Union und SPD ziehen Halbzeitbilanz Was die Koalition geschafft hat – und was sie noch vor hat
Die Spitzen von Union und SPD haben sich am Sonntagabend im Kanzleramt getroffen, um Halbzeitbilanz zu ziehen. Den größten Teil ihrer Versprechen haben die Parteien laut einer Studie schon erfüllt. Eine Übersicht.
Die Spitzen der schwarz-roten Koalition haben sich auf einen Fahrplan für die geplante Halbzeitbilanz des Regierungsbündnisses geeinigt. Demnach soll die Bestandsaufnahme der Koalition Anfang November vorgestellt werden.
Die Koalitionsspitzen verständigten sich demnach zudem darauf, dass die bereits auf den Weg gebrachten Gesetze des Klimapakets bis Ende des Jahres in Kraft treten sollen. Dies solle auch für jene Teile des Pakets gelten, die an diesem Mittwoch ins Kabinett kommen sollen. Die Koalitionsspitzen hatten dreieinhalb Stunden getagt.
Der Überblick
Die große Koalition hat zur Halbzeit mehr geliefert als viele Bürger wahrgenommen haben. Bei ihrer bevorstehenden Zwischenbilanz dürften Union und SPD viel Erledigtes aufzeigen. Doch ebenso drängend stellt sich die Frage, was die Minister nun überhaupt noch bringen wollen.
Besonders kritisch will schließlich die SPD die Halbzeitbilanz bewerten – und auf dieser Basis auf ihrem Parteitag im Dezember voraussichtlich über die Zukunft der GroKo entscheiden. Was ist also abgearbeitet – was dürfen die Bürger noch erwarten, wenn das Bündnis weiter hält?
Guter Start
61 Prozent ihrer Versprechen hat die Koalition schon vor der Halbzeit vollständig oder teilweise umgesetzt, zeigte die Bertelsmann Stiftung in einer Studie. Von den unionsgeprägten Versprechen wurden bisher 44, von den zahlreicheren SPD-geprägten 45 Prozent umgesetzt. Unter den Gesetzen sind Projekte mit Auswirkungen für Millionen Menschen: etwa die Entlastung der 56 Millionen Mitglieder der gesetzlichen Krankenkassen durch die hälftige Finanzierung der Beiträge durch die Arbeitgeber, die Ausweitung der Mütterrente, die Verschärfung der Mietpreisbremse oder die Milliarden-Förderung der Kitas.
Eifrige Minister
Einige Ressortchefs stechen bei der Halbzeitbilanz hervor – so liegt der Bertelsmann-Studie zufolge das Innen- und Bauministerium mit einer Quote von 53 Prozent umgesetzter Versprechen an der Spitze der Ressorts. Minister Horst Seehofer (CSU) hatte sich denn auch schon nach einem Jahr eine positive Bilanz zugetraut – und etwa auf das Baukindergeld oder eine bessere Steuerung von Migration verwiesen.
Als besonders fleißig erschienen aber etwa auch Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) oder Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD). Bei den noch geplanten Projekten könnte es durchaus ein Stück weit ein Wettrennen zwischen Spahn und Heil werden – nach dem Motto: Wer bringt noch die meisten bürgernahen Gesetze öffentlichkeitswirksam auf den Weg?
Sozialpolitik
Im Schatten des Ringens um die Einführung einer Grundrente sind im Hause Heil eine ganze Reihe Vorhaben in Arbeit. Bereits angeschoben: ein Gesetz für bessere Löhne in der Pflege oder zum Schutz von Paketboten. Selbstständige sollen bei der Rente besser abgesichert, Befristungen von Arbeitsverträgen ohne Sachgrund eingeschränkt werden.
Vorsorglich hat Heil zudem einen 82 Seiten dickes Buch mit dem Titel "Anpacken" vorgelegt, in dem nach vielen Veranstaltungen zur Zukunft der Arbeit viele meist sozialdemokratische Projektideen stecken – von persönlichen Arbeitszeitkonten über Reformen bei Kindergeld und Hartz IV bis zu Hilfen für Geringverdiener.
Gesundheit und Pflege
Zu Spahns Image gehört es, dass er große Brocken angeht – so will er im ersten Halbjahr 2020 Vorschläge zur künftigen Finanzierung der Pflege vorlegen. Schließlich steigt die Zahl der Pflegebedürftigen, Pflegende sollen besser bezahlt werden und die Eigenbeteiligung fürs Heim kletterte auf zuletzt 1.930 Euro im Bundesschnitt.
Tempo will Spahn auch bei der Digitalisierung des Gesundheitswesens machen – etwa mit dem Start der elektronischen Patientenakte Anfang 2021. Und nach langem Gezerre will er etwa auch das System von Notfallambulanzen, Notruf und Bereitschaftsdienst reformieren.
Aber die Koalition hat auch noch viel Arbeit vor sich, wie folgende Beispiele zeigen:
Klimapaket
Eines der größten Vorhaben der Koalition ist das auf den Weg gebrachte Klimaprogramm – damit Deutschland nationale und international verpflichtende Klimaziele 2030 doch noch einhält. Wesentliche Maßnahmen sollen bis Ende des Jahres in trockenen Tüchern sein.
Von 2021 an soll es für den Ausstoß des Treibhausgases CO2 im Verkehr und bei Gebäuden einen Preis geben – damit werden Benzin und Diesel teurer sowie das Heizen mit Öl. Der Preis soll zunächst bei 10 Euro pro Tonne liegen und dann steigen. Doch wirkt das Klimapaket, damit die Klimaziele erreicht werden – und wird die Einhaltung wirklich wie geplant geprüft und andernfalls nachgesteuert?
Verkehr
Auch wenn ihm wegen des erwarteten Untersuchungsausschusses zur Pkw-Maut der Wind ins Gesicht bläst, hat auch Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) noch viele Pläne. Er will das Personenbeförderungsgesetz reformieren und an die veränderten Mobilitätsbedürfnisse mit neuen Fahrdiensten anpassen. Scheuer will Genehmigungsverfahren für Infrastruktur-Verkehrsprojekte beschleunigen, die Bahn stärken und den Ausbau des schnellen Internets vorantreiben.
Energie
Bis spätestens 2038 soll Deutschland aus der klimaschädlichen Kohleverstromung aussteigen. So hat es eine Regierungskommission empfohlen, die Bundesregierung will das Konzept nun umsetzen. Auf den Weg gebracht worden sind Milliardenhilfen für den Strukturwandel in Kohleregionen wie der Lausitz. Bis Jahresende nun soll es einen Gesetzentwurf geben, wie viele Kraftwerke wann genau abgeschaltet werden sollen.
Eine wichtige Frage ist außerdem der Ausbau erneuerbarer Energiequellen aus Sonne oder Wind. Vor allem der Bau neuer Windräder an Land stockt aber derzeit, weil es lange Genehmigungsverfahren und viele Klagen gibt. Zusammen mit den Ländern sucht der Bund nach Lösungen, den Ausbau wieder zu beschleunigen.
Wirtschaftspolitik
Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) wird nicht müde, angesichts der schwächeren Konjunktur für eine umfassende Reform der Unternehmensteuern und einen Fahrplan für eine vollständige Soli-Abschaffung einzutreten – das aber ist mit der SPD nicht zu machen.
Ein anderes Lieblingsprojekt Altmaiers ist eine "EU-Cloud", damit Europa mehr Datensouveränität bekommt. Der CDU-Politiker will außerdem eine veränderte Industriestrategie vorlegen.
Weitere Vorhaben
Die Liste ließe sich fortsetzen. So liegt Familienministerin Franziska Giffey (SPD) der versprochene Ausbau der Ganztagsbetreuung im Grundschulalter am Herzen.
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In der Umweltpolitik geht es auch um die Reduzierung der Müllberge, in der Verteidigung um die Nachfolge des Kampfflugzeugs Tornado - und Außenminister Heiko Maas (SPD) will die Abrüstung wieder stärker auf die Tagesordnung setzen. Ob die GroKo in den Augen der Bürger besteht, dürfte freilich auch davon abhängen, ob sie die Vorhaben überhaupt mitbekommen und gut finden.
- Nachrichtenagentur dpa