Bei Befragung im Bundestag Merkel macht Russland schwere Vorwürfe – "mich schmerzt das"
Die Befragung der Bundeskanzlerin im Bundestag ist immer ein mit Spannung erwarteter Termin – in der Corona-Krise umso mehr. Angela Merkel ging am Mittwoch ausführlich auf das Thema ein – aber nicht nur das.
Die Regierungsbefragung am Mittwoch im Bundestag stand ganz im Zeichen der Corona-Krise. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), die den Abgeordneten im Plenum Rede und Antwort stand, rief die Bundesbürger im Angesicht der Pandemie weiterhin zu Wachsamkeit auf. In deutlichen Worten prangerte sie die Zustände in der Fleischindustrie an und äußerte sich auch zur Diskussion um Steuererhöhungen wegen der finanziellen Belastungen durch die Krise. Für Aufsehen sorgte aber besonders ihre klare Ansage zum Hackerangriff auf den Bundestag 2015, für den sie Russland verantwortlich machte.
Merkel sprach mit Blick auf Ermittlungsergebnisse des Generalbundesanwalts von "harten Evidenzen" für eine russische Beteiligung. Sie nannte den Vorgang "ungeheuerlich". Russland warf sie eine Strategie der "hybriden Kriegsführung" vor, die auch "Desorientierung" und "Faktenverdrehung" beinhalte.
"Ich darf sehr ehrlich sagen: Mich schmerzt das", sagte die Kanzlerin. Deutschland bemühe sich zwar weiter um ein gutes Verhältnis zu Russland. Eine "vertrauensvolle Zusammenarbeit" werde dadurch aber gestört. Auf die Frage nach möglichen Konsequenzen gegen Russland sagte Merkel. "Natürlich behalten wir uns immer Maßnahmen vor, auch gegen Russland."
Nach übereinstimmenden Berichten mehrerer Medien vom 5. Mai machen die Karlsruher Ermittler den russischen Militärgeheimdienst GRU für den großangelegten Cyberangriff auf den Bundestag im Jahr 2015 verantwortlich. Die Bundesanwaltschaft hat demnach in der vergangenen Woche einen internationalen Haftbefehl gegen einen jungen russischen Hacker namens Dimitri Badin erwirkt.
"Lassen Sie uns mutig und wachsam sein"
Mit Blick auf die Corona-Pandemie warnte Merkel vor weiterhin bestehenden Gefahren. Zugleich hob sie erhebliche Erfolge im Kampf gegen das Virus hervor. Man werde noch länger mit der Pandemie leben müssen, sagte sie. Es gebe noch kein Medikament dagegen und auch keinen Impfstoff. Es sei aber schon einiges geschehen, was Mut mache. Daher: "Lassen Sie uns mutig und wachsam sein."
Sie habe großen Respekt vor der Leistung der Länder, ebenso vor der im Gesundheitsdienst und in den Gesundheitsämtern, sagte Merkel weiter. Dort seien die Orte, wo die Infektionsketten nachvollzogen werden könnten. Die Neuinfektionen lägen in einem Bereich, "mit dem unser Gesundheitssystem zurecht kommen kann".
Merkel gab sich in der Befragung des Öfteren recht locker. Ob man etwas aus der Krise lernen könne, etwa für den Bereich der Pflege, wurde sie von der Linksfraktion gefragt. Man könne eine Arbeitsgruppe gründen und ihr die Ergebnisse mitteilen, sagte Merkel. Sie sei schließlich ein "aufmerksamer 'Zeit-Mensch' – um nicht Genosse zu sagen", ergänzte sie. Der Bundestag lachte.
Merkel kündigt Konzept für Fleischbetriebe an
Als erschreckend bezeichnete Merkel jedoch die Nachrichten über die Situation in der Fleischindustrie. "Ich kann sagen, dass auch ich nicht zufrieden bin mit dem, was wir dort jetzt gesehen haben", sagte die Kanzlerin. Die Bundesregierung beabsichtige, "notwendige Änderungen" für diesen Bereich zu beschließen. Am kommenden Montag werde Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) "ein Konzept vorlegen". Merkel sagte: "Gerade bei Unterbringung gibt es erhebliche Mängel."
Die Fleischindustrie war zuletzt wegen einer Häufung von Corona-Infektionen in der Belegschaft mehrerer Schlachthöfe in die Schlagzeilen geraten. Im Fokus stehen dabei die Gemeinschaftsunterkünfte der oft aus Osteuropa stammenden Werkvertragsmitarbeiter.
Merkel: "Stand heute keinerlei Erhöhungen von geplant"
Merkel schloss in der Regierungsbefragung Steuererhöhungen zur Finanzierung der Corona-Folgekosten zum jetzigen Zeitpunkt aus. "Stand heute sind keinerlei Erhöhungen von Steuern und Abgaben geplant", antwortete Merkel auf eine Frage von AfD-Parteichef Tino Chrupalla. Ob es zu einem späteren Zeitpunkt doch noch Erhöhungen gibt, könne sie aber nicht sagen – "sonst wären wir ja Zukunftsvorherseher, und das maße ich mir nicht an", sagte die Kanzlerin.
Ausdrücklich sprach sich Merkel gegen eine Vermögensabgabe aus. "Ich möchte, dass wir noch ein paar Unternehmen haben, die auch Steuern zahlen können", sagte sie. Generell bedürfe es natürlich einer "stärkeren Belastung" der Starken als der Schwachen, sagte sie jedoch. Das sei auch die Grundlage des Sozialsystems.
Damit verpasste Merkel Überlegungen beim Koalitionspartner SPD einen Dämpfer. SPD-Chefin Saskia Esken hatte eine Vermögensabgabe als Möglichkeit genannt, um einen Teil der Kosten der Corona-Krise zu finanzieren. Und Vizekanzler Olaf Scholz (SPD) hatte sich am Wochenende offen für eine Reichensteuer gezeigt. Diejenigen Bürger, die "sehr, sehr viel verdienen, sollten einen etwas höheren Beitrag leisten", hatte er dem "Tagesspiegel am Sonntag" gesagt.
- Nachrichtenagenturen dpa, AFP