Presseschau zum erneuten Zitteranfall "Die Kanzlerin sollte sich selbst einen Gefallen tun"
Nach Angela Merkels drittem öffentlichen Zitteranfall wächst die Sorge um die Gesundheit der Kanzlerin – und der Druck der Öffentlichkeit. Ein Blick in die Kommentarspalten der Presse.
Die "Neue Osnabrücker Zeitung" schreibt nach Merkels drittem Zitteranfall in drei Wochen: "Das Zittern der Kanzlerin löst in Deutschland und weltweit Besorgnis aus. Die Gesundheit ist auch für eine Regierungschefin Privatsache, aber eben nur zu einem gewissen Grad. Beim dritten Anfall vor laufenden Kameras binnen weniger Wochen reichen die bisherigen Erklärungsversuche nicht aus, um die Spekulationen auszuräumen.
Mehr Aufklärung täte gut, damit aus einer möglichen Bagatelle kein Politikum wird. Viele Spitzenpolitiker, von Konrad Adenauer bis Helmut Kohl, haben gesundheitliche Probleme vertuscht aus Angst, abgestraft zu werden. Eine Kanzlerin wie Merkel sollte solche Tricks nicht nötig haben."
Die "Bild"-Zeitung meint: "Angela Merkel zittert. Sie muss sich an sich selber festhalten. Es ist das Bild einer starken Frau, die mit ihrer Schwäche kämpft. Über die Gründe schweigt sie, stoisch bis störrisch.
Mit einer Mischung aus Mitgefühl und Ratlosigkeit dürften die meisten Deutschen zugeschaut haben, ebenso Medien rund um den Globus. Angela Merkel wollte einen selbstbestimmten Abgang aus der Politik, frei und nicht als Wrack. Je länger sie zögert, umso weniger wahrscheinlich ist, dass ihr das auch
gelingt."
In der in Rom erscheinenden "La Repubblica" ist zu lesen: "Wie geht es Angela Merkel wirklich? Der dritte Zitteranfall in drei Wochen hat erneut Unsicherheiten über den Gesundheitszustand der Kanzlerin ausgelöst, die dementiert, Probleme zu haben. Der Vorfall dauerte kurz und Merkel hat sofort die Kontrolle wiedererlangt. Aber wie unter solchen Umständen unvermeidbar, macht das Fehlen von Informationen den Vorfall noch alarmierender."
t-online.de-Chefredakteur Florian Harms kommentiert Merkels Zittern so: "Steckt wirklich nicht mehr dahinter, sollte die interessierte Öffentlichkeit es dabei bewenden lassen. Das Programm der Kanzlerin ist strapaziös, die zurückliegenden Monate waren arbeitsintensiv, sie hat sich den Sommerurlaub redlich verdient. Sollte aber mehr dahinter stecken, womöglich eine gravierende Krankheit, von der die Kanzlerin und ihre Sprecher wissen, und dies käme erst später heraus, dann hätten sie die Bürger an der Nase herumgeführt und für dumm verkauft. Hart gesagt: Dann hätten sie den Bürgern ins Gesicht gelogen. Das wäre ein Glaubwürdigkeitsverlust, mit dessen Bürde eine Kanzlerin nicht Kanzlerin bleiben könnte. Denn die Wahrhaftigkeit der Regierungschefin ist ebenso von öffentlichem Interesse wie ihre Gesundheit."
In der "Berliner Zeitung" ist zu lesen: "Es gibt keinen Grund, an Angela Merkels Versicherung zu zweifeln, dass es ihr gut gehe. Allein darauf kommt es an. Politiker sind keine Maschinen, sie haben Macken, Schwächen und Krankheiten wie alle Menschen. Das kann man nun an Angela Merkel ganz öffentlich verfolgen. Und sicher nicht zu ihrem Vergnügen spricht sie, die ihr Inneres sonst kaum thematisiert, öffentlich darüber.
Ihr bleibt angesichts der Offensichtlichkeit des Problems freilich auch kaum etwas anderes übrig. Dennoch ist es mehr, als viele andere Politiker sich getraut haben. In den USA wundern sich die Medien darüber, dass die Deutschen angesichts der Bilder von ihrer Kanzlerin so ruhig bleiben. Es spricht für die politische Kultur der Bundesrepublik und für die Glaubwürdigkeit Angela Merkels, dass dies trotz der sonst oft so hysterisch geführten öffentlichen Debatten so ist. Dabei soll es bleiben."
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Im "Kölner Stadt-Anzeiger" ist zu lesen: "Krankheiten sind Politikern gestattet, sie haben ein Recht auf Regeneration von ihren kräftezehrenden Aufgaben. Aber eine Krankheit wird zum Politikum, wenn nicht mehr gewährleistet ist, dass der Politiker oder die Politikerin die Aufgaben in voller Energie ausfüllen kann. Es ist sehr gut möglich, dass daran im Fall von Merkel gar kein Zweifel bestehen müsste. Möglicherweise ist es punktuell und auf Momente des Stillstehens beschränkt. Aber vielleicht auch nicht. Die Kanzlerin sollte sich selbst einen Gefallen tun und diese Fragen offensiv aufklären. Sonst wird sie diese Debatte nicht mehr los."
- Nachrichtenagentur dpa
- bild.de: "Wie lange noch, Frau Kanzlerin?"