Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Deutschland Digital 2025 So muss die Autobahn der Zukunft aussehen
Was früher die Autobahn war, ist heute das Breitbandnetz: Deutschland braucht einen digitalen Aufbau, schreibt Norbert Röttgen (CDU) im Gastbeitrag. Doch das allein reicht längst nicht aus.
"So werden die Straßen der Zukunft aussehen", sagte Konrad Adenauer als Kölner Oberbürgermeister, als er 1932 die erste Autobahn zwischen Köln und Bonn eröffnete. Real wurde diese Zukunft dann in den Fünfziger- und Sechzigerjahren, als der Ausbau der Autobahn einer der wichtigsten Katalysatoren für das deutsche Wirtschaftswunder wurde.
Das Gleiche gilt heute für die digitale Infrastruktur. Sie ist die Autobahn unserer Zeit. Wirtschaftswachstum, Vernetzung und Anschluss, all das wird möglich durch einen effektiven und allumfassenden Breitbandausbau, den wir endlich ernst nehmen müssen. Auch über die digitale Infrastruktur hinaus hat Deutschland einen enormen Modernisierungsbedarf. Seit der Wiedervereinigung Deutschlands war keine Aufgabe in der Größenordnung und Dringlichkeit von ähnlicher Bedeutung.
30 Jahre nach dem Aufbau Ost brauchen wir den digitalen Aufbau Deutschland. Um unseren digitalen Rückstand aufzuholen und um den notwendigen Technologieschub in den zukunftsweisenden Industrien zu vollziehen, bedarf es einer vergleichbaren gesamtgesellschaftlichen und gesamtstaatlichen Kraftanstrengung. Deutschland Digital 2025 heißt die neue Agenda. Nicht irgendwie, sondern mit Plan und auf Weltklasse-Niveau.
Der Autor Norbert Röttgen war von 2009 bis 2012 Bundesumweltminister. Inzwischen ist Röttgen Außenpolitiker und Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses. Röttgen bewirbt sich um den Vorsitz der CDU.
Schlusslicht Deutschland
Deutschland nimmt laut dem "Index für die digitale Wirtschaft und Gesellschaft" der Europäischen Kommission nur Rang zwölf in Europa ein. Bei der Inanspruchnahme von E-Government-Diensten sogar nur Platz 21! Das bedeutet konkret: Malta oder Zypern sind bei der Digitalisierung des öffentlichen Dienstes besser als wir. Tatsächlich bildet Deutschland mit Ländern wie Rumänien und Bulgarien das Schlusslicht. Für eine der größten Volkswirtschaften der Welt ist dieser Zustand nicht tragbar. Ein eigenständiges Digitalministerium mit schlanker Struktur, das für die Digitalisierung arbeitet und gleichzeitig selbst ausschließlich digital funktioniert, wäre ein sichtbares Zeichen für einen politischen Aufbruch.
Die unaufhaltsame Digitalisierung vieler Lebensbereiche zeigt auf der anderen Seite aber auch: Eine Vielzahl der Menschen scheitert am komplizierten Online-Banking, flucht über Schwimmbadtickets, die sich nur noch online kaufen lassen und fühlt sich – sofern sie nicht digital bezahlen wollen – von vielen Aktivitäten ausgeschlossen. So entsteht schnell ein Gefühl der Machtlosigkeit und Ausgrenzung in einer immer schneller voranschreitenden Welt. Das birgt die Gefahr großer gesellschaftlicher Spaltung.
Das Ziel muss daher sein, alle Menschen mitzunehmen, anstatt die Digitalisierung nur passiv über sich ergehen zu lassen. Neben der Infrastruktur müssen wir daher massiv in Bildungsangebote investieren, nicht nur in den Schulen und Universitäten für die nächste Generation, sondern vor allem auch für alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer.
Die Arbeit von morgen
Denn die Arbeit von morgen wird sich wandeln, es gibt kein Zurück zur alten Zeit, als Menschen 40 Jahre der gleichen analogen Tätigkeit nachgingen. Viele Jobs werden in Zukunft an digitale Voraussetzungen geknüpft sein. Das schafft neue Notwendigkeiten bei der Aus- und Weiterbildung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Digital Upskilling, also die digitale und zielgerichtete Weiterbildung der Arbeitnehmerschaft, muss in allen Unternehmen zur Priorität werden. So können Bewusstsein und Akzeptanz für Digitalisierung erhöht und Arbeitsplätze gesichert werden.
Digitalisierung ist nicht nur ein gesellschaftspolitisches Thema, sondern auch eine wirtschaftspolitische Notwendigkeit. Digitalisierung ist die Basis für zukünftiges Wirtschaftswachstum. Plattformen wie Amazon und Facebook geht es trotz Pandemie besser denn je. Unter den weltweit zehn kapitalstärksten Unternehmen ist kein einziges europäisches zu finden. Die größten Unternehmen liegen heute in den USA und China.
Im Bereich der Cloud-Lösungen sind wir technologisch bereits abgeschlagen und auf ausländische Anbieter angewiesen. Bei der Hard- und Software der Mobilfunknetze spielen europäische Firmen mit Ericsson und Nokia zwar noch vorne mit, aber wir tun uns schwer damit, ihnen den notwendigen Markt zu bieten. Wenn es um unsere digitale Souveränität geht, sollten wir nicht nur selbstbewusster werden, wir müssen im globalen Wettbewerb auch eine stärkere Rolle anstreben. Dafür brauchen wir kein deutsches Silicon Valley, aber eine politische und gesellschaftliche Kultur des Unternehmensgeistes.
In Ideen investieren
Wir müssen uns trauen, in Ideen zu investieren – auch und gerade wegen des Risikos, dass sie scheitern könnten. Theoretisch haben wir dafür alles, was wir brauchen: gut ausgebildete Fachkräfte, Ingenieure und Informatiker. Diese Fachkräfte müssen wir in Deutschland und Europa halten und die möglichen Rahmenbedingungen schaffen, damit sie wirtschaftlich ihr Potential entwickeln können. Wir brauchen flexible Konzepte, die gerade Start-ups erleichtern, in Europa zu bleiben, statt ins Ausland zu verkaufen. Dazu gehören Erleichterungen bei der Unternehmensbeteiligung von Mitarbeitern und substanzielle Verbesserungen bei der Bereitstellung von Risikokapital.
Mit dem Zukunftsfonds geht die Bundesregierung einen wichtigen Schritt in die richtige Richtung. Aber ohne Privatinvestoren wird es nicht gehen. Um die Summen zu generieren, die wir brauchen, muss es möglich sein, Risikokapital besser steuerlich abzusetzen. Das ist zwar für den Fiskus im Einzelfall ein Risiko, aber für uns als Wirtschaftsstandort und Gesellschaft eine gute Investition in die Zukunft. Denn es geht um nicht weniger als die Zukunftsfähigkeit Deutschlands. Auch hier gilt das Leitmotiv, eine sich unaufhaltsam wandelnde Zukunft zum Besseren zu gestalten.
Nicht zuletzt sind Technologieführerschaft und damit wirtschaftliche Stärke auch zunehmend Grundlage dafür, die Weltpolitik mitzugestalten. Technologie wird immer mehr zur machtpolitischen Basis. Entscheidend ist, dass wir technologisch nicht von anderen abhängig werden und damit in eine Position geraten, in der wir uns zwischen Werten und wirtschaftlichen Notwendigkeiten entscheiden müssen.
Der europäische Binnenmarkt ist schon heute die Grundlage der EU als Handels- und Wirtschaftsmacht. Wenn wir ihn zum digitalen Binnenmarkt ausbauen und beginnen, Technologieführerschaft europäisch zu verstehen, dann haben wir beste Chancen auch global wieder in der ersten Reihe mitzuspielen. Wenn wir das schaffen, dann wird unsere wirtschaftliche Stärke auch in Zukunft eine zentrale Stütze sein, um unsere Werte in einer rauer werdenden Welt mit Nachdruck zu vertreten.
So sollte die Straße der Zukunft aussehen – digital, hochmodern, mit allen und für alle in Deutschland und Europa.
Die in Gastbeiträgen geäußerten Ansichten geben die Meinung der Autoren wieder und entsprechen nicht notwendigerweise denen der t-online-Redaktion.