekommen.

Warum steigen Zahlen bei Ihnen langsamer an als in vielen anderen Orten?

Weil beispielsweise die Kontaktnachverfolgung unseres Gesundheitsamts gut funktioniert: Das ist ganz wichtig, dass da ausreichend personelle Ressourcen zur Verfügung stehen – die Kollegen leisten da trotz Überlastung Großes. Und wir reagieren schnell: Vor Kurzem erkrankte ein Schüler in der Oberstufe eines unserer Gymnasien an Corona. Die Oberstüfler haben besonders viel mit unterschiedlichen Lehrern zu tun, wir schlossen sofort das Gymnasium, obwohl dort 800 Schüler sind. Der digitale Schulbetrieb lief reibungslos. So konnten wir ein Superspreader-Event vermeiden.

Die Eltern der Schüler waren wohl trotzdem nicht begeistert.

Da mögen Sie recht haben – aber es ging nicht anders. Und wir bemühen uns in solchen Fällen, klar zu kommunizieren: Einen Plan mit dem Gesundheitsamt, der Stadt und der Schulleitung auszuarbeiten, dann die Eltern und die Presse zu informieren. So kann man Transparenz herstellen für Aktionen, bei denen schnell gehandelt werden muss. Andere Maßnahmen bei der Bekämpfung sind jetzt schon in den Alltag übergegangen.

Welche meinen Sie?

Wir kontrollieren viel: In Gaststätten, an Bushaltestellen, überall wo die Menschen sich näherkommen. Verschiedene Dienste werden dafür eingesetzt, die das überprüfen. Heute und morgen suchen wir Personen auch stichpunktartig in der Quarantäne auf, um zu überprüfen, ob sie wirklich daheim sind. So gelingt es uns bislang, den Anstieg der Zahlen recht flach zu halten.

Klingt, als würden Sie die Bürger gern überwachen. Ist das notwendig?

Also "gern" verhänge ich überhaupt keine der Maßnahmen. Und ich muss doch sehr bitten, ein Überwachungsstaat ist auch in Calw nicht vorhanden, diese Schwerpunktkontrolle findet übrigens im ganzen Land gemeinsam statt und ist keine Idee von mir. Niemand wird hier von der Polizei abgeführt, aber natürlich wird ermahnt und eventuell bei Nichteinhaltung ein Bußgeld verhängt. Aber um Ihre Frage zu beantworten: Ja, das ist durchaus notwendig. Nur so können wir überhaupt die Akzeptanz für die Maßnahmen überhaupt erhalten.

Wieso?

Sehen Sie: Es gibt – grob gesagt – aktuell zwei Gruppen von Menschen in der Pandemie. Die einen, denen die Maßnahmen zu lasch sind, und die anderen, denen jetzt schon alles viel zu weit geht. Bei uns in Calw setze ich die Corona-Landesverordnung konsequent durch, ich tue aber auch nicht mehr, um die Menschen dabei nicht zu verlieren. Man muss jetzt dafür sorgen, dass die Regeln, die wir gemacht haben, auch eingehalten werden. Sonst macht sich der Staat unglaubwürdig. Und ehrlich gesagt finde ich eine Maskenpflicht in der Fußgängerzone weniger schlimm, als wenn nochmal die Wirtschaft bei mir im Landkreis den Betrieb zu weiten Teilen einstellen muss.

Was ist bei der Pandemie-Bekämpfung jetzt anders als im Frühjahr?

Viele Menschen, nicht nur in Calw, wissen, wie wichtig eine Maske und das Abstandhalten ist. Viele Vereine und Firmen bei mir in der Stadt schaffen jetzt schon Strukturen, die es einfach machen, die Infektionsgefahr zu reduzieren. Jeder Bürger ist jetzt schon ein wenig "pandemieerprobt". Das macht es viel leichter, als jemand, der Verantwortung für die Menschen vor Ort hat, Maßnahmen umzusetzen. Zumindest in Calw funktioniert das bislang sehr gut

Der heftigste Corona-Ausbruch in den letzten Tagen war im Berchtesgadener Land. Dort ist jetzt ein erneuter Lockdown in Kraft. Bei Ihnen in Calw dürfte solch ein Szenario recht unrealistisch wirken, oder?

Noch sind wir davon sehr weit entfernt, vorher müssten andere Städte in den Lockdown gehen. Richtig ist aber auch: Wenn die Zahlen steigen und steigen – und ich dabei nur zuschauen kann, weil keine der Maßnahmen mehr ausreicht, dann sind mir auch die Hände gebunden. Deswegen ist das höchste Ziel aktuell, den Anstieg so gering wie möglich zu halten. Dann drohen auch kaum weitere Einschränkungen.

Verwendete Quellen
  • Telefonisches Interview mit Florian Kling
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